Wer ist der beste Aufsteiger seit RB Leipzig? Genau, Union. Und das verbindet die Eisernen mit dem Lieblingsfeind

Zwischen dem 1. FC Union und RB Leipzig gibt es keinerlei Gemeinsamkeiten. Was den Erfolg und eine kuriose Ergebnisserie angeht, sind sich beide jedoch ziemlich ähnlich.

Konrad Laimer von RB Leipzig kämpft gegen Berlins Rani Khedira (r) um den Ball, 2022.
Konrad Laimer von RB Leipzig kämpft gegen Berlins Rani Khedira (r) um den Ball, 2022.Andreas Gora/dpa

Tradition gegen Moderne. Romantik gegen Kommerz. Kult gegen Kohle. Das sind nur einige Beschreibungen für das, was ein normales Bundesligaspiel sein sollte. Es könnte durchaus den Charakter eines Derbys haben im Osten, wo Fußballbundesligisten rar gesät sind und Union nach Hansa Rostock, Dynamo Dresden, dem VfB Leipzig aus dem Spieljahr 1993/94 und Energie Cottbus der erst fünfte Vertreter ist.

Nur: RB Leipzig, 2016 in rekordverdächtigen sieben Jahren nach seiner Gründung und dank dubioser Hilfe des SSV Markranstädt aus der damaligen fünftklassigen Oberliga Nordost erstklassig geworden, taugt für die meisten Anhänger aus dem Osten nicht als jemand von hier. Die Fans der Eisernen bringen es nach ihrem Geschmack so auf den Punkt: Union und RB betreiben dieselbe Sportart, aber schon lange nicht mehr dasselbe Spiel.

Verrückte Dinge hat es schon gegeben, die für größeres Aufsehen sorgten als die eigentlichen Spiele. Egal, ob sich beide in der Zweitklassigkeit duellierten oder seit 2019 in der Ersten Liga, viel los war immer. Der stumme Protest der rot-weißen Anhänger, der in der Anfangsviertelstunde das Stadion in eine Gespensterarena verwandelt, gehört längst dazu. Zum Repertoire derjenigen, die das „Kunstprodukt“ aus Leipzig gnadenlos ablehnen, gehört auch schon mal ein Schweigemarsch zum Stadion, bei dem sie, in schwarze Jacken gehüllt, der fortschreitenden Kommerzialisierung die kalte Schulter zeigen. Wurden die Union-Fans ihrerseits damit konfrontiert, dass ihr Verein einst um Aktionäre aus den eigenen Reihen warb, um das Ballhaus des Ostens zu kaufen, antworteten sie mit einem Plakat, auf dem eine zerquetschte Red-Bull-Dose platziert war und der Spruch: Wir verkaufen unsere Seele, aber nicht an jeden.

Heute trennen den Zweiten Union und den Vierten RB lediglich drei Punkte

Manchmal nur, das zeigt sich am besten im Vorfeld der anstehenden Partie am Sonnabend um 18.30 Uhr, gibt es selbst zwischen den Rivalen menschliche, ja karitative Momente. So hat sich RB-Kapitän Willi Orban als Spender von Stammzellen zur Verfügung gestellt und den Eingriff am Mittwoch in Dresden vornehmen lassen. Ärzte raten davon ab, drei Tage nach einem derartigen Eingriff Kontaktsport zu betreiben. Sollte Orban mit seiner Spende ein Leben retten, hätte das Potenzial weit über 90 Minuten hinaus. Das verdient, Kommerz hin und Kult her, auch auf der Gegenseite höchsten Respekt.

Trotzdem lebt gerade diese Paarung zwischen dem Brauseklub aus Leipzig und dem als Gegenentwurf dazu angesehenen Romantikverein aus Köpenick von der Rivalität. Erbittert ist diese auch deshalb, weil die Sachsen, einmal auf der Überholspur, auch die Berliner hinter sich gelassen haben, sich beide aber immer öfter auf Augenhöhe begegnen.

Nichts deutet mehr auf einen Klassenunterschied wie beim 0:4 im Bundesliga-Premierenspiel des 1. FC Union im August 2019, als es unmittelbar nach dem Aufstieg kurz danach aussah, als sollte das Abenteuer Erstklassigkeit in einem Desaster enden. Immer näher sind sich die Teams in der Tabelle gekommen. Hatten die Leipziger nach dem Spieljahr 2019/20 noch um acht Plätze und sagenhafte 25 Punkte die Nase vorn, schmolz der Vorsprung im Jahr darauf auf fünf Plätze und 15 Punkte. Heute trennen den Zweiten Union und den Vierten RB lediglich drei Punkte.

