„Es ist nicht unsere Aufgabe, Chemnitz frei von Nazis zu machen“
Die Vorstandsvorsitzende des Chemnitzer FC, Romy Polster, über das Pokalspiel gegen den 1. FC Union, den Urknall in ihrer Stadt und ein neues Vereinsleitbild.

Chemnitz ist besser als das Image der Stadt. Und der Chemnitzer FC ein Fußballklub, der mehr zu bieten hat als Problemfans und eine glorreiche Vergangenheit. Da ist sich Romy Polster sicher. Vor dem DFB-Pokalspiel gegen den 1. FC Union an diesem Montagabend (18 Uhr) trafen wir die Vorstandsvorsitzende des Regionalligisten in einer Loge im Stadion an der Gellertstraße. Ein Gespräch darüber, wie man Nazis isoliert, Kinder und Jugendliche erreicht und einen Vorwurf entkräftet: „Die will bloß Geld verdienen.“
Frau Polster, die Spieler des Chemnitzer FC laufen in der neuen Saison in einem besonderen Trikot auf, mit dem Schriftzug „DDR-Meister 1967“ auf Nackenhöhe, dazu das Logo des FC Karl-Marx-Stadt. Wie kam es zu dieser Idee?

Wir wollen das Jahr, in dem sich unser größter sportlicher Erfolg zum 55. Mal jährt, den Fans und all unseren Unterstützern etwas näherbringen und den Glauben wieder hochleben lassen: Was schon mal war, kann wieder passieren.
Moment, kann Chemnitz jemals wieder Meister werden?
Die Leute hier in Chemnitz sind zu bodenständig für solche Erwartungen. Es geht um eine gewisse Analogie. Für uns wäre es in der aktuellen Situation ja schon ein Erfolg, wieder im Profifußball anzukommen. Wir wollen die Marke Chemnitzer FC oder damals eben FC Karl-Marx-Stadt wieder bundesweit platzieren.
Zu den größten Erfolgen des Clubs, neben der DDR-Meisterschaft 1967, zählen der Einzug ins Achtelfinale des Uefa-Pokals 1989/90 und das DFB-Pokalhalbfinale 1993. Was macht das mit einem Verein, wenn die Vergangenheit größer ist als es die Gegenwart jemals wieder werden kann?
Darunter leiden kann man gar nicht so sehr. Wir sind stolz auf unsere Tradition und die errungenen Erfolge. Heutzutage herrschen andere Bedingungen, das muss man annehmen. Wenn wir noch in unserer alten Gesellschaftsordnung wären, wäre ein Titel wahrscheinlich ein erreichbares Ziel. Im Hier und Jetzt geht es anders zu. Wir sind ein Traditionsverein – das ist auch heute noch den meisten Spielern, Fans und Sponsoren wichtig.
Über der Südkurve, wo die treusten Anhänger stehen, ist in fetten Lettern „Tradition stirbt nie“ zu lesen. Clubclaim oder Fanwunsch?
Das kam von den Fans. Dahinter versteckt sich der Traum, die Vision, wieder etwas Großes zu schaffen. Wir haben viele Fans, sie sind inzwischen Großväter, die ihre Erinnerungen an 1967 weitergegeben haben. Wir pflegen unsere Tradition. Einmal im Jahr laden wir die Meister von damals ein, dazu alle, die dabei waren oder viel für den Verein getan haben. Wir sagen, lasst uns das zurückholen, das ist das, was uns verbindet, was uns stark macht. Wir verkaufen und leben von Emotionen.
Ist das nur eine Generationsfrage oder steckt da auch eine Haltung dahinter, wenn Chemnitzer Fußballfans ihren Klub immer noch FCK nennen und nicht CFC?
Es gibt einen gesellschaftspolitischen Hintergrund. Ich erinnere mich genau: Es war dramatisch, ganz furchtbar, als Karl Marx damals den Chemnitzern DDR-mäßig aufgesetzt wurde …
… obwohl er ja selbst nie in der Stadt war.
