„Herz und Arbeit“: Warum Josip Juranovic ein Glücksfall für Union ist
Im Eiltempo hat Josip Juranovic eine Lücke im Personal des 1. FC Union geschlossen. Nun beginnt für ihn mit Kroatien die EM-Qualifikation.

Dieser Typ passt ganz und gar nicht ins Beuteschema von Oliver Ruhnert. Vielleicht fühlte sich der Geschäftsführer Profifußball des 1. FC Union Berlin etwas überrumpelt von den Ereignissen Ende Januar. Zumindest in seiner Zeit in Köpenick war ihm das zuvor noch nicht passiert. Die Winterpause war zu Ende, die Wechselperiode rund um den Jahreswechsel aber noch nicht. Dafür hatte die Restsaison längst begonnen und die Personalien für die ausstehende Spielzeit waren festgezurrt. Plötzlich aber mussten die Eisernen ohne Julian Ryerson auskommen. Von einem Tag auf den anderen war der Norweger, der auf nahezu jeder Position in Abwehr und Mittelfeld einsetzbar und bei den Fans auf ihrer Beliebtheitsskala weit nach oben geklettert war, nicht mehr da. Von Borussia Dortmund über Nacht weggeschnappt mit der Aussicht auf Spiele in der Champions League.
Ruhnert, so etwas wie der Schnäppchenjäger seiner Zunft, hatte gemeinsam mit Trainer Urs Fischer ein Problem. Ein mittelschweres zumal. Häufig war es beiden gelungen, Spieler auf andere Art zu verpflichten, als die Konkurrenz es tut. Ein wenig in die Jahre gekommene Alt-Stars wie einst Christian Gentner und Neven Subotic waren darunter, anderswo unzufriedene Spieler mit Potenzial wie Taiwo Awoniyi und Joel Pohjanpalo, auf den Durchbruch wartende Jungs wie Robert Andrich, Marius Bülter und Kevin Behrens, wieder woanders nicht mehr gewollte Haudegen wie Robin Knoche und Janik Haberer oder sogenannte schwierige Typen wie Max Kruse. Diese Klaviatur beherrscht Ruhnert virtuos.
Die vergangenen Monate waren für Juranovic spektakulär
Auf die aktuelle Situation jedoch passte dieses Schema nicht. Außerdem musste es schnell gehen. Die Integration bei den Eisernen läuft erfahrungsgemäß im Eiltempo ab, nur mussten diesmal noch zwei, drei Gänge höhergeschaltet werden. Der Neue sollte nicht erst morgen ins Gefüge eingepasst werden, sondern gefühlt schon gestern.
Was oft ein schmaler Grat ist, klappt in Köpenick seit Jahren, als hätten sie dort darauf ein Patent. Die Lösung für diesen kniffligen Fall heißt also Josip Juranovic, Kroate, mit 27 Jahren im besten Alter für einen Fußballer, in Polen mit Legia Warschau Meister und in Schottland mit Celtic Glasgow sowohl Meister als auch Pokalsieger geworden. Deutsch war ihm auch nicht fremd. Acht Jahre lang hatte er Vokabeln und Grammatik in der Schule gepaukt, mit ein paar Brocken kann er sich schon jetzt passabel verständigen. Als er gefragt wurde, wann er sein erstes Interview in der für ihn noch fremden Sprache führen wird, sagte er: „Gebt mir ein halbes Jahr.“
Das ist noch längst nicht vorbei, die vergangenen Monate waren für Juranovic dennoch spektakulär. Erst spielte er mit Celtic in der Champions League gegen Real Madrid, RB Leipzig und Schachtar Donezk, dann wurde er mit Kroatien in Katar WM-Dritter. Seit dem 22. Januar trägt er das Trikot des 1. FC Union und hat sowohl in der Bundesliga als auch in der Europa League seine ersten durchaus markanten Spuren hinterlassen. Ganze drei Tage nach seiner Vertragsunterschrift servierte er in Bremen bei seinem Bundesligadebüt einen Eckball derart souverän Richtung Kevin Behrens, dass der Angreifer diese Maßvorlage zum 2:1-Siegtreffer nutzte. In der Europa League traf er beim 3:1 gegen Ajax Amsterdam aus dem Spiel heraus, beim 3:3 gegen Royale Union Saint-Gilloise versenkte er einen direkten Freistoß und beim 1:1 in Wolfsburg verwandelte er mit Schmackes einen Elfmeter.
Sieben Unioner sind mit ihren Nationalteams unterwegs
Das Erstaunliche an diesem Elfmeter ist nicht, dass Juranovic das kann. Das Erstaunliche ist, dass er das darf. Das hat nämlich nicht allein mit Qualität und Nervenstärke zu tun, sondern viel mehr mit der Stellung im Team, mit der Hierarchie. Als Juranovic sich den Ball wie selbstverständlich schnappte und zum Punkt ging, war er gerade den 51. Tag dabei. Es war ein Statement. So schnell hat es damals nicht einmal Max Kruse geschafft – und der war, gerade was Elfmeter angeht, kalt wie Hundeschnauze und hat sie nahezu blind reingemacht.
