Die Chronik einer faszinierenden Europa-Reise
Dass der 1. FC Union Berlin am Donnerstag die Chance hat, ins Viertelfinale der Europa League einzuziehen, grenzt an ein kleines Fußball-Wunder.

Portugal, Schweden, Belgien, Holland – und jetzt wieder Belgien. Der 1. FC Union Berlin ist auf seinem Trip durch Europa bis ins Achtelfinale vorgestoßen, hat den Süden, Norden und Westen bereist. Am Donnerstag (21 Uhr) geht es in der Runde der letzten 16 Mannschaften im Rückspiel bei Royale Union Saint-Gilloise darum, dem Europa-League-Märchen ein Zusatzkapitel zu verpassen. Es ist wirklich fabelhaft, wie es die Eisernen bis an diesen Punkt geschafft haben.
Rückblick: Am 15. September des vergangenen Jahres waren die Köpenicker eigentlich schon raus aus dem Wettbewerb. Gerade hatte die Mannschaft von Trainer Urs Fischer bei Sporting Braga trotz couragierter Leistung mit 0:1 verloren, Saint-Gilloise im Parallelspiel nach zweimaligem Rückstand Malmö FF mit 3:2 besiegt.
Unterzahl, Feuerwerkskörper und ein Sieg in Malmö
Die Ausgangslage war danach klar. Union durfte sich in den folgenden vier Partien keine Niederlage mehr erlauben, musste im besten Fall alle Spiele gewinnen, um noch eine ernsthafte Chance aufs Weiterkommen zu haben. Aber wie wahrscheinlich war das wirklich? Es wartete das Auswärtsspiel in Malmö und die Schweden kämpften – ebenfalls mit null Punkten gestartet – wie die Berliner um die letzte Chance auf den Einzug in die K.-o.-Runde.
Es war ungemütlich an diesem Abend im Oktober. Union lauerte, Union wartete auf die Chance und wurde unmittelbar vor der Halbzeit kalt erwischt. András Schäfer unterlief an der Mittellinie ein Patzer, der Ungar wusste sich als letzter Mann nur noch mit einem Foulspiel zu helfen. Die Rote Karte war folgerichtig und mehr denn je stellte sich die Frage, wie realistisch jetzt noch der Auswärtssieg wäre, die finale Chance aufs Weiterkommen.
Als nach der Halbzeitpause Feuerwerkskörper von den Rängen auf den Platz flogen, hatte man den Eindruck, dass es nur noch um ganz andere Dinge als Fußball gehen würde. Die Partie wurde für eine halbe Stunde unterbrochen und plötzlich, als der Schiedsrichter wieder angepfiffen hatte, zündete Sheraldo Becker den Turbo, war frei durch und erzielte in Unterzahl den umjubelten 1:0-Siegtreffer.
Es folgten zwei weitere 1:0-Siege im Heimspiel gegen Malmö und gegen Braga. Beide Male erzielte Robin Knoche das entscheidende Tor per Elfmeter. Auf einmal war Union wieder im Rennen und hatte mehr noch, den Sprung in die Play-offs im neuen Jahr wieder in der eigenen Hand. In Saint-Gilloise musste ein Auswärtssieg her, dann konnte Braga im Parallelspiel machen, was es wolle.
Vor den Toren Brüssels avancierte Sven Michel zum Matchwinner. Eine Flanke von Becker bugsierte er schon nach sechs Minuten technisch hochwertig in die Maschen. Union verteidigte den Vorsprung geschickt bis zum Schluss, musste dafür aber auch nicht alle Kräfte aufwenden. Die Belgier standen schon zuvor als Gruppensieger fest. Eine Platzierung, mit der wohl kein Fußball-Experte ernsthaft gerechnet hätte. Urs Fischer zog mit seiner Mannschaft in die Play-offs ein und bekam dort Ajax Amsterdam zugelost.
Union-Star Juranovic: „Wir leben gerade unseren Traum“
Im Hinspiel in Amsterdam vor einem Monat stellte Union Berlin dann gleich einen Rekord ein. Mehr als fünf Zu-Null-Spiele in Serie hatte in der Europa League noch kein Team geschafft. Beim 0:0 in der Johan-Cruyy-Arena blieben die Gäste zwar auch in der Offensive weitgehend harmlos, waren dem Sieg aber näher als die favorisierten Holländer. Eine Woche später als im Stadion An der Alten Försterei Gänsehautstimmung herrschte, war Union dann total effizient, schoss drei Tore und katapultierte sich mit dem 3:1-Erfolg ins Achtelfinale. „Wir leben gerade unseren Traum“, sagte etwa Josip Juranovic, der sein erstes Pflichtspieltor für die Köpenicker erzielt hatte.
Saint-Gilloise war bei der Auslosung am nächsten Tag zwar nicht der Wunschgegner, aber ein wenig schicksalhaft war es halt schon. Gegen die vermeintliche No-Name-Truppe hatte alles mit einer 0:1-Niederlage – der einzigen Pleite an der Alten Försterei in den vergangenen 13 Monaten – alles so unglücklich begonnen. Schließt sich mit dem Ausscheiden nun der Kreis? Oder geht diese wundersame Reise doch noch weiter? Am späten Donnerstagabend steht die Entscheidung fest. Nach dem 3:3 im Hinspiel vor einer Woche ist jedes Szenario denkbar. 90 Minuten, 120 Minuten oder Elfmeterschießen. Im letzten Fall könnte es sogar bis nach Mitternacht gehen.