Dafür haben wir heute seinen von Lev Kerbel entworfenen Kopf in der Innenstadt. Mit dem FCK sind einfach die größten sportlichen Erfolge des Vereins verbunden, da hängt viel Nostalgie dran. Doch als der Name Chemnitz nach der Wende zurückkam, hingen viele wieder am alten Traditionsverein FC Karl-Marx-Stadt. So sind sie Menschen nun mal. Sie erinnern und klammern sich gerne an schöne, erfolgreiche Zeiten. Deswegen fühlen sich auch viele dem FCK-Logo verbundener als dem CFC-Wappen. Es ist für uns reizvoll, eine Balance zwischen diesen beiden Phasen zu halten. Diese Herausforderung hat man bei vielen Ostvereinen.
Manchmal passieren dann doch mittelgroße Fußballwunder. Der 1. FC Union ist zwar noch nicht Deutscher Meister, aber der Klub spielt zum zweiten Mal in Folge im Europapokal. Abgesehen vom sportlichen Erfolg: Kann Union ein Vorbild sein für Chemnitz?
Vorbild in einem klassisch definierten Bereich? Nein. Ich würde sagen, dass man an Union sieht, dass es eben doch gehen kann. Wenn die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt hart arbeiten und ihr Bestes geben können, wenn die Fans ihre Kräfte bündeln, dazu die Randbedingungen zufällig passen und etwas Glück dabei ist, dann merkt man: Es liegt nicht nur am Geld. Ich freue mich für Union, man ist hier schon lokalpatriotisch. Wenn Union gegen Hertha spielt, dann halten wir zu Union.
Neben dem Weg der harten Arbeit gibt es noch den Weg des schnellen Geldes. Würden Sie sich wie RB Leipzig für einen Investor öffnen?
Leipzig ist ein ganz anders Model, sie verfolgen andere Ziele. Dort hat man etwas übergestülpt, hat erst gar nicht versucht, eine Mitgliederkultur zu schaffen. Es hätte ja auch ein anderer Standort werden können. Bei aller Kritik hat es der Region aber auch gutgetan. Wir blicken immer von zwei Seiten auf die Dinge: Einerseits sagen viele, RB mache den Fußball, die Tradition kaputt. Anderseits wollen viele Menschen vom Fernseher aus schon sehen, dass ein deutscher Verein weit kommt im Europapokal.
Ist RB Leipzig ein Ostverein?
Es ist zweifelsohne ein Fußballclub mit Sitz in Ostdeutschland. Bei einem echten Ostverein denke ich dann doch eher an Chemnitz, Energie Cottbus, Carl Zeiss Jena oder Hansa Rostock.
In der vergangenen Saison und damit zum ersten Mal in der Stadtgeschichte sind mehr Leute zum Basketball als zum Fußball gegangen. Warum sind die Niners Chemnitz attraktiver zurzeit?
Weil Erfolg sexy macht. Die Niners spielen in der ersten Liga. Wenn wir wieder oben mitspielen, werden auch die Zuschauer zurückkommen.
Ist Basketball der familienfreundlichere Zuschauersport?
Ich glaube, das kann man nicht so explizit herausstellen. Ich bin kein Freund davon, die Sportarten gegeneinander aufzuwiegen. Fußball war schon immer polarisierend. Der Sport lebt mehr als andere von der Rivalität und hat eine enorme Medienpräsenz. Ich selbst habe früher aktiv ganz gut Handball gespielt und bin am Wochenende trotzdem zum Fußball gegangen. Mit der Masse kommen aber auch gewisse Klientel.
Darüber sprechen wir gleich. Zunächst würde ich gerne wissen, in welcher Absicht Sie als Vorstandsvorsitzende selbst zum Stadionmikrofon gegriffen haben. Ende November 2021 war das, um die 1000 Zuschauer anwesend, ein Minusrekord. Sie sollen etwas verzweifelt geklungen haben. Wie schlimm stand es damals um den Verein?
Dazu muss man sich ein bisschen zurückerinnern. Wir waren damals mitten in der Corona-Pandemie. Der Lockdown, die Spiele ohne Zuschauer haben dem CFC, der damals gerade aus der Insolvenz kam, zugesetzt. Wir haben im Sommer 2020 in einer unglaublichen Rettungsaktion mit Hilfe der Fans und Unterstützer eine Summe von einer knappen halben Million Euro aufgebracht und so den Verein vor der Löschung aus dem Vereinsregister gerettet. Die Leute haben gespendet, jeder wie er konnte. Die überwältigende Botschaft, die wir als Verein mitgenommen haben, war, dass es eben doch ganz viele Leute gibt, die nicht wollen, dass der CFC stirbt. Im November 2021 standen wir dann in der zweiten Pandemiephase. Deshalb habe ich mich bei den Fans für die Unterstützung bedankt und appelliert, trotz der vielen Beschränkungen weiter ins Stadion zu kommen, um weitere finanzielle Einbußen zu vermeiden.
