Die Welt zu Gast in Oberhof – auch nach den Weltmeisterschaften?
Für ein paar Tage schaut die Welt auf Oberhof im Thüringer Wald. Am Freitag starten die Weltmeisterschaften der Rennrodler, am 8. Februar die der Biathleten.

Jacken in Deutschland-Farben liegen auf den Koffern am Empfang des Oberhofer Berghotels. Kurz vor der Eröffnungsfeier für die Rennrodel-Weltmeisterschaft seien alle 96 Zimmer ausgebucht, sagt Nadine Kröckel vom Berghotel. 80 Prozent davon belegen Sportler. Keines der insgesamt rund 3700 Betten in Oberhof ist nach Angaben der Stadt noch frei. Flaggen von mehr als 30 Nationen schmücken Laternenmasten und viele der mit Schiefer verkleideten Häuser im verschneiten Urlaubsort.
„Wir freuen uns, dass die Welt in Oberhof zu Gast ist“, sagt Kröckel mit einem Grinsen. Für die Hotelküche bedeute dies, Pasta und Reis zu jeder Tageszeit bereitzuhalten. Außerdem hätten sie Lagerräume umfunktioniert, damit die Rodler ihre Schlitten präparieren können. „Ich bin stolz, dass der Ort das wuppt“, sagt die Mitarbeiterin. Eine bessere Werbung als die Rennrodel- und die Biathlon-Weltmeisterschaften kurz hintereinander könne es nicht geben.
Thüringen verbindet eine große Hoffnung mit den Weltmeisterschaften
Diese Hoffnung verbindet auch der Freistaat mit den beiden Großveranstaltungen, zu denen das beschauliche Oberhof mit 1600 Einwohnern rund 180.000 Gäste erwartet. Fast eine Million Euro ist nach Angaben des Wirtschaftsministeriums allein in Werbung geflossen: Plakate an großen Bahnhöfen, Banner entlang der Autobahnen, Werbespots. „Der gesamte Thüringer Wald hat viel zu bieten – nicht nur für Sportbegeisterte“, so Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD). Die Wettbewerbe seien intensiv genutzt worden, „um auf die Region aufmerksam zu machen und die Reiselust zu wecken“.
Sich als guter Gastgeber beweisen zu können und für mehr Menschen als Urlaubsregion bekannt zu werden – diese Chancen sieht auch Dirk Ellinger. Der Hauptgeschäftsführer des Thüringer Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) hält den Marketingeffekt für „großartig“. Er denkt vor allem an die Zeit danach. Ziel sei es, bei den Fans vor Ort, aber auch vor den Fernsehern einen „bleibenden Eindruck“ zu hinterlassen, damit sie den Thüringer Wald für sich entdecken.
Bürgermeister Thomas Schulz (Freie Wähler) ist skeptisch, ob das gelingen kann. Immer, wenn in Oberhof ein Biathlon-Weltcup oder der Rennsteiglauf ansteht, übersteige die Nachfrage die vorhandene Bettenzahl. Das sei aber nur an wenigen Tagen im Jahr der Fall. „Und immer, wenn Schnee liegt, bricht der Ort aus allen Nähten.“ Dazwischen sei es für Hoteliers nicht einfach.
Doch das Reiseverhalten ändere sich. Er beobachte, dass Kurztrips außerhalb der Skisaison zunehmen. „Bis zu 80 Prozent ihrer Umsätze machen die Hotels hier mittlerweile nicht im Winter“, sagt Schulz. Der Thüringer Wald bleibe seiner Einschätzung nach touristisch dennoch weit hinter seinen Möglichkeiten. Es müsste unabhängig vom Sport deutlich mehr Geld in Marketing fließen, um all die Schätze der Region bekannter zu machen – vor allem im Westen Deutschlands, so der Bürgermeister. Seinen Schätzungen zufolge stammen rund 80 Prozent der Gäste im Thüringer Wald aus den ostdeutschen Bundesländern.
Zu DDR-Zeiten entwickelte sich das in 800 Metern Höhe gelegene Oberhof aus Mangel an Alternativen zur ersten Adresse für Wintersporttourismus in Ostdeutschland. Nach den Vorstellungen Walter Ulbrichts entstanden in den 1960er- und 1970er-Jahren symbolträchtige Bauten wie das Panorama-Hotel in Form von zwei über 50 Meter hohen Sprungschanzen und ein Erlebniszentrum mit sieben Restaurants. 4500 Betten standen in dieser Zeit für Gäste zur Verfügung. Heute erinnert wenig daran. Die meisten Großbauten sind wieder kleineren Hotels und Pensionen gewichen.
Ein Hauch Nostalgie weht durch den kurz vor Weihnachten eröffneten Konsum-Genussladen, der zum Berghotel gehört. Zwei, drei Jahre habe das Geschäft leer gestanden, berichtet Mitarbeiterin Irina Kuchar. Sie hat auch Produkte mit „Wiedererkennungswert für Kunden aus dem Osten“ im Angebot. Oma Hartmanns „Kalter Hund“ sei „der Renner“. Auch der eigene Gin und Thüringer Wurst „vom Fleischer aus dem Wald“ kämen bei Touristen und Einheimischen gut an. Ob die Weltmeisterschaften zusätzliche Kundschaft bringen, müsse sich zeigen.
Die Besucher der großen Sportevents interessieren Rainer Gräser wenig – „nicht meine Klientel“, wie er sagt. Seit der letzten WM in Oberhof 2004 baut der Kürschnermeister jeden Winter in einer Nische zwischen Restaurants und Pensionen seinen Stand auf und verkauft Schaffelle und Pelzkappen. Er lebe von den „normalen“ Touristen, die kommen, wenn in Berlin und Sachsen Ferien sind. Wenigstens stimme jetzt das Wetter. Und vielleicht mache ja doch ein Sportsfreund bei ihm halt, sagt er. „Wir wollen ja nicht vorher meckern.“
80 Millionen Euro in Biathlonarena und Rennrodelbahn investiert
Ganz andere Gäste als bisher könnte ein kürzlich eröffnetes Familienhotel in den Thüringer Wald locken. Mit rund 14 Millionen Euro staatlicher Förderung hat eine österreichische Hoteliersfamilie das Ressort mit mehr als 100 Suiten und elf Luxus-Hütten errichtet – rund zwei Dutzend Kindergärtnerinnen inklusive.
Dass Thüringen für mehr als 80 Millionen Euro die Oberhofer Biathlonarena und die Rennrodelbahn saniert hat, sei nicht nur für den Spitzensport, sondern auch touristisch gut, betont Bürgermeister Schulz. Die neuen Sportstätten sähen nicht nur beeindruckend aus, sondern könnten auch von Gästen genutzt werden – zum Beispiel beim Sommerrodeln auf Rollen. „Von Anfang an haben wir auf die ganzjährige Nutzbarkeit geachtet“, sagt der WM- und Oberhof-Beauftragte der Landesregierung, Hartmut Schubert. Skisprung auf Matten und Skiroller-Wettbewerbe funktionierten bereits. Jetzt sei es an der Zeit, auf den neuen Anlagen weitere Formate zu testen und Oberhof so als Ort des Sports und für den ganzjährigen Tourismus zu etablieren.