Dimitrij Ovtcharov und der Krieg: Wir mussten „klar Stellung beziehen“
Kaum ein deutscher Spitzensportler wurde von Russlands Angriff auf die Ukraine so getroffen wie der in Kiew geborene Tischtennis-Star.

Er wurde in Kiew geboren. Seine Großmutter lebte noch in den ersten Kriegstagen in der ukrainischen Hauptstadt. Er spielte mehr als elf Jahre für den besten russischen Klub. Sein Vater war früher sowjetischer Meister. Kaum ein anderer deutscher Spitzensportler und seine Familie wurden von dem russischen Angriff auf die Ukraine persönlich so getroffen wie der Tischtennis-Nationalspieler und frühere Weltranglisten-Erste Dimitrij Ovtcharov.
Der 33-Jährige half in den vergangenen Wochen, seine Oma aus Kiew nach Deutschland zu holen und auch anderen Kriegsflüchtlingen in Düsseldorf, wo er lebt, eine Wohnung zu organisieren. „Erst mal habe ich tagelang an Tischtennis überhaupt nicht denken können“, sagte der Olympia-Dritte. Seine 85-jährige Großmutter habe in Kiew „zwei-, dreimal selbst probiert, in den Zug am Hauptbahnhof zu steigen. Da waren ja Tausende von Menschen dort, das Gedränge war riesengroß, sie schaffte es einfach nicht hinein“, erzählte er.
Als Ovtcharovs Oma in Sicherheit war, kündigte er bei Fakel Orenburg
Später habe „ein alter Tischtennis-Freund meines Vaters“ angerufen, der seine Familie ins Ausland bringen wollte