Das ist schon eine seltsame Konstellation. Damals noch im Notvorstand aktiv mussten Sie Geld zur Rettung des Vereins auftreiben. Gleichzeitig gehörten Sie mit Ihrer Firma Polster Catering, die seit 2006 das Stadion in Chemnitz mit Wurst und Bier beliefert, zu den Hauptgläubigern. Auf wie viel Geld haben Sie verzichtet?
Ich möchte auf die Zahlen nicht eingehen. Wir haben jedenfalls in all den Jahren einen siebenstelligen Betrag in den Verein investiert.
Im Stadionappell sagten Sie auch: „Das Misstrauen der Fans und Mitglieder – auch gegen meine Person – war groß.“ Warum hat man Ihnen misstraut?
Na ja, da kommt eine Romy Polster daher und sagt: Ich bin jetzt eure Vorstandsvorsitzende. Und dann gibt es so dumme Sprüche wie: „Hm, okay, und wo haben Sie studiert, um dieses Amt ausüben zu können?“ Ich hatte ja mit Fußball beruflich wenig zu tun. Man hat Polster Catering gesehen und gedacht: Die will bloß Geld verdienen. Die entsprechenden Banner hingen dann auch im Stadion. Geschenkt hat man mir nichts. Das Vertrauen, dass ich das hinkriege, dass ich die richtigen Kompetenzen habe, um einen Fußballclub zu führen, mit Partnern zu verhandeln, das musste ich mir erst erarbeiten. Die Leute wussten noch nicht, wie zäh ich sein kann, dass ich nicht wegrenne, wenn es mal heiß wird.
Hatten die Vorbehalte etwas damit zu tun, dass Sie eine Frau sind?
Damit hatte ich in meinem Leben noch nie ein Problem. Ich habe schon immer in einer Männerbranche gearbeitet. Ich bin gelernter Bauingenieur, ich war einer der wenigen Bauleiter auf der Baustelle, wo es hieß: „Mädchen, was machst du denn hier?“ Mit einer gewissen Fachkompetenz und Bodenständigkeit legt sich das wieder schnell. Ich kann als Frau oft Dinge sagen, die sich ein Mann nicht traut zu sagen. Ich kann fragen: „Sorry, was habt ihr hier eigentlich für ein Egoproblem? Lasst uns doch über die Dinge reden, um die es wirklich geht.“
Das machen wir jetzt auch. Ist die Stadt Chemnitz besser als ihr Ruf?
Sagen wir mal so: Wir als Chemnitzer sind besonders selbstkritisch und sehen uns immer noch schlechter als andere.
Woher kommt das?
Das hat was mit Erziehung und Sozialisation zu tun. Es war historisch gesehen schon immer so, dass Chemnitz die Produktionsstadt war. Die Leute haben gearbeitet und sich selten etwas gegönnt. Sie haben nicht gelernt, dass es nichts Schlimmes ist, wenn man mal essen geht, sich draußen hinsetzt und nicht gleich nach Hause muss. In Dresden und Leipzig war das anders. Dort wurde in die Kultur investiert, dort gingen die Menschen irgendwie aufrechter, selbstbewusster durchs Leben. Hier hingegen sagte man: „Gehen sie vor, ich bin ja nur aus Chemnitz.“ Wenn man früher im Urlaub gefragt wurde: „Wo kommst du her?“ hat man nie Chemnitz gesagt, sondern „bei Dresden“ oder „bei Leipzig“. Es wird vielleicht eine Generation dauern, bis sich das auswächst, man sich erfreuen kann an dem, was man geschaffen hat. Da kann der Titel „Kulturhauptstadt Europas 2025“, aber auch der erfolgreiche Sport viel dazu beitragen.
