Union Berlin und der Fluss an der Alten Försterei: „Wenn’s weg wär, wären alle traurig“

In der Wuhle lebt der Dreistachlige Stichling. Er ist eine der letzten Fischarten hier. Union-Fans haben am Ufer ihren Lebensraum. Pflegen die Eisernen eine besondere Beziehung zur Wuhle?

Union-Fan Jockel Prüwer
Union-Fan Jockel PrüwerBenjamin Pritzkuleit

Neben dem Stadion an der Alten Försterei nagt ein Biber an allem, was nicht biberfest ist. Mitten im Kiez, wo Becker, Behrens und Co. Tore jagen. Fleißig nagt er immerzu, um seinen Damm zu bauen. Einige Baumstämme stehen im Sommer nur noch spitz auf spitz oder sind ganz umgefallen. Der Lärm, der vom Fußballstadion herüber tönt, scheint das Tier nicht zu stören.

Jetzt macht der Bezirk Köpenick dem Biber einen Strich durch die Rechnung. Die meisten Bäume sind mittlerweile mit dichten Metallgittern umzäunt. Das Nagetier muss sich neue Ufer suchen, wenn es nicht will, dass der Wasserpegel sinkt. Doch das passiert sowieso. An manchen Stellen ist die Wuhle nur noch ein Rinnsal.

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EISERN Magazin Nr. 7
Die neue Ausgabe des EISERN Magazins – jetzt am Kiosk oder hier bestellen! Auch in der Edition Nr. 7 erzählen wir die Geschichten hinter der Erfolgsgeschichte des 1. FC Union Berlin. So haben wir uns mit Starspieler Sheraldo Becker getroffen, um mit ihm über seinen Weg von Amsterdam nach Köpenick, seine Familie und seine Träume zu sprechen. Co-Trainer Markus Hoffmann erklärt uns in einem Interview, warum er nicht mit Chefcoach Urs Fischer tauschen möchte. Darüber hinaus porträtieren wir Katharina Kienemann, die als Geschäftsführerin der Alte Försterei Veranstaltungs-GmbH & Co. KG die Verantwortung über sieben Abteilungen im Klub trägt. Schließlich haben wir Claus Peymann, der seit 20 Jahren in Köpenick lebt, einen Besuch abgestattet. Im Gespräch outet sich der Theaterregisseur als leidenschaftlicher Fan des Vereins, spricht über die Verwandtschaft zwischen Theater und Fußball beziehungsweise die zwischen dem Berliner Ensemble und Union Berlin. Das Magazin ist ab sofort im Handel erhältlich.

„Im Vergleich zu DDR-Zeiten hat es sich hier naturmäßig verbessert“

Die Wuhle ist ein Nebenfluss der Spree. Sie entspringt in Brandenburg im Landkreis Barnim bei Ahrensfelde, läuft entlang der Schmetterlingswiesen von Biesdorf, streift den Wuhlesee und mündet an einem Skatepark im großen Hauptstadtfluss. Und sie fließt vorbei am Stadion von Union Berlin. Das mag im ersten Moment egal klingen, doch wurden sogar schon Fanklubs nach der Wuhle benannt. So hat sich beispielsweise das „Wuhlesyndikat“ zusammengeschlossen. Der Klub gehört zu den Ultras des Vereins.

Jockl Prüwer ist ebenfalls eingeschworener Fan von Union Berlin. Zu den Spielen nimmt er den Weg durch den Wald. Der ist auf der anderen Seite des Stadions. Auf der Süd-Seite befindet sich der Wuhlewanderweg. Den Wuhlewanderweg nimmt Prüwer ab und zu mit dem Hund. Er ist in Köpenick aufgewachsen und erinnert sich. „Im Vergleich zu DDR-Zeiten hat es sich hier naturmäßig verbessert“, sagt er. Doch auch ihm ist aufgefallen, dass der Fluss in letzter Zeit nicht mehr so klar ist. 

„Wenn’s weg wär, wären alle traurig“

Die Trockenheit der vergangenen Jahre macht der Wuhle zu schaffen. Viele Wasserbewohner, darunter Muscheln, Schnecken und Insekten, können in dem wenig „strukturreichen“ Lebensraum nicht überleben. Dies hat Auswirkungen auf die Existenzgrundlange von Fischen und Vögeln. Die Artenvielfalt in diesen Teilen von Berlin und Brandenburg ist bedroht. 

