Klarer Geist, stabiler Körper: Warum Robin Knoche so wichtig ist für Union

Den kommenden Gegner der Eisernen kennt Robin Knoche aus seiner Jugend. In Wolfsburg begann eine Karriere, die ihren Höhepunkt vielleicht noch nicht erreicht hat.

Unions Robin Knoche im Torjubel
Unions Robin Knoche im Torjubelopokupix/imago

Einen wie Thomas Müller wird es so schnell wahrscheinlich nicht geben, nirgendwo. In seiner 23. Saison trägt der 33-Jährige das Trikot der Bayern, erst im Nachwuchs und in der zweiten Mannschaft, seit anderthalb Jahrzehnten in der Bundesliga. 431-mal ist er dort bislang aufgelaufen, ein Vereinsrekord, und ein Ende nicht in Sicht. Eher der zwölfte Meistertitel. Dabei hat der Marathonmann in Deutschland schon jetzt so viele Meistertitel gewonnen wie kein anderer Spieler.

Was Müller für die Bayern, ist Christopher Trimmel für den 1. FC Union. Zumindest vom Gefühl her, auch wenn er an Müller nicht herankommt und ihn auch nie erreichen wird. Seit 2014 ist der Österreicher ein Eiserner und damit der mit Abstand dienstälteste Spieler der Köpenicker. Aber er ist eben auch schon 36, und in einem solchen Alter warten auf einen Fußballprofi nicht mehr allzu viele Verträge.

Inzwischen aber gibt es jemanden, der in Köpenick in die Fußstapfen von Trimmel treten könnte, zumal derjenige weiß, wie es ist, in einem Verein jeden und alles zu kennen und, wie Müller in München, sozusagen zum Inventar zu gehören. In seinem Fall gehört zu haben: Robin Knoche. Er war für den VfL Wolfsburg, bei dem Union am Sonntagabend antritt, einst der Spieler mit der längsten Verweildauer. Oder freundlicher: der mit Stallgeruch. Als 13-Jähriger kam er von Olympia Braunschweig zum VfL, debütierte mit 19 in der Bundesliga und absolvierte 183 Bundesligapiele. Lediglich fünf Wolfsburger kommen auf mehr.

Noch heute mutet es komisch an, dass sich vor drei Jahren der damalige VfL-Trainer Oliver Glasner und der einstige Geschäftsführer Sport Jörg Schmadtke einig waren, den Vertrag ihres Dauerbrenners nicht zu verlängern. Dass Knoche das Zeug zu mehr hat als zum Mitläufer, hat er einst in den Auswahlmannschaften der U20 und U21 gezeigt. Es ist alles andere als selbstverständlich, von dort in die Bundesliga zu kommen. Knoches damaliger Mitspieler Michael Vitzthum hat es nicht geschafft, er hat nach nur 14 Zweitligaspielen seine Karriere wegen einer Hüftverletzung mit 28 Jahren beendet. Christopher Avevor brachte es auf sieben Bundesligaspiele und spielt derzeit beim Zweitligisten St. Pauli.

Für den Meistertitel, den der VfL 2009 gewonnen hat, war er deutlich zu jung

Andere aus jenem Jahrgang dagegen haben viel mehr gemacht aus ihrem Talent. So Shkodran Mustafi, Eric Durm und Matthias Ginter, die 2014 zum deutschen Aufgebot gehörten, das in Brasilien Weltmeister geworden ist. Marc-André ter Stegen wiederum ist als Torhüter seit neun Jahren beim FC Barcelona eine anerkannte Größe, Antonio Rüdiger organisiert die Defensive nach fünf Jahren beim FC Chelsea nun bei Real Madrid, Leon Goretzka hat seine feste Rolle beim FC Bayern gefunden.

Und Robin Knoche? Er ist nicht Weltmeister geworden und hat, obwohl er im Herbst vorigen Jahres zum erweiterten Aufgebot für die WM in Katar gehört hatte, kein A-Länderspiel bestritten. Für den Meistertitel, den der VfL 2009 gewonnen hat, war er deutlich zu jung. Den Pokaltriumph, den die Wolfsburger 2015 errungen haben, hat er von der Ersatzbank aus erlebt. Es wäre ein klein wenig mehr gegangen, es hätte aber auch weit mieser laufen können. Knoche hat sich in guter Mitte eingereiht, ein ganzes Stückchen darüber sogar.