Am 9. März 2019 gab für den verstorbenen Gründer der „Hooligans Nazis Rassisten“ (HooNaRa) Thomas Haller eine Trauerfeier im Stadion. Auf der Anzeigetafel wurde sein Porträt gezeigt. Ein paar Monate zuvor marschierten Neonazis durch Chemnitz, es kam es zu Hetzjagden auf Migranten und linke Aktivisten.
Das Stadtfest und der Vorfall in unserem Stadion, das wirkte zusammen wie ein Urknall. Danach waren alle wach. Etwas, das es offensichtlich schon immer gab, über das aber kaum jemand sprechen wollte, wurde damals der ganzen Welt gezeigt. Ich bin mir sicher, das war so geplant. Dieses laute Bekenntnis, ja, wir sind rechts, hat bei vielen die Reaktion ausgelöst: Das sind wir aber nicht! Diese schlechten Beispiele, dieser zu verabscheuenden Aktionen, haben dazu geführt, dass die Leute sagten: Ich komme aus Chemnitz, ja genau, aus diesem Chemnitz! Denn dann musste man sich bekennen, ob das kompletter Mist war oder das Gegenteil. Identifizieren oder distanzieren. Jeder wusste, worum es geht. Dieser Mut, sich trotzdem zu Chemnitz zu bekennen, zu sagen, wir haben das aber wieder in Ordnung gebracht, hat ein neues Selbstbewusstsein in der Stadt ausgelöst.
Was hat sich verändert seitdem?
Da war dieser Rucksack, den man uns aufgebürdet hat. Dass wir als CFC für alle rechten Strömungen und Strukturen verantwortlich gemacht worden sind. Da mussten wir uns rauszuziehen. Keiner in Chemnitz hat die Aufarbeitung so intensiv betrieben wie wir. Weil wir so ein starkes Motiv hatten. Für den Verein ging es ums Überleben. Es ist nicht unsere Aufgabe, Chemnitz frei von Nazis zu machen, aber unser Stadion schon und damit unseren Teil zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe beizutragen.
Wie macht man das?
Wir haben herausbekommen, wo wir ansetzen müssen, wo die Schnittmenge ist bei den Leuten, die tatsächlich mitmachen oder die nur wegschauen. So konnten wir die Extremen isolieren. Wir haben ihnen gesagt: Wenn ihr nicht aufhört, werden wir auch nicht aufhören. Wenn ihr eine Aktion macht, werden wir eine Gegenaktion machen – und noch lauter sein als ihr. Und wir werden das durchhalten, aushalten, präventiv arbeiten. Wir sind natürlich nicht so naiv, dass wir glauben, dass wir diese Personen in der Masse belehren oder bekehren könnten. An die bestehende Klientel kommen wir einfach nicht ran, die haben ihre Einstellung. Aber wir können die Kinder erreichen, sie raushalten etwa aus der Kampfsportszene.
Im Frühjahr 2019 wurde die Gruppe „CFC-Fans gegen Rassismus“ gegründet. Vorher fiel auf, dass Chemnitz einer der wenigen Standorte im deutschen Fußball war, wo es überhaupt keine anti-rassistische Faninitiative gab, wo auch der Verein kaum aktiv geworden ist. Warum?
Das kann ich nicht beantworten.
Als im vergangenen Sommer Anhänger des CFC mit Naziparolen und Hitlergrüßen durch die tschechische Stadt Most marschierten, sagte der Chemnitzer Oberbürgermeister Sven Schulze: „Die Vorkommnisse im und am Stadion in Most spiegeln die Verankerung von rechtsradikalem, homophoben und damit menschenverachtenden Gedankengut in Teilen unserer Gesellschaft wider. Hier dürfen wir nicht wegschauen.“ Den letzten Satz hat man schon von anderen Politikern gehört und passiert ist trotzdem wenig bis nichts.
Das ist diese Hilfslosigkeit, die man im ganzen Land spürt. Ich habe neulich eine Mail bekommen, da stand drin: „Dann nehmen sie doch Geld in die Hand und tun etwas gegen Rechts.“ Wenn es so einfach wäre. Das Problem lässt sich nicht mit Geld lösen. Es ist ein Prozess, und es fehlten in der Vergangenheit die Ideen. Plakate zeigen, das sind schöne Zeichen, aber diese Bekenntnisse gehen nicht tief genug. Denn es wirkt niemals dort, wo der Keim aufgeht. Und offensichtlich machen diese Gruppierungen in ihrer Welt etwas richtig, etwas, das Initiativen aus der gesellschaftlichen Mitte nicht schaffen. Sonst würden sich dort nicht so viele Menschen aufgehoben fühlen. Wir müssen etwas schaffen, damit Kinder und Jugendliche dieses Gefühl bei uns bekommen. Es ist eine Frage des Ernstgenommenwerdens, des Umsorgens, der Wertschätzung. Du, genau du, du bist uns wichtig!
