Felix Magath: „Union Berlin hat eine realistische Chance auf die Champions League“

Am Sonnabend kommt es zum großen Berliner Derby: Hertha BSC gegen den 1. FC Union! Vor dem Duell unterhielt sich die Berliner Zeitung mit Felix Magath.

Felix Magath rettete Hertha BSC vergangene Saison vor dem Abstieg, er verfolgt das sportliche Geschehen in Berlin nun aus der Distanz.
Felix Magath rettete Hertha BSC vergangene Saison vor dem Abstieg, er verfolgt das sportliche Geschehen in Berlin nun aus der Distanz.dpa

Es knistert mal wieder in der Hauptstadt! Am Sonnabend (15.30 Uhr) gastiert der 1. FC Union Berlin im Stadtderby bei Hertha BSC. In der vergangenen Saison stand beim Duell im Olympiastadion noch Felix Magath als Hertha-Trainer an der Seitenlinie, rettete den Verein in zwei Relegationsspielen gegen den Hamburger SV (0:1, 2:0) später vor dem Abstieg.

Magath, der mit seiner Familie in München lebt, fiebert dem Aufeinandertreffen diesmal aus der Distanz entgegen. Im Exklusiv-Interview mit der Berliner Zeitung erklärt er, was bei der Hertha falsch läuft, was Union im Gegenzug richtig macht und warum er der Köpenicker Euphoriewelle trotzdem nicht auf lange Sicht traut.

Berliner Zeitung: Herr Magath, auf welches Szenario muss sich Berlin im Mai eher vorbereiten: Hertha BSC steigt in die 2. Liga ab oder Union Berlin zieht in die Champions League ein?

Felix Magath: Es ist gut möglich, dass beide Fälle eintreten. Union Berlin hat eine realistische Chance auf die Champions League. Wenn man nach der Hälfte der Saison dort oben steht, ist das auch nach 34 Spieltagen noch möglich. Und für Hertha gilt am Tabellenende genau dasselbe. Es wird ganz schwer, sich aus diesem Abstiegsgerangel zu lösen.

Die Situation ist ähnlich prekär wie in der vergangenen Saison. Nicht erst seit dem desaströsen 0:5 gegen Wolfsburg. Warum steht Hertha schon wieder so weit unten?

Ich habe schon nach der Rettung im Mai gesagt, dass es trotz des Klassenerhalts auch weiterhin viele Probleme innerhalb des Vereins gibt. In meiner Amtszeit dort habe ich keine Unterstützung gespürt, weil der Verein viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. So etwas ändert sich nicht in ein paar Wochen, das bestätigt sich jetzt. Diese Probleme kann man nicht nur durch den Kauf einiger neuer Spieler lösen.

Was meinen Sie konkret?

Aus meiner Sicht war der Verein nicht gut geführt. Das unterscheidet ihn zum Beispiel von Union Berlin. Dort gibt es eine klare Struktur, klar verteilte Aufgabenbereiche. Das ist zwar für die Öffentlichkeit weniger aufregend, führt den Verein aber auf Dauer eher zum Erfolg.

Sandro Schwarz und Fredi Bobic haben jüngst erklärt, dass niemand sich Sorgen machen müsse, dass der Ernst der sportlichen Lage nicht erkannt werden würde. Glauben Sie das? War die Stimmung vor der WM-Pause nicht doch zu positiv?

Aus der Ferne habe ich natürlich verfolgt, wie es im Verein weitergeht. Ich hatte tatsächlich auch den Eindruck, dass man rundherum zufrieden war. Im Vergleich zur Vorsaison hatten sich die Vorzeichen mit der Amtsübernahme eines neuen Präsidenten auch geändert, das hat zum allgemeinen Stimmungsbild sicher beigetragen. Ich kann nur sagen, dass das, was ich gelesen und gehört habe, nicht dem entsprochen hat, was ich auf dem Platz gesehen habe.

Am Sonnabend fährt Union Berlin zum Derby ins Olympiastadion. Beim letzten Aufeinandertreffen dort waren Sie noch Hertha-Trainer. Welche Erinnerungen haben Sie an das Spiel?

Ich fand das Spiel nicht so eindeutig, wie es das Ergebnis am Ende (1:4; Anm. d. Red.) ausgesagt hat. Nach einer Viertelstunde haben wir leider eine große Chance auf die Führung verpasst, anschließend hat uns vorne die Durchschlagskraft gefehlt. Union war dagegen mental viel stärker, hat gewohnt körperbetont gespielt und den größeren Willen gehabt, das Spiel zu gewinnen.

Beim letzten Aufeinandertreffen im Olympiastadion siegte Union Berlin mit 4:1. Genki Haraguchi (l.) besorgte die Führung.
Beim letzten Aufeinandertreffen im Olympiastadion siegte Union Berlin mit 4:1. Genki Haraguchi (l.) besorgte die Führung.Imago

Seitdem hat Union die nächsten Schritte nach oben gemacht, steht nach der Hinrunde auf Platz zwei. Hätten Sie dem Verein diese Entwicklung zugetraut?