Die Wuhle am Stadion an der Alten Försterei
Die Wuhle am Stadion an der Alten FörstereiBenjamin Pritzkuleit

Im Bereich des Stadions, kurz vor der Spreemündung, fließt die Wuhle noch in einem etwa fünf Meter breiten Graben. Prüwer hat von der Entwässerung des Flusses noch nicht viel bemerkt. Er nimmt die Information, dass die Wuhle austrocknet „normal hin“, aber ist sich sicher: „Wenn’s weg wär, wären alle traurig.“

Selbst die Mülleimer sind in Union-Farben bemalt

Hinter dem Forum Köpenick führt eine Rampe runter auf den Wuhlewanderweg. Am Sonntag spazieren hier Familien in Richtung Altstadt Köpenick. Neubauten mit Solardächern säumen das rechte Ufer. Dann ein Zebrastreifen. Noch ein Haus und das Union-Gelände beginnt. Sichtbar. Bänke in Union-Farben stehen am Wegesrand. Selbst die Mülleimer sind hier rot-weiß.

Der Fußballverein räumt einmal im Jahr „seinen“ Fluss auf. Ausgerüstet mit Besen, Greifern und Mülltüten befreien Fans das Ufer von Coffee-to-go-Bechern, Mülltüten und Co. Die vereinseigene Stiftung nennt das „Bachparty“.  Nach der Aktion gibt es für alle Helfer Bockwurst und Bier.

Die große Wuhle-Runde

Bockwurst, Bier und Union mag auch Thorsten Descher. Für ihn ist der Besuch im Stadion wie ein Familientreffen. Er lebt wie Jockl Prüwer in einem Haus am Ufer der Wuhle, keine 1000 Meter von der Alten Försterei entfernt. Die Briefkästen sind mit Fußball-Stickern beklebt. Auf dem Balkon von Thorsten Descher, von dem man im Winter, wenn die Bäume ohne Blätter sind, bis zu den „Unionies“ schauen kann: Eine riesige Fahne mit dem Logo seines Lieblingsvereins. Beinahe wäre sie noch größer geworden. „Im Suff hab ich mal gesagt, dass ich mir einen Sechs-Meter-Mast mit Union-Flagge kaufe.“ 

Descher zeigt die große „Wuhlerunde“. Sie beginnt parallel zum Wuhlewanderweg, wo ein schmaler Trampelpfad am rechten Ufer der Wuhle entlang führt. Dann geht es rechts vorbei an der Alten Försterei und zurück durch den Wald. Descher redet lieber über die Pläne des Fußballvereins als über die Wuhle. 

Menschliche Nutzung des Flusses zerstört Artenvielfalt

„Die Wuhle ist die Wuhle“, sagt er lakonisch. Knapp berichtet er von dem Schwan, der hier im letzten Sommer gebrütet hat. Der habe sich nicht von Spaziergängern stören lassen. Descher mag die Gegend nicht nur wegen der Nähe zum Stadion. Wenn hier Schnee liege, sei es „wie im Urlaub“. Seine Frau habe den Biber schon beim Gassigehen beobachtet. Deschers Hund habe sofort an der Leine gezogen. 

Dass die Wuhle vor etwa 150 Jahren mehr war als nur die Wuhle, in der ein Biber, Enten und Schwäne hausten, weiß Thorsten Descher nicht. Damals tummelten sich hier Fische, Lurche, Fluss- und Kleinkrebse, Insektenlarven und Muscheln. Nur der Dreistachlige Stichling und wenige weitere Arten haben bis heute durchgehalten. Schuld ist die menschliche Nutzung des Flusses.

Berlin will die Wuhle renaturieren

Ein kleines Stück bis zu den Fußballplätzen vor dem Stadion ist noch unbebaute Grünfläche. Noch ist nichts über Pläne der Stadt bekannt, diesen Abschnitt bewohnbar zu machen. Jockl Prüwer würde das auch nicht wollen. „Bloß nicht weiterbebauen“, sagt er, obwohl er sich nicht vorstellen kann, dass die Wuhle austrocknet. Er erinnert sich allerdings daran, dass die Wuhle zu DDR-Zeiten kaum zugefroren war, „weil sie schneller floss“.