Der Verein hat jetzt ein Leitbild, über ein Jahr dauerte der Prozess. Gab es so etwas vorher gar nicht?
Nein, nicht mal eine Selbstverpflichtung. Es gab eine Stadionordnung und in der Jugend vielleicht die erklärte Absicht, ehrlich zu sein, fair zu spielen, mehr nicht. Eine richtige Positionierung, ein formuliertes Ziel, wer wir sind, wo wir hinwollen, darum hat sich niemand gekümmert. Hätte es diese Ereignisse nicht gegeben, wäre es auch dabei geblieben. Leitbild? Da hätten die Leute gesagt: „Wozu brauchen wir das?“ Doch nun gab es Druck, und unter Druck packt man auch mal etwas Anstrengendes an. Weil man sich mit den Dingen auseinandersetzen muss, dazu gezwungen wird. Uns war schnell klar, dass ein Leitbildprozess nicht über drei Monate gehen wird. Erst recht nicht unter Pandemiebedingungen. Wir wollten den Prozess auch nicht schnellstmöglich abarbeiten. Wenn das Leitbild gelebt werden soll, müssen alle eingebunden werden. Am Anfang war das vielen lästig, es war schwer, die Leute zu begeistern, die sagten: „Was sollen wir aufschreiben, was nicht andere schon aufgeschrieben haben.“ Aber darum geht es nicht.
Um was geht es dann?
Um einen offenen Prozess, nicht nur für die Mitglieder, sondern für alle, die sich mit dem Verein verbunden fühlen. Wir haben eine Strategiegruppe gegründet, es gab Workshops, es wurden Ideen gesammelt, Fragenkataloge erstellt: Was ist uns wichtig? Wen wollen wir erreichen? Das alles wurde immer weiter verfeinert, es wurde bis zum letzten Halbsatz gestritten, bis das Leitbild im März öffentlich vorgestellt werden konnte.
Wo verliefen die Konfliktlinien?
Viele alte Fans sagten etwa: „Ehre, Treue, Leidenschaft – das waren schon immer unsere Werte, danach streben wir.“ Andere sagten dann, diese Begriffe, in dieser absoluten Reihenfolge, die sind so schlecht besetzt, dass jeder sofort etwas im Kopf hat, das nicht positiv ist. Darüber haben wir gestritten, die Worte umformuliert. Wir haben dann die Leidenschaft in den Vordergrund gestellt.
Wurde darüber gestritten, wie politisch der Verein sein will?
Ja, und es war allen ganz klar, dass wir weltoffen sein wollen. Es war ganz wichtig die Begrifflichkeiten „politische Neutralität“ und „Parteipolitische Neutralität“ voneinander abzugrenzen. Wir stehen für Vielfalt, leben das Leben in allen Formen, wollen uns dabei aber nicht in eine Ecke drängen lassen, weder links noch rechts sein. Wir sind nicht extremistisch. Parteipolitisch neutral zu sein, heißt nicht, sich nicht mehr gesellschaftlich zu engagieren. Die Frage war dann: Wie formuliert man das alles, ohne das eine zu sehr zu öffnen und das andere zu stark zu reglementieren?
Wie soll in Zukunft kontrolliert werden, dass dieses Leitbild auch tatsächlich gelebt wird?
Der Prozess ist noch nicht ganz abgeschlossen. Es wird einen Kontrollkatalog und weitere Treffen der Strategiegruppe geben, auch mit unserem Antirassismusbeauftragten, um gemeinsame Aktionen zu entwickeln. Eine Frage, die wir uns in der Jugendarbeit stellen: Wie können wir es schon früh verhindern, dass Andersartigkeit im Aussehen oder Denken nicht gleich zu Diskriminierung oder Schlimmeren führen?