Andere Art Vorbild als Usain Bolt: Fred Kerley führt US-Sprinter zu WM-Triumph

Die großen Fußstapfen von Usain Bolt kann zwar auch der Amerikaner nicht füllen, als Vorbild taugt er wegen seiner Lebensgeschichte dennoch.

Der neue Sprintkönig Fred Kerley ließ sich nach seinem Sieg über 100 Meter von den Zuschauern in Eugene feiern.
Der neue Sprintkönig Fred Kerley ließ sich nach seinem Sieg über 100 Meter von den Zuschauern in Eugene feiern.AFP

Als Fred Kerley nach dem Sprint über 100 Meter mit hauchzartem Vorsprung den Weltmeistertitel an sich gerissen und seine US-Teamkollegen auch noch Silber und Bronze geholt hatten, tobte die Menge. Drei Medaillen im wichtigsten Wettkampf der Leichtathletik gab es für das Gastgeberland 31 Jahre lang nicht, die Zuschauer im Hayward Field Stadion in Eugene kamen bei der ersten Weltmeisterschaft in den USA schon am zweiten Wettkampftag voll auf ihre Kosten.

„Es hat sich großartig angefühlt“, sagte der 27 Jahre alte Kerley in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag nach seinem Erfolg in 9,86 Sekunden. „Es ist großartig, das auf heimischem Boden zu schaffen mit den heimischen Fans im Rücken.“ Die meisten davon werden wohl erst jetzt durch den Titel seine bemerkenswerte Geschichte kennenlernen.

US-Quartett ist großer Favorit in der 4 x 100-Meter-Staffel

Unmittelbar freuten sich die Leute über das Resultat und die Aussichten für die noch ausstehenden Rennen. Mit Silber für Marvin Bracy und Bronze für Trayvon Bromell, die beide mit einer Zeit von 9,88 Sekunden gestoppt wurden, sowie Ex-Weltmeister Christian Coleman als viertem Amerikaner im Finale ist auch im Team das Selbstvertrauen für die 4 x 100-Meter-Staffel riesig. Trotz der Patzer des US-Quartetts in den vergangenen Jahren: „Wir werden von niemandem geschlagen. Wir investieren die Arbeit, und wir werden Großes erreichen in den kommenden Tagen“, prognostizierte Kerley.

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Er selbst hat das schon getan, völlig unabhängig davon, wie viele weitere Medaillen es für ihn bei der Premieren-WM auf US-Boden noch geben wird. Denn Kerley wuchs in Verhältnissen auf, die von außen betrachtet oft das Etikett „schwierig“ aufgedrückt bekommen: Bei seiner Tante Virginia, genannt Meme, weil der Vater ins Gefängnis und die Mutter auf die falsche Bahn kam, wie er in einem Artikel vor ein paar Jahren selbst berichtete.

Insgesamt 13 Kinder teilten sich in der Kleinstadt mitten in Texas ein Zimmer. „Am Ende des Tages war es wie jedes andere Haus: Wir wollten Spaß und eine gute Zeit haben“, sagte er nun und widmete seinen ersten Titel seiner Tante Virginia. „Ich denke jeden Tag an sie. Wenn sie nicht gewesen wäre, würde ich jetzt wahrscheinlich nicht mit Ihnen sprechen“, sagte Kerley und brach dabei fast in Tränen aus: „Sie hat ihr Leben für mich und meine Brüder, Schwestern und Cousins geopfert.“

Wie bemerkenswert sein eigener Weg zum Weltmeistertitel ist, verdeutlichte jener vor drei Jahren veröffentlichte Text. Darin beschreibt er, dass all die gescheiterten Existenzen in seinem direkten Umfeld die Motivation waren, aus dem eigenen Leben etwas Besseres zu machen: „Der Unterschied war meine Einstellung.“

Dank dieser hat er nun den inoffiziellen Titel als schnellster Mann der Welt inne, mindestens bis zur WM in einem Jahr in Budapest. Und weil er erst im Anlauf auf die Olympischen Spiele von Tokio im Vorjahr von den 400 Metern auf die kurze Distanz umschwenkte, scheint sein Potenzial noch nicht ausgeschöpft.

Fred Kerley ist ein anderer Typ als Usain Bolt

Ob er allerdings jemals die großen Fußstapfen von Usain Bolt füllen kann, in die zwangsläufig jeder Weltmeister über die 100 Meter gestellt wird, erscheint fraglich. Denn sowohl Bolts Weltrekord von 9,58 Sekunden von der WM 2009 in Berlin wie auch die Qualitäten des Jamaikaners als Entertainer und Star der Leichtathletik-Szene scheinen außer Reichweite für den eher wortkargen Kerley.

„Usain Bolt ist wahrscheinlich ein Vorbild für jeden von uns. Er hat Großartiges geleistet. Wir alle wollen auf dem Podest stehen und sein Level erreichen“, sagte Kerley. „Er hat etwas geschafft, das nicht viele geschafft haben: Weltrekord über 100 und 200. Ich habe das Gefühl, wir wollen alle mit ihm auf einer Stufe stehen.“

Doch auch seine eigene Geschichte taugt durchaus als Inspiration, daran hat der selbstbewusste Athlet keine Zweifel: „Jeder ist ein Vorbild für jemand anderes, und meine Entwicklung hin zu einem Sponsorenvertrag mit Nike und den Podestplätzen zeigt den Kids, die zu mir aufschauen: Wenn ich das schaffen kann, können sie das auch.“