Fans von Union Berlin vor dem Spiel zwischen 1. FC Union Berlin gegen RB Leipzig am 18.08.2019 in Berlin.
Fans von Union Berlin vor dem Spiel zwischen 1. FC Union Berlin gegen RB Leipzig am 18.08.2019 in Berlin.Mathias Renner/city-press

In der vorigen Saison hätte es beinahe die tabellarische Ablösung gegeben. Um ein winziges Pünktchen hatten die Leipziger als Tabellenvierter den 1. FC Union auf Rang fünf verwiesen. In diesem Spieljahr gleichen sich die Resultate auf nahezu kuriose Weise. Beide haben gegen Wolfsburg 2:0, gegen Hoffenheim 3:1 und in Bremen 2:1 gewonnen, beide haben gegen die Bayern mit 1:1 gepunktet und auf Schalke mit 6:1 überzeugt. Beide sind international und national im DFB-Pokal noch am Ball. Mehr Gemeinsamkeit geht auf diese kurze Distanz fast nicht.

Bei aller Diskrepanz in der Vereinsphilosophie folgen die Eisernen ihrem Lieblingsfeind damit rein sportlich ziemlich genau. Die Roten Bullen waren seit ihrem Aufstieg nie schlechter als Tabellensechster, haben sich fünfmal für die Champions League qualifiziert und in der Vorsaison als Pokalsieger mit dem ersten großen Titel ihrer Historie geschmückt. Die Rot-Weißen sind der beste durchgängige Aufsteiger seit den Leipzigern, zweimal haben sie sich auf Europas Bühne gespielt.

Was die Männer von Marco Rose trotz aller Alimentation durch den österreichischen Brausekonzern nicht auf ihrem Briefkopf haben: einen Meistertitel. Davon träumen sie, zumindest auf den Fan-Rängen, auch in der Alten Försterei. Nie waren sie dem Unerreichbaren so nah wie derzeit, auch wenn sie kollektiv abwiegeln und es im Reich der Träume belassen wollen. Ein wenig schmeichelt es ihnen aber doch, wenn die Hardcore-Fans, wie nach dem 2:1 zuletzt gegen Mainz, „Deutscher Meister …“ singen und dazu wie wild skandieren. „Da ist ein bisschen Ironie dabei“, sagt Christopher Trimmel, „aber wir genießen das.“ Mit dem nächsten Atemzug allerdings relativiert der Kapitän: „Es gibt viele Mannschaften, die Meister werden wollen, aber wir haben diesen Anspruch nicht. Wir haben uns zweimal in Folge für Europa qualifiziert, wollen uns weiterentwickeln und steigern. Und wir müssen uns verbessern, um oben zu bleiben.“

Ein Unentschieden zwischen Union und RB hat es in der Bundesliga noch nicht gegeben

Das Momentum könnte auf ihrer Seite liegen. Mit vier Siegen sind sie ins neue Jahr gestartet. So viele Dreier hintereinander sind ihnen in der Bundesliga erst einmal gelungen, im vorigen Spieljahr mit einem 1:0 gegen Köln, einem 4:1 bei Hertha BSC, einem 2:0 gegen Eintracht Frankfurt und einem 2:1 bei, genau – RB Leipzig! Zwischendurch hat es diesmal sogar einen fünften Sieg gegeben, das 2:1 im Pokal gegen Wolfsburg.

Nach ihrem 1:1 gegen die Bayern zu Wiederbeginn eilen aber auch die Leipziger von Sieg zu Sieg. Was es außerdem spannend macht: Zuletzt war die Sache immer knapp, stets hat, ob bei vier aufeinanderfolgenden 2:1-Siegen der Eisernen um Punkte, einem 1:0 der Leipziger und dem fast schon legendären 2:1 der RB-Kicker im vorjährigen Pokal, nur ein Tor, oft genug im allerletzten Moment erzielt, den Ausschlag gegeben. Insofern ist es auch in dieser Beziehung ein Match von identischem Gewicht.

Damit schreit nahezu alles nach einem Unentschieden. Das aber hat es zwischen beiden in der Bundesliga noch nie gegeben. Mit diesem Ergebnisnovum könnten vor allem die Köpenicker bestens leben. Oder um es mit Trimmel zu sagen: „Wir gehen jedes Spiel ans Limit und wollen unsere Leistungen jede Woche bestätigen. Diesen Weg wollen wir nicht verlassen.“ Vor allem und gerade nicht beim Lieblingsfeind.