DFB-Chef Wolfgang Niersbach: Stotternd , kleinlaut, schuldbewusst
Mit Verspätung machte sich Wolfgang Niersbach auf den Weg nach Canossa. Seit gut einer Woche schwelt die Affäre. Da hatte der Spiegel den Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) um Stellungnahme zu den Recherchen gebeten, Deutschland habe sich die Austragung der Fußball-WM 2006 mit Hilfe einer schwarzen Kasse und Korruption gesichert. Seither windet sich Niersbach: Er bestreitet den Kernvorwurf, ohne die Indizien erklären zu können.
Nach der „Krisenbewältigung auf Kreisklassen-Niveau“ (Süddeutsche Zeitung) gab er seine vorbereiteten Erklärungen bei der gestern kurzfristig angesetzten Pressekonferenz noch einigermaßen unfallfrei ab, kam danach aber ins Stammeln. Der Tenor: Die WM wurde nicht gekauft, aber von windigen Finanzkonstruktionen begleitet, von denen Franz Beckenbauer viel, er aber kaum etwas gewusst hat. Und als er eine Ahnung bekam, verschwieg er es seinen Kollegen im DFB. Der Tonfall: stotternd, kleinlaut und schuldbewusst. „Mein Versäumnis ist es gewesen, die anderen Mitglieder des Präsidiums nicht frühzeitig informiert zu haben“, sagte er.
Es war, als würde der Fußballfan Niersbach öffentlich darum betteln, wegen seiner Ahnungslosigkeit und Unbedarftheit doch noch ein bisschen DFB-Präsident bleiben zu dürfen. „In aller Offenheit und Ehrlichkeit“ wollte er erzählen, was er vor allem am vergangenen Dienstag bei einem Hausbesuch bei Franz Beckenbauer zum Kernproblem recherchiert hatte: den zehn Millionen Schweizer Franken, die die deutschen WM-Bewerber um Beckenbauer laut Spiegel angeblich vor der Wahl im Juli 2000 vom französischen Geschäftsmann Robert Louis-Dreyfus erhalten hatten, um in aller Eile noch die vier Asiaten im Vorstand der Fifa von der deutschen WM-Bewerbung zu überzeugen. Und die zu einer prekären Lage führten, als Louis-Dreyfus das Geld, dann 6,7 Millionen Euro, ein gutes Jahr vor der WM plötzlich zurückforderte. „Ich war nicht eingebunden, die Zuständigkeiten lagen woanders“, sagte Niersbach. Allein: „Es ist bei der WM-Vergabe 2006 alles mit rechten Dingen zugegangen, es hat keine schwarzen Kassen gegeben.“
Aber es gab diese dubiose Zahlung. Über deren Hintergründe will er erst am Dienstag von Beckenbauer erfahren haben. Die Deutschen hätten mit dem Weltverband über einen Zuschuss zum WM-Budget verhandelt. Sie hatten gehört, dass die Fifa den WM-Ausrichtern 2002, Japan und Südkorea, je 100 Millionen Dollar spendiert hatte. Nachdem die Deutschen „über Monate mehr oder weniger ergebnislos mit der Fifa verhandelt“ hätten, so Niersbach, hätte DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt Beckenbauer gebeten, ihn nach Zürich zu begleiten.
Das sei in einem mysteriösen „Vieraugengespräch“ Beckenbauers mit Fifa-Chef Joseph Blatter geendet und einem erfreulichen Ergebnis: Die Deutschen könnten 250 Millionen Schweizer Franken, umgerechnet 170 Millionen Euro erhalten. Abzuklären sei das aber noch mit der Fifa-Finanzkommission, der damals der bis zu seinem Tod im vorigen Jahr korruptionsumwitterte Argentinier Julio Grondona vorsaß. „Wer die Gespräche mit der Finanzkommission geführt hat, weiß ich bis heute nicht“, behauptet Niersbach.
Die soll den Deal mit einer seltsamen Kick-back-Klausel abgesegnet haben. Die 250 Millionen fließen, wenn die Deutschen dafür zehn Millionen Schweizer Franken erstatten. „Es ergeben sich Fragezeichen, die sehe ich auch“, sagte Niersbach. Beckenbauer habe dafür mit seinem Privatvermögen einstehen wollen, sei aber von seinem Manager Robert Schwan zurückgepfiffen worden, der ebenso wie Louis-Dreyfus inzwischen verstorben ist. Schwan, so Niersbach, habe „die Verbindung zu Louis-Dreyfus geknüpft, der die Zusage gegeben hat, diese zehn Millionen an die Finanzkommission zu überweisen. Den weiteren Ablauf hat auch Franz Beckenbauer nicht mehr präsent.“
Und der DFB-Chef betont: „Von diesem Vorgang aus dem Jahr 2002 habe ich persönlich nichts gewusst.“ Somit gibt es nur eine Quelle für die Behauptung, dass die zehn Millionen Franken von Louis-Dreyfus erst 2002 geflossen sind und nicht schon früher, wie es der Spiegel behauptet: Franz Beckenbauer. Ein Hauptverdächtiger als einziger Zeuge.
Warum der frühere Adidas-Chef gönnerhaft dem deutschen Organisationskomitee Darlehen gewährt oder warum die Fifa ihren Zuschuss an die Bedingung einer Zahlung knüpft, könne er sich beim besten Willen auch nicht erklären, sagte Niersbach. Letzteres wurde dann auch umgehend von der Fifa bestritten. „Es entspricht in keinster Weise den Fifa-Standardprozessen und Richtlinien, dass die finanzielle Unterstützung von WM-OKs an irgendwelche finanziellen Vorleistungen seitens des jeweiligen OKs oder seines Verbandes gekoppelt ist“, hieß es in einer Erklärung.
Der frühere DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt, seinerzeit Vize-Präsident im WM-OK, stellte die Beschaffung der Dreyfus-Millionen für die Fifa am späten Nachmittag als Alleingang des „Kaisers“ dar. Worauf Beckenbauer, der ins Zwielicht geratene Kaiser, am Abend über sein Management erklären ließ, er werde „sich bis auf Weiteres nicht öffentlich äußern und zunächst der Bitte der externen Untersuchungskommission des DFB entsprechen und diesem Gremium Rede und Antwort stehen“.
„Es mag sein, dass ich mitbekommen habe, dass da irgendwas war, das mit Robert Louis-Dreyfus zu tun hatte“, sagte Niersbach. Schließlich behauptet der Spiegel ja, er habe persönlich einen entsprechenden Vermerk geschrieben. Leider schwächelt auch da sein Erinnerungsvermögen. „Nicht dass das aussieht, dass ich mich da jetzt drücke“, schwante es Niersbach selbst, „ich war in die Finanzabwicklung nur sehr bedingt eingebunden.“ Zwecks Rückzahlung habe man sich entschlossen, die 6,7 Millionen Euro als Kostenbeitrag zu der geplanten Fifa-Gala in Berlin zu deklarieren. „Die 6,7 Millionen“, sagte Niersbach, „tauchen auch in allen Jahresabschlüssen auf.“ Dass das Geld nach der Absage der Gala nicht zurückgefordert wurde, sei erklärbar: „Es waren erhebliche Organisations- und Vorlaufkosten entstanden, sodass man gesagt hat: Wir lassen das so.“