Die Kasachin Jelena Rybakina gewinnt in Wimbledon - darüber jubelt Russland

Die Tennisspielerin wurde in Moskau ausgebildet. Vor vier Jahren wechselte sie ihre Staatsangehörigkeit und sagt: Sie könne nichts dafür, wo sie geboren wurde.

Herzogin Kate (r.) überreicht Jelena Rybakina die Wimbledon-Trophäe.
Herzogin Kate (r.) überreicht Jelena Rybakina die Wimbledon-Trophäe.dpa/Zac Goodwin

Jelena Rybakina hätte in Wimbledon schon beim Matchball vor Glück weinen können. Oder als ihr die Herzogin von Cambridge, ganz in Gelb gekleidet, die Trophäe überreichte. Sie hätte bei ihrer Siegesrede auf dem allerheiligsten Rasen ins Stocken geraten oder schluchzen können. Doch erst Stunden später bei der Frage nach ihren Eltern in der Heimat Moskau verlor Rybakina ihre bemerkenswerte Beherrschung.

„Ihr wolltet doch Emotionen sehen“, sagte sie unter Tränen: „Ich habe sie zu lange zurückgehalten.“ So lange, bis ihr der Druck zu stark, die Bühne zu groß und die Fragen zu bohrend wurden. Beim 3:6, 6:2, 6:2 im Finale gegen Ons Jabeur konnte sie sich mit Aufschlag, Vorhand und Volley wehren, nach dem Match war sie schutzlos ausgeliefert.

Debatte um Ausschluss russischer und belarussischer Profis

Nach vielen fröhlichen Tagen, Wohlfühlgeschichten wie Mama Marias Tennis-Märchen oder sportlichen Dramen wie Rafael Nadals vergeblichem Kampf gegen seinen Körper drängte die Erinnerung mit Macht zurück, dass die weltpolitische Lage auch Wimbledon belastet. Rybakina, geboren, aufgewachsen und ausgebildet in Moskau auf dem Thron, Jubel in Russland - das hatte sich der All England Club sicher anders vorgestellt.

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Wegen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine waren Profis aus Russland und Belarus in Wimbledon ausgeschlossen gewesen. Die Debatte, dass damit Topspieler wie Daniil Medwedew fehlten und die Organisationen ATP und WTA als Reaktion keine Weltranglistenpunkte vergaben, bestimmte lange die Schlagzeilen vor dem Turnier.

Dass eine aus Moskau stammende Spielerin die Damen-Konkurrenz gewann, versah das Turnier auch zum Abschluss mit einer politischen Note. „Wimbledon ging mit genau dem Bild zu Ende, das es so verzweifelt zu verhindern versucht hatte“, schrieb die britische Zeitung Telegraph und skizzierte den Moment, als Herzogin Kate die Venus-Rosewater-Dish als Trophäe an Rybakina übergab. „Dieses Damen-Finale brachte eine Foto-Gelegenheit, die jeden in der russischen Botschaft in London brüllend über seine Wodka-Gläser lachen ließ.“

„Gut gemacht, Rybakina! Wir haben Wimbledon gewonnen“, sagte Russlands Tennischef Schamil Tarpischtschew der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Novosti und nannte die Siegerin „unser Produkt“. Dabei startet Rybakina, 23, seit vier Jahren für Kasachstan, spielte bei Olympia in Tokio unter der himmelblauen Flagge - und auch im Billie Jean King Cup im April gegen Deutschland.

Wie mehrere andere Spitzenprofis hatte sie auch wegen der Aussicht auf eine stärkere Förderung lange vor dem Krieg die Nation gewechselt. Den kasachischen Tennis-Verbandspräsidenten Bulat Utemuratow umarmte sie auf der Tribüne. Staatsoberhaupt Kassym-Schomart Tokajew gratulierte aus der Ferne zum ersten Grand-Slam-Einzeltitel für Kasachstan. „Ich kann nichts dafür, wo ich geboren bin“, sagte Rybakina. Sie könne „nur sagen, dass ich Kasachstan repräsentiere.“ Aber nicht, ob sie den Krieg und Wladimir Putins Vorgehen verurteile: „Sorry, mein Englisch ist nicht das Beste.“

Ons Jabeur will Generationen in der arabischen Welt inspirieren

Ihr Tennis war es. Verdient - weil erstaunlich nervenstark - gewann Rybakina am Samstag gegen die Weltranglistenzweite. Jabeurs Traum vom Titel platzte, die Tunesierin, die zwei Tage zuvor ihre Freundin Tatjana Maria rausgeworfen hatte, verhedderte sich in den eigenen Möglichkeiten, verspielte sich, statt wie im ersten Satz konsequent dagegenzuhalten.

Später saß die „Botschafterin des Glücks“, wie sie in der Heimat genannt wird, traurig auf dem Podium, sie hätte den Menschen in der arabischen Welt, in ganz Afrika gerne den ersten Grand-Slam-Titel geschenkt - am ersten Tag des Opferfestes Eid al-Adha. „Vielleicht wollte ich es zu sehr“, sagte Jabeur und versprach, nicht aufzugeben.

„Ich versuche, so viele Generationen zu inspirieren, wie ich kann“, sagte sie. Ihre Tränen waren da bereits getrocknet. Jabeur hatte ihre Emotionen auf dem Centre Court ausgelebt. Sie hatte ihre Beherrschung und die Freude zurück - und ihre Heimat nie verloren. Dessen durften sich die Zuhörer bei Rybakina wenige Stunden nach dem Match nicht sicher sein.