Der Wahnsinn geht weiter: Union Berlin siegt auch in Leipzig
Nach einem Rückstand erzwingen die Eisernen beim Spitzenspiel in Leipzig wieder einmal die Wende, feiern einen 2:1-Erfolg. Nun muss ein neues Saisonziel her.

Der Wahnsinn des 1. FC Union Berlin hat am Sonnabendabend beim Gast- und Spitzenspiel in Leipzig eine Fortsetzung erfahren. Und das mit einem 2:1-Erfolg, der zur Folge hat, dass einerseits die Elf von Trainer Urs Fischer nun 42 Punkte hat und bereits nach 20 Spieltagen das Saisonziel um zwei Punkte übertroffen hat. Dass die Eisernen andererseits ein neues Saisonziel formulieren dürfen. Und mal ehrlich: In Anbetracht der Leistungen aus den vergangenen Wochen kann dies nur die Qualifikation für die Champions League sein. Für den Moment sind die Unioner weiterhin Tabellenzweiter, mit nur einem Punkt Rückstand auf die Bayern, die am Nachmittag den VfL Bochum 3:0 besiegten.
Matchwinner für Union waren in einer Partie, welche aufgrund der hohen Intensität durchaus die Bezeichnung Spitzenspiel verdient hatte, Janik Haberer und Robin Knoche. Der eine erzielte in der 61. Minute mit einem sagenhaften Volleyschuss das 1:1, der andere verwandelte in der 71. Minute einen Handelfmeter zum 2:1.
Fischer hatte erneut nur in Maßen rotiert, also erneut seine Stammkräfte (Frederik Rönnow, Knoche, Danilho Doekhi, Diogo Leite, Rani Khedira, Haberer und Sheraldo Becker) von Beginn an zum Einsatz gebracht, diese Achse mit Josip Juranovic (auf der rechten Seite für Christopher Trimmel), Niko Gießelmann (auf der linken Seite für Jérôme Roussillon), Aïssa Bilal Laïdouni (im halbrechten Mittelfeld für Paul Seguin) und Stoßstürmer Kevin Behrens ergänzt. Das alles in einem hinlänglich erprobten 3-5-2-System, während Leipzig überraschenderweise zunächst ebenfalls in einem 3-5-2 agierte.
Den Gegner spiegeln, nennt sich so etwas. Man könnte diese taktische Neuerung von RB-Coach Marco Rose auch als Respektsbekundung für die Arbeit des Kollegen werten. Wobei nicht unerwähnt bleiben darf, dass bei den Leipzigern Kapitän und Innenverteidiger Willi Orban aufgrund seines Einsatzes als Stammzellenspender nicht für einen Startelfeinsatz infrage kam.
Die eisernen Fans schweigen 15 Minuten lang
Unter dem 15-minütigen, inzwischen schon traditionellen Schweigen der eigenen Fans bei Spielen gegen die Fußballunternehmung RB verzichtete Union zunächst auf ein hohes Anlaufen des Gegners. Lass die mal spielen, lautete offenbar eine Maßgabe. Eine weitere: Wir müssen erst mal Dominik Szoboszlai aus dem Spiel nehmen. Dann schauen wir weiter - und kümmern uns um unser eigenes Spiel. Auch beim Aufbauspiel wollte man kein Risiko eingehen, wie sich bei Abstößen vom eigenen Tor zeigte, die nicht etwa kurz ausgeführt, sondern mit einem weiten Schlag von Rönnow abgehandelt wurden.
Fischer Plan schien aufzugehen. Seine Spieler kamen wie gewünscht in die Zweikämpfe, gewannen diese in der Anfangsphase der Reihe nach und zwangen die Leipziger zu ersten Fehlpässen. Dann allerdings, in der 24. Minute, waren die Eisernen innerhalb von wenigen Sekunden zweimal nicht im Bilde. Zunächst ließen sie Szoboszlai in zentraler Position zu viel Raum, sodass der Ungar dem Angriff seiner Mannschaft mit einem Pass auf die linke Seite neues Leben einhauchen konnte. Dann waren weder der zu tief stehende Juranovic noch der zu spät herbeieilende Laidouni in der Lage, Benjamin Henrichs vom Fernschuss abzuhalten. Und dieser Fernschuss aus 20 Meter landete schließlich sogar im Netz, weil Rönnow trotz freier Sicht nach einer Flugeinlage die Hand nicht richtig an den Ball brachte.