Ja, weil der Verein gut geführt wird. Union bietet beispielsweise dem Trainer kompletten Rückhalt und Sicherheit.

Und Urs Fischer rechtfertigt dieses Vertrauen Jahr für Jahr aufs Neue.

Er ist einer der besten Trainer der Liga. Ich scheue mich ein wenig davor, von „dem besten“ zu sprechen, weil es den einen in meinen Augen nicht gibt. Der Erfolg eines Trainers hängt immer mit dem Verein zusammen, in dem er arbeitet, und den Spielern, die er zur Verfügung hat. Urs Fischer wurde bei Union zum richtigen Zeitpunkt geholt, und der Verein ist ihm zu Dank verpflichtet, dass er den Aufstieg und im Anschluss diese nachhaltige Entwicklung geschafft hat.

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Zur Person: Felix Magath
Blickt man auf die Trainer-Karriere von Felix Magath zurück, wäre es fast einfacher, die Vereine aufzuzählen, bei denen er noch NICHT tätig war. Er rettete zahlreiche Klubs vor dem Abstieg, wurde mit dem FC Bayern Meister und Pokalsieger, führte auch den VfL Wolfsburg sensationell zum Titel in der Bundesliga. In der vergangenen Saison holte ihn Fredi Bobic als Retter zu Hertha BSC. Der 69-Jährige hielt die Berliner in den Relegationsspielen gegen den Hamburger SV in der 1. Bundesliga. Danach zog er wieder zu seiner Familie nach München.

Sehen Sie in der Bundesliga einen Verein, der in Bezug auf Ruhe und Kontinuität mit Union vergleichbar wäre?

Man muss sich doch nur die Tabelle anschauen. Bayern steht oben, und dann kommen Mannschaften wie Union oder Freiburg, wo der Trainer die Hauptrolle im Verein spielt. Frankfurt ist auch noch ein gutes Beispiel, dort wird mittlerweile ebenfalls hervorragende Arbeit geleistet. Hieran sieht man, dass auch Traditionsvereine bei guter Führung erfolgreich sein können.

Beeindruckend ist vor allem die Tatsache, dass Union es immer noch schafft, sich weiter zu steigern, obwohl die Leistungsträger der Mannschaft regelmäßig weggehen. Im vergangenen Jahr Max Kruse, Grischa Prömel oder Taiwo Awoniyi. Gerade erst Julian Ryerson, der nach Dortmund gewechselt ist.

Für neue Spieler, die die Genannten ersetzt haben, ist es leichter, sich zu integrieren, wenn alle Positionen klar abgesteckt sind. Sie kommen in eine funktionierende Struktur, in ein harmonisches Gebilde hinein und können sich schnell akklimatisieren. Das sieht man dann auch auf dem Platz.

Wenn man aktuell das Haar in der Suppe suchen will, ist es die Personalie Jordan Siebatcheu. Nach tollem Start trifft er nicht mehr, saß zuletzt in Bremen nur auf der Bank. Wie beurteilen Sie sein derzeitiges Leistungsloch?

Sehen Sie mir nach, dass ich diese Frage nicht seriös beantworten kann. Dafür bin ich einfach viel zu weit weg. Sie können aber sicher sein, dass Urs Fischer in der Lage ist, das zu moderieren. Das hat er schon oft genug bewiesen. Ich sehe eher eine andere Schwierigkeit …

Nämlich?

Ich glaube, dass es auf Dauer problematisch wird, jeden hochkarätigen Abgang gleichwertig zu ersetzen. Auch Union Berlin wird das nicht immer gelingen. Der Trainer holt aus der Mannschaft das aktuelle Maximum heraus, sie sind am Limit. Die Frage wird daher sein, ob sie es dauerhaft schaffen werden, sich unter den ersten sechs Mannschaften in Deutschland zu etablieren.

Zurück zum Derby am Sonnabend: Wo werden Sie das Spiel verfolgen, und drücken Sie der Hertha die Daumen?

Ich werde mir zu Hause die Konferenz anschauen, da in der Bundesliga ja immer noch einige Vereine spielen, bei denen ich tätig war. Außer dem Hamburger SV drücke ich keinem Verein speziell die Daumen. Bei Hertha hatte ich eine Aufgabe zu erfüllen, habe sie mit hundertprozentigem Einsatz durchgeführt und bin danach wieder gegangen. Auch aus Respekt vor meinem Nachfolger habe ich den Kontakt nach Berlin seitdem nicht mehr gesucht. Das habe ich bei all meinen Vereinen so gehandhabt.

Und wie geht das Spiel aus?

Da möchte ich mich wirklich nicht festlegen. Ich glaube, dass es eine knappe Kiste wird. Union hat zwar die letzten vier Duelle gewonnen, das heißt aber nicht, dass das jetzt immer ein Selbstläufer wird.

Das Interview führte Nils Malzahn.