Union Berlin gegen Union St. Gilloise: Robin Knoche (2.v.l.) jubelt mit Teamkollegen nach seinem Treffer zum 2:2.
Union Berlin gegen Union St. Gilloise: Robin Knoche (2.v.l.) jubelt mit Teamkollegen nach seinem Treffer zum 2:2.Andreas Gora/dpa

Außerdem ist es, so wenig er mit seinem Wechsel nach Köpenick damit rechnen konnte, noch lange nicht zu Ende. In der Alten Försterei hat der Defensivmann längst sein neues Glück gefunden. Als es vor gut einem Jahr darum ging, seinen Zwei-Jahres-Vertrag zu verlängern, waren sich beide Seiten bald einig. Für Knoche ist der Osten Berlins eine zweite Heimat geworden. „Wenn du nach 15 Jahren zu einem neuen Verein wechselst“, hatte er damals gesagt, „dann musst du dich erst einmal an viele neue Dinge gewöhnen. Doch ich habe mich von Beginn an sehr wohlgefühlt. Das hat mir die Entscheidung leicht gemacht.“

Schier unverzichtbar ist er bei Trainer Urs Fischer geworden. In seiner ersten Saison in Berlin hat Knoche alle Spiele bestritten, in der zweiten hat er einmal wegen einer Gelbsperre gefehlt. In der laufenden Spielzeit hat er nur einmal nicht gespielt, beim 0:2 im Herbst bei Eintracht Frankfurt. Das Beste aber: Bis auf ein Spiel, wieder ein 0:2 vor gut zwei Jahren in Dortmund, war er sonst 90 Minuten dabei, also immer, vor allem ist er ohne Verletzung geblieben. Das hält bei einem Programm wie dem der Rot-Weißen, die zum zweiten Mal auf drei Hochzeiten tanzen und deren Spiel vor Intensität nur so strotzt, nur einer durch, der einen stabilen Körper und einen klaren Geist hat.

Das ist der blanke Wahnsinn und für einen Feldspieler regelrecht irre

In Zahlen ist das noch viel gewaltiger. Hätten die Eisernen seit Knoches Anheuern ihre Pflichtspiele in der Liga, im DFB-Pokal und nun zum zweiten Mal in Europa am Stück bestritten, wären sie – ohne manchmal ausufernde Nachspielzeit – ununterbrochen sieben Tage und zehn Stunden beschäftigt gewesen und ihr Abwehrchef hätte sich gerade mal ein Päuschen von nicht einmal dreieinhalb Stunden genommen. Das ist der blanke Wahnsinn und für einen Feldspieler regelrecht irre.

Längst wissen sie am Rande der Wuhlheide, dass Knoche mehr kann als eine Defensive zu organisieren und sie stabil zu bekommen. Das eine gelingt ihm so gut, dass die Eisernen in der Liga mit 27 Gegentoren die zweitbeste Abwehr nach den Bayern stellen. Ab und an bekommt diese Stabilität zwar den einen oder anderen Riss und erst am Donnerstag, beim 3:3 im Hinspiel des Achtelfinales der Europa League gegen Royale Union St.-Gilloise, hat es nicht reibungslos funktioniert. Deshalb hatte Unions Mister Zuverlässig ausgerechnet an seiner Kernkompetenz in Sachen Torabsicherung Abstriche zu machen. „Bei zweieinhalb der drei Gegentore haben wir uns zu dumm angestellt, so ehrlich muss man sein“, gab er zu, „der Gegner schießt dreimal aufs Tor und dreimal ist der Ball drin. Das darf uns nicht passieren. Am Ende sind wir glücklich und froh, dass wir noch das 3:3 machen.“

Solch eine Portion Dusel könnten die Eisernen in Wolfsburg gebrauchen

Auch Knoche war als Hauptdarsteller sowohl hinten als auch vorn unmittelbar beteiligt, als die Berliner gegen die Belgier dreimal in Rückstand gerieten, dreimal aber ausglichen. Und er war als einer gefragt, der Elfmeter kann. Weil er schon in der Gruppenphase gegen Malmö FF und Sporting Braga (jeweils 1:0) und in den Play-offs beim 3:1 gegen Ajax Amsterdam vom Punkt getroffen hatte, übernahm er beim Stand von 1:2 erneut Verantwortung. Diesmal hatte er ganz viel Glück im Unglück. Obwohl er an Royale-Schlussmann Anthony Moris gescheitert war, nutzte er den Abpraller dennoch zum zwischenzeitlichen 2:2.

Solch eine Portion Dusel könnten die Eisernen auch in ihrem Spiel in Wolfsburg gut gebrauchen, um in ihrem Kampf um einen erneuten Platz in Europa zu punkten. Auf Knoche sollte wieder Verlass sein. Zumal er einer ist, der in Wolfsburg jeden Grashalm kennen sollte.