Alba Berlin nach dem Pokalsieg: Im Spiegel eines Wochenendes
Flug 4?U?8007 Stuttgart-Berlin: Nach diesem Wochenende brauchen die Beine ihre Freiheit. Die Center und Forwards sitzen am Gang. Sven Schultze und Jonas Wohlfarth-Bottermann plaudern. Jan Jagla hört Musik. Levon Kendall erprobt eine interessante Schlaftechnik mit der Stirn an der Lehne des Vordersitzes, aber er kommt nicht zur Ruhe. Einige Reihen weiter vorne sitzt Mauricio Parra, vielleicht liegt es daran; bei Albas Assistenzcoach befindet sich der Pokal. „Wir hätten den Pott gleich in Berlin lassen sollen“, sagt Parra. Als hätten sie damit rechnen können, den Cup der Basketball-Bundesliga zu verteidigen.
Das konnten sie natürlich nicht angesichts der starken Konkurrenten aus Ulm, Bamberg und vom FC Bayern und wegen der Geschichte hinter diesem Erfolg. Sie beginnt mit einem personellen Umbruch, der radikaler ist als all die Umbrüche zuvor, weil er für eine Rückbesinnung steht auf einen Weg, der viel Geduld erfordert. Deshalb sagt Albas Geschäftsführer Marco Baldi: „Dass dieser Weg schon so früh einen Titel bringt, überrascht mich sehr.“
Der Trainer als Faktor
Akeem Vargas ist einer derjenigen, die sich auf den Weg gemacht haben. An dem 23-jährigen Guard lässt sich gut erkennen, wie weit sie gekommen sind. „Als wir nach dem Finale da standen, habe ich mir gesagt: Das ist die Belohnung für drei lange Jahre“, sagt Vargas. Zwei Jahre war er beim Bundesligisten Tübingen, spielte in dessen Team aber keine Rolle. Er ging bewusst in die Zweite Liga, ging nach Göttingen, wo ihm Verantwortung übertragen wurde und er sich entwickeln konnte. Bei Alba macht er nun den nächsten Schritt.
Wie die Hälfte seiner Teamkollegen hat auch Vargas am Wochenende in Ulm den ersten Titel gewonnen. Wie Vargas sind auch die Kollegen nach Berlin gekommen, um sich weiterzuentwickeln. „Wir kämpfen zusammen“, sagt Vargas, „wir trainieren hart, wir schenken uns nichts.“ Das spiegelte sich im Wochenende von Ulm wieder. Schon im Halbfinale gelang es den Berlinern, Bamberg mit ihrer Defensive zu zermürben. Am Sonntag gegen Ulm halfen erneut Wille und Kampfgeist, knifflige Situationen zu überstehen, als Team. Nicht die individuelle Stärke, sondern die Geschlossenheit ist das Qualitätsmerkmal dieser Mannschaft. „Das kann man sich nicht am Reisbrett herbeiwünschen“, sagt Baldi, „da ist auch immer ein wenig Glück dabei.“ Vargas sieht in Sasa Obradovic den entscheidenden Faktor: „Der beste Coach der BBL hat uns zusammengebracht und der beste Coaching-Staff.“
Obradovic will jetzt auch die Nachwirkungen des Pokaltriumphes in die richtigen Bahnen lenken. „In der vorigen Saison hat uns der Cup zufrieden gemacht, und wir sind im Viertelfinale der Playoffs ausgeschieden“, sagt er. Kapitän Sven Schultze verspricht: „Wir werden aus den Fehlern lernen.“
Manches werden sie schneller begreifen, anderes braucht Zeit. „Individuell haben die Spieler noch Potenzial, das rausgekitzelt werden muss“, sagt Baldi. Für diesen Prozess veranschlagen die Berliner auch noch die nächste Saison. Die Frage, was die Mannschaft schon in den Playoffs ab Mai leisten kann, behandeln sie defensiv. „Es ist alles fragil“, sagt Baldi. Fällt ein Stützpfeiler wie Spielmacher Cliff Hammonds länger aus, gerät die Statik des Teams in Gefahr. Gerade im Takt der Playoffs wird jeder Mann gebraucht.
Mittelfristig ist die Konstruktion abgesichert. „Wir wissen heute schon, dass ein Großteil des Teams auch im nächsten Jahr da sein wird“, sagt Baldi. „Übrigens unabhängig davon, wo wir am Ende dieser Saison einlaufen.“ Dass sie starke Gegner wie Bamberg oder den FC Bayern besiegen können, haben sie sich immerhin schon bewiesen. Und diesen Pokalerfolg kann ihnen sowieso niemand mehr nehmen. Allenfalls irgendwann einmal den Pokal.