Derzeit ist Juranovic einer von sieben Spielern der Eisernen, die mit ihren A-Nationalteams auf Reisen sind. Während Sheraldo Becker für Suriname und Aissa Ladouni für Tunesien nominiert sind und Jerome Roussillon erstmals für Guadeloupe berufen ist, ist Juranovic mit Kroatien wie Frederik Rönnow mit Dänemark, Morten Thorsby mit Norwegen und Diogo Leite mit Portugal in der EM-Qualifikation gefordert.
Bei Juranovic passt die Reise wie die Faust aufs Auge, denn gegen Wales spielt der WM-Dritte am Sonnabend in Split. Bei Hajduk, dem Traditionsklub, schaffte er den Durchbruch und wurde hier 2017 Nationalspieler. Das Stadion Poljud ist somit der perfekte Ort, um zu seinem 28. Länderspiel aufzulaufen.

Nervös, so scheint es, wird ihn das nicht machen. In der Champions League und bei der WM in Katar waren die Gegnernamen klangvoller. Nicht einmal vorm Halbfinale gegen Argentinien kam Lampenfieber auf. „Ich hatte im Kopf“, erzählte Juranovic im englischsprachigen Podcast „Sweetman in the lounge“, den der 1. FC Union veröffentlicht, „dass ich das wahrscheinlich größte Spiel meines Lebens bestreiten werde. Mir war klar, dass ich gut schlafen und mich mit Lionel Messi auf den wohl größten Spieler der Welt vorbereiten muss“. Selbst aus dem Umstand, dass die Kroaten gegen den späteren Weltmeister 0:3 verloren, zieht Juranovic nur Positives: „Wir haben ja eine Medaille geholt. Die kann ich später meinen Kindern zeigen, ihnen von allem erzählen und ihnen sagen, dass ich etwas Wunderschönes gewonnen habe.“
Weil sie all das in Köpenick wussten, gingen sie mit seiner Verpflichtung nicht das geringste Risiko ein. Im Gegenteil. Mit ihm scheinen sie mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Juranovic ist glücklich, in einer namhaften Spielklasse und in einem Team angekommen zu sein, das in den vergangenen Jahren über sich hinausgewachsen ist und das sich auf dem besten Weg zu einer konstanten Größe vielleicht sogar in Europa befindet. „Mit dem Wechsel zu Union hat sich ein Traum erfüllt, in einer der besten Ligen der Welt spielen zu dürfen“, sagt er. In der Alten Försterei sind sie genauso happy. Bei seiner Ankunft hatte Oliver Ruhnert den Neuen, den Celtic-Coach Ange Postecoglou in Glasgow gerade mit den Worten „Josip Juranovic verlässt uns als fantastischer Spieler“ verabschiedet hatte, so angekündigt: „Josip wird mit seinem Tempo, seiner Erfahrung und seinen Fähigkeiten gut zu uns passen.“ Der jedenfalls versprach gleich zu Beginn: „Herz und harte Arbeit.“
Diese Konstellation birgt den einen oder anderen Zündstoff
Am wichtigsten aber wird sein, dass Juranovic nicht nur die Lücke schließt, die mit dem Weggang von Julian Ryerson für den Moment entstand, sondern dass er in die Fußstapfen von Christopher Trimmel treten könnte. Der Österreicher, seit 2014 im Verein und seit 2018 Kapitän, gehört als dienstältester Spieler längst zu den eisernen Legenden, mit 36 Jahren aber zu den Oldies der Liga.
Trimmel wird eher früher als später über den perfekten Zeitpunkt für sein Karriereende nachdenken. Ein Neuer hat nun das Zeug dazu, in seine großen Fußstapfen zu treten. Diese Konstellation birgt den einen oder anderen Zündstoff. Selbst bei Österreichs Teamchef Ralf Rangnick fand Trimmel für den Start in die EM-Qualifikation mit den Spielen gegen Aserbaidschan und Estland keine Berücksichtigung. Unions Capitano steht auf der Abrufliste.
Ein Problem sollte das in der Alten Försterei nicht werden. Überaus vernünftig gehen sowohl Trimmel als auch Fischer mit der Situation um. Und Juranovic sowieso. „Wenn man auf dem Feld und auch außerhalb ein gutes Verhältnis hat und das Klima im Team stimmt, macht dich Konkurrenz immer besser. Ohne Substanzverlust kann niemand 50 Spiele oder mehr hintereinander machen. Man braucht Pausen, muss aber keine Angst um seine Position haben, weil der Trainer häufig rotieren lässt.“
Somit könnte es durchaus sein, dass Juranovic in einer Woche gegen den VfB Stuttgart auf der Bank bleibt und Trimmel für ihn in die Startelf rückt. Auch das wäre ein Zeichen von Herz und harter Arbeit.