Andersson, Kruse, Awoniyi und jetzt? Unions Becker und die Zweistelligkeit

Mit sieben Toren ist Sheraldo Becker der beste Schütze des 1. FC Union. Seit der Winterpause jedoch steht bei ihm eine Null. Was ist los?

Wann endet die Torflaute? Sheraldo Becker.
Wann endet die Torflaute? Sheraldo Becker.Peter Dejong/AP

Vor nicht allzu langer Zeit sah die Torjägerliste so aus: Sheraldo Becker (1. FC Union) fünf, Niclas Füllkrug (Werder Bremen) fünf, Christopher Nkunku (RB Leipzig) vier. Fünf Runden waren gespielt und die Eisernen aus Köpenick hatten einen Bundesligastart vom Feinsten hingelegt. Kein Spiel hatten sie verloren und sogar gegen den FC Bayern in der Alten Försterei beim 1:1 einen Punkt geholt.

Becker hatte fast noch fulminanter begonnen als die Eisernen als Team: fünf Treffer nach fünf Partien, nur beim 0:0 in Mainz war er leer ausgegangen, und auch der Treffer seines Teams gegen die Bayern war auf sein Konto gegangen. Die Statistiker setzten ihn bei Torgleichheit mit Füllkrug deshalb auf Rang 1, weil er bis dahin auf lediglich 355 Minuten Spielzeit gekommen war und im Durchschnitt alle 77 Minuten getroffen hatte. Der Bremer hatte nur alle 88 Minuten getroffen. Außerdem entsprangen zwei seiner fünf Tore Elfmetern. Zu den Schützen vom Punkt gehört Becker beim 1. FC Union dagegen nicht, obwohl er es in Punktspielen nicht viel schlechter hätte machen können, denn nur zwei von sechs Versuchen haben gesessen.

Nur kurz auf den Spuren von Müller und Lewandowski

Trotzdem hat Becker die Latte hochgelegt, verdammt hoch. Wäre es so weitergegangen, hätte er Dimensionen erreicht, in die zuvor lediglich Gerd Müller in den 1970er-Jahren und Robert Lewandowski ein knappes halbes Jahrhundert später vorgestoßen sind. Mit anderen Worten: unrealistisch, utopisch, geradezu größenwahnsinnig.

Eine Halbserie später, wieder steht die Partie gegen den 1. FC Köln bevor, stellt sich alles ein wenig normaler dar, ein wenig mehr Union. Nicht die Sache mit den Eisernen an sich, die mischen kräftiger in der Spitze mit denn je, aber die mit ihrem besten Torschützen. 14 Spieler haben ihn in der Liga überholt, die Statistiker kommen für den schnellsten Spieler der Köpenicker und einen der schnellsten der Liga auf nur noch ein Tor pro 221 Minuten. Das hat etwas vom unendlichen Warten auf einen Treffer.

Das ist nicht schlimm, zumal das Team weiterhin funktioniert. Noch besser ist, dass auch Becker weiterhin funktioniert, auch wenn ihm das Toreschießen nicht mehr ganz so flott von der Sohle geht und er seit elf Pflichtspielen ohne Treffer ist. Das wurmt ihn, auch weil er beim 0:0 gegen Schalke erstmals in dieser Spielzeit nicht in der Startelf stand. Seine aktuelle Ladehemmung lässt er sich höchstens dann anmerken, wenn Trainer Urs Fischer ihn auswechselt, und zumindest Beckers Mimik verrät, wie ihm das schmeckt: nämlich gar nicht.

Als Stürmer will man immer treffen.

Sheraldo Becker

Andererseits ist der Mann, der für Suriname, die Heimat seiner Eltern, in fünf Länderspielen zwei Treffer erzielt hat, ein ausgesprochener Teamplayer. Spätestens wenn es um die Mannschaft geht, weiß Becker, dass er seinem Team mit Toren sehr hilft, und trotzdem alles nur gemeinsam zu wuppen ist. „Wenn man sieht, was wir bisher geleistet haben“, hat er erst unter der Woche gesagt, „können wir stolz sein. Trotzdem schmerzt es, dass wir zuletzt gegen die Bayern nicht unser wahres Gesicht gezeigt haben.“ Das 0:3 in München war die erste Niederlage des 1. FC Union nach der Winterpause, nach fünf Siegen und einem Unentschieden in der Liga, dem Vorstoß ins Viertelfinale des DFB-Pokals und dem Erreichen des Achtelfinales in der Europa League.