Folglich sahen sich die Köpenicker zur Korrektur des Matchplanes gezwungen, mussten plötzlich mehr wagen, ohne dabei ein weiteres Gegentor vor dem Halbzeitpfiff zu riskieren. Doch mehr als ein Schuss von Sheraldo Becker aus eher ungünstigem Winkel, den Leipzigs Keeper Janis Blaswich um den Pfosten lenken konnte, war bis zum Halbzeitpfiff nicht drin. Auch weil die Leipziger mit Mohamed Simakan, Josko Gvardiol und Lukas Klostermann doch ein paar richtig gute Verteidiger in ihren Reihen haben.
Nach dem Seitenwechsel wurde aber mal wieder offenkundig, was den FCU auszeichnet. Es ist der schon fast unheimliche Glaube an sich selbst und die damit einhergehende Widerstandsfähigkeit, die im Laufe der Partie auch für einen starken Gegner wie RB zum großen Problem wird. Außerdem verfügt Fischers Team dank der Detailarbeit von Co-Trainer Sebastian Bönig über eine unschlagbare Waffe: die Standardsituation.
Mit 101 Stundenkilometern ins Glück
In der 61. Minute prüfte Juranovic mit einem direkten Freistoß aus halbrechter Position jedenfalls gleich mal die Wachsamkeit von Blaswich. Die Folge war ein Eckstoß, den Gießelmann von der rechten Seite mit dem linken Fuß in den Leipziger Strafraum schlug. Szoboszlai klärte nur unsauber mit dem Kopf, was den bis dahin eher unauffälligen Haberer ins Spiel brachte. Und was Haberer aus dieser Gelegenheit machte, war sagenhaft: Der 28-Jährige ging volles Risiko, nahm den Ball volley und jagte diesen in den linken Winkel. Mit 101 Stundenkilometern, wie der Geschwindigkeitsmesser anzeigte.
Zwei Minuten nach dem Ausgleich vollzog Fischer die geplanten Wechsel, brachte Sven Michel und Jordan für Behrens und Becker, was Letztgenannter überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Kopfschüttelnd machte sich der Niederländer auf den Weg zur Ersatzbank, um von dort Zeuge einer mitreißenden Schlussphase zu werden.

Er sah, wie in der 71. Minute Simakan einen Blackout hatte, im eigenen Strafraum, bedrängt von Michel, mit der Hand zu Werke ging, was Schiedsrichter Daniel Schlager mit einem Strafstoß ahndete. Wie Knoche die Verantwortung übernahm und mit einem leicht verzögerten Schuss in die Mitte des Tores zum Jubeln brachte.
Und Becker war Zeuge, wie sich die Dramatik nach dem Führungstreffer weiter steigerte. In der 78. Minute beispielsweise jubelten die Leipziger nach einem Treffer des eingewechselten Yussuf Poulsen ausgiebig über den Ausgleich. Doch denkste: Der VAR hatte Hauptschiedsrichter Schlager auf eine Abseitsstellung hingewiesen, was eine Annullierung des Tores zur Folge hatte.
Der Rest war für alle, Becker inklusive, ein ganz großes Zittern. Ein Zittern mit sechsminütiger Verlängerung über die reguläre Spielzeit hinaus, aber auch - nach zwei weiteren Großchancen für Leipzig in der Nachspielzeit - eins mit einem Happy End.