Anna-Lena Forsters Motto lautet: Das geht nicht, gibt’s nicht

Der Druck auf Deutschlands beste Monoskifahrerin ist bei den Paralympics enorm. Sie soll es ihrem Vorbild, dem „Golden Girl“ Anna Schaffelhuber, gleichtun.

Anna-Lena Forster ist in Peking die Trumpfkarte des Deutschen Behindertensportverbandes.
Anna-Lena Forster ist in Peking die Trumpfkarte des Deutschen Behindertensportverbandes.dpa/Woitas

Berlin/Peking-Anna-Lena Forster genoss die Tage vor ihrem ersten Wettkampf bei den Paralympischen Spielen in Peking in vollen Zügen. Mit breitem Grinsen scherzte sie beim Essen zwischen den Plexiglasscheiben mit ihren Teamkolleginnen, simulierte vor einer Fotowand einen Besuch an der chinesischen Mauer und testete bei traumhaftem Winterwetter den so speziellen chinesischen Kunstschnee. Doch mit dem Startschuss der Paralympics wird sie am Freitag schlagartig ins Rampenlicht rücken. Schließlich soll sie dann in die Fußstapfen des zurückgetretenen „Golden Girls“ Anna Schaffelhuber treten – die Erwartungen sind enorm.

„Fünfmal Gold“ traue sie Forster zu, sagte Schaffelhuber, die inzwischen als Realschullehrerin arbeitet und die Spiele als TV-Expertin begleiten wird, zu Beginn dieser Woche in einem Interview mit dem Sportinformationsdienst: „Lena ist einfach eine sehr gute Skifahrerin. Im Slalombereich bin ich die letzten Jahre schon nicht mehr an sie rangekommen. Da wusste ich schon, dass sie ein Ass ist.“ Die Tür für „goldene“ Spiele stehe Forster „sehr, sehr weit offen“. Doch dafür muss sie eben erst mit ihrer neuen Rolle klarkommen.

Bei der Weltmeisterschaft schon äußerst erfolgreich

Viele heiße Medaillenkandidaten gibt es nicht im deutschen Team, nach dem Rücktritt der fünfmaligen Sotschi-Siegerin Schaffelhuber und dem gesundheitsbedingten Fehlen von Andrea Eskau ist Forster die Trumpfkarte des Deutschen Behindertensportverbandes. „Ich bin in Pyeongchang schon ein bisschen aus dem Schatten von Anna rausgetreten. Da habe ich schon gemerkt, wie sich die Aufmerksamkeit anfühlt“, sagt die 26-Jährige: „Aber das wird in Peking sicher noch mal etwas anderes sein.“ Sie habe sich über die neue Situation schon „Gedanken gemacht“, so die Monoskifahrerin weiter: „Aber im Endeffekt muss ich bei mir bleiben und einfach zeigen, was ich kann.“

Das ist nachweislich eine ganze Menge. Schon vor vier Jahren in Pyeongchang gewann Anna-Lena Forster Gold im Slalom und in der Super-Kombination, bei der Weltmeisterschaft in Lillehammer im Januar räumte sie in der sitzenden Klasse vier von fünf möglichen Goldmedaillen ab.

Eine eindeutige Favoritenrolle will sie daraus für sich aber nicht ableiten, denn: „Ich weiß einfach nicht, was die Konkurrentinnen gemacht haben, die bei der WM nicht dabei waren. In meiner Kategorie sind vor anderthalb Jahren noch drei richtig starke Chinesinnen dabei gewesen, die ich seit Pandemiebeginn nicht mehr gesehen habe. Dazu war die Japanerin, die sonst zu meinen größten Konkurrentinnen gehört, im Januar nicht dabei. Deshalb werden in Peking die Karten noch mal neu gemischt.“ Die Goldmedaillen von Pyeongchang zu bestätigen, sei allerdings trotz dieser Ungewissheiten „ihr großes Ziel“.

Seit Geburt fehlt ihr das rechte Bein

Seit Geburt fehlt Forster das rechte Bein, auf der linken Seite ist ihr Oberschenkel stark verkürzt und es fehlen Knochen im Schienbein. „Nichts spornt mich mehr an als die drei Worte: Das geht nicht“, lautet das Motto von Forster. Genau deshalb stürzte sie sich schon in Kindestagen, begleitet von ihren skibegeisterten Eltern, auf einem Monoski die Pisten hinab – und entwickelte sich im Erwachsenenalter schnell zur ernsthaften Gegnerin von Vorbild Schaffelhuber.

Von der holte sie sich nun vor dem Start in ihre große Peking-Mission in einem knapp einstündigen Telefonat noch mal ein paar Ratschläge. „Mir tut es immer ganz gut, mit ihr zu quatschen“, erzählt Forster mit einem Grinsen. Und vielleicht hat Schaffelhuber ihr dabei ja sogar den entscheidenden Kniff verraten, wie man alle fünf Goldmedaillen gewinnt.

Nach dem ersten Training der alpinen Skifahrer auf dem Paralympics-Hang in Yangqing zeigte sich die aus Radolfzell am Bodensee stammende Forster indes erstaunt über die Bedingungen. „Irgendwie ist alles ein bisschen chaotisch“, sagte sie und führte sogleich aus: „Es ist anstrengend, weil man noch mit dem Sessellift hoch muss und dann mit zwei Schleppliften fährt, die so langsam sind, dass man fast einschläft. Von der Ankunft braucht man noch mal 30 oder 35 Minuten bis zum Start. Das ist schon alles sehr zäh.“ Zudem seien die Windbedingungen am Dienstag sehr schwierig gewesen. „Mich hat es teilweise ganz schön verblasen“, sagte Forster: „Da muss man schon ganz schön stabil stehen. Aber die Piste ist gut.“ Das Paralympische Dorf sei zudem „cool“. Sie müsse jetzt nur noch in den „richtigen Flow hineinkommen“.

Forster geht in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag deutscher Zeit in der Abfahrt erstmals bei den Spielen in Peking an den Start.