Dennoch ist Becker mit 28 Jahren nicht nur im besten Alter für einen Fußballer. Er ist, was die komplette Saison angeht, auch in der besten Saison seines Lebens. Sieben Treffer hat er erzielt, so viele wie in zuvor drei Spielzeiten zusammen. Nach dem Fünfer zu Saisonbeginn kamen je eines gegen Wolfsburg und gegen Augsburg hinzu. Auch als Assistgeber hat er sich gemausert. Als Paul Seguin jüngst beim 2:0 gegen Hertha BSC zu seinem ersten Treffer im Union-Trikot kam, hatte Becker dank seiner Sprintqualitäten und dank seines guten Auges ihm den Ball zum Einschieben ins nahezu leere Tor serviert. Zudem hat Becker mit dem Goldenen Tor beim 1:0 in Malmö und seiner Vorlage auf Sven Michel beim 1:0 bei Royal Union Saint-Gilloise, dem Gegner auch im Achtelfinale, seinen Klub in Europa gehalten.

Mit Union in der Champions League?

Inzwischen, derart grandios ist die Entwicklung in Köpenick, träumt zumindest ein großer Teil der Anhängerschaft nicht nur vom kleinen, sondern vom großen Trip über den Kontinent, von der Königsklasse. „Das wäre toll, das wäre einzigartig“, sagt Becker, „Champions League in der Alten Försterei wäre für alle wahnsinnig.“ Andererseits wäre Becker nicht Becker und er wäre auch nicht durch die Understatement-Schule der Rot-Weißen gegangen, würde er nicht sofort auch zu bedenken geben: „Klar sind wir in einer guten Position und unser Ziel bleibt es, international zu spielen. Aber wir müssen von Spiel zu Spiel schauen.“

Das nächste Spiel also. Termin: Sonnabend, 15.30 Uhr. Ort: Alte Försterei. Gegner: 1. FC Köln. Geschmacksrichtung: Lieblingsgegner des 1. FC Union, gegen den es in bisher sieben Partien in der Bundesliga sechs Siege und ein Unentschieden gab. Motto für den besten Angreifer der Eisernen: Becker vor, noch ein Tor! Gegen Köln hat er allerdings noch nie getroffen. Manchmal, inzwischen unvorstellbar, war er nicht einmal dabei. In der ersten Saison hatte er einmal auf der Bank gesessen und einmal wegen eines Muskelfaserrisses gefehlt. Manchmal war es Pech. Vor einem halben Jahr wurde sein Schuss, der letztlich zum 1:0-Sieg führte, von Kölns Timo Hübers abgefälscht und ist deshalb als Eigentor gewertet worden. Ein anders Tor kassierte der Videoassistent wegen einer hauchdünnen Abseitsstellung ein.

Sheraldo Becker: „Ich bleibe optimistisch“

Becker ist dennoch am ehesten zuzutrauen, eine kleine Tradition der eisernen Bundesliga-Historie fortzuschreiben. Bisher hatten die Männer um ihren Kapitän Christopher Trimmel immer einen in ihren Reihen, der zweistellig getroffen hat. Zunächst war es Sebastian Andersson mit zwölf Buden. Danach hatte Max Kruse (11) allen seinen Mitspielern den Rang abgelaufen. Im Vorjahr dann war Taiwo Awoniyi (15) der treffsicherste Rot-Weiße.

Andersson – Kruse – Awoniyi – Becker? Das würde gut klingen und wäre durchaus eine Hausnummer. Schlaflose Nächte jedoch bereitet ihm das alles nicht. „Als Stürmer will man immer treffen“, sagt er. Und: „Ich bleibe optimistisch.“