Seit einigen Jahren plant die Stadt, die Wuhle zu renaturieren. Der Fluss soll wieder einen guten ökologischen Zustand erreichen. Federführend in der Planung der Maßnahmen war der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, zu Zeiten als er noch Senator für Stadtentwicklung und Umwelt war. Die Wuhle soll wieder natürlicher fließen. Ziel sei es, so Müller, die Wuhle „als innerstädtischen Naturraum (…) neu zu beleben“.

Der Wuhlegarten

Die Wuhle-Seite des Union-Geländes sei die „ruhige Seite“ , sagt Thorsten Descher. Ab und zu fährt er den Wuhlewanderweg mit dem Fahrrad entlang. Er lebt hier seit sieben Jahren. Früher hat er in Brunsdorf gewohnt. Als ihm die Wohnung mit dem Blick aufs Union-Stadion angeboten wurde, hat er gesagt: „Das wär doch der Brüller!“

Noch näher zum Stadion als die beiden aus der Hämmerlingstraße haben es nur die Fans, die den Wuhlegarten bewirtschaften. Der Wuhlegarten befindet sich am Südufer der Wuhle und ist kein Kleingartenverein, sondern ein Gemeinschaftsgarten. Wer Mitglied im Verein werden will, verpflichtet sich, in der Gemeinschaft aktiv zu werden. Gäste sind während der Saison eingeladen, sich mit ihrem Picknick im Garten niederzulassen und dort zu verweilen.

„Zu Union gehst du nicht zum Fußballgucken“

Nachbar Descher will hier nicht mehr weg. Köpenick und das Stadion sind sein Zuhause. „Stadt brauch ich nicht mehr“, sagt er. „Mir würde dit hier reichen.“ Der Verein bedeutet Descher viel. Er ist seit den 60er-Jahren Fan des 1. FC. Wenn er zum Stadion geht, geht er nicht zum Fußball, sondern zu Union, sagt der Mann, der Mütze und Jacke mit Union-Emblem trägt. Jockl Prüwer geht es ähnlich. „Zu Union gehst du nicht zum Fußballgucken.“

Union-Graffiti am Ufer der Wuhle
Union-Graffiti am Ufer der WuhleBenjamin Pritzkuleit

Nur wenige große Stadien in Deutschland liegen an einem Fluss. Das Neckarstadion des VfB Stuttgart – unter Protest der Fans 2008 umbenannt in Mercedes-Benz-Arena – und das Weserstadion des SV Werder Bremen zum Beispiel. Allein schon die Namen der Stadien belegen die besondere Beziehung der Vereine zum jeweiligen Fluss. Die Wuhle am Stadion des Bundesligisten Union Berlin scheinen viele Fans zwar wahrzunehmen und zu pflegen, doch wirklich innig ist die Bindung nicht. Das mag daran liegen, dass die meisten Fußballfans den Weg durch den Wald zum Stadion nehmen. Nur wer zum Gästeblock will, läuft den Wuhlewanderweg entlang.

Ein Union-Graffiti am Nordufer der Wuhle

Früher habe Prüwer seinen Sohn in der Halbzeit auf dem Wuhlewanderweg nach Hause gebracht. Wie er und seine Frau sei auch sein Sohn Mitglied im Verein. Wenn man in Köpenick groß geworden sei, habe man automatisch einen Bezug zu Union. Er selbst sei schon als kleiner „Piefke“ hierhergekommen, und habe sich angehört „was die Großen so von sich gegeben haben“.

Ein Eichhörnchen huscht durch den Wuhlegarten. Enten watscheln am Ufer entlang und auf der Wasseroberfläche bilden sich kleine Kreise. Gut möglich, dass hier gerade der Dreistachlige Stichling durch das dunkelgrüne Wasser schwimmt. Stadt und Bewohner haben die Hoffnung, dass sich die Natur hier weiter ausbreitet, neben dem Stadion an der Alten Försterei. 

Das Herzstück des Wuhlewanderwegs bildet ein Graffiti am Nordufer des Flusses. Auf einem Stück Mauer steht da in Rot-Weiß: „Union vereint“. Und darunter in schwarzen Lettern: „Schulter an Schulter“. Daneben ein Graffiti mit dem Schriftzug: „Zwischen Wiesn und Wäldern, Tälern und Seen – Oh Köpenick, du bist so wunderschön.“ Ein paar Bäume zuvor hat der Biber genagt.

Dieser Text erschien zuerst im EISERN-Magazin Nr. 7 (Jetzt am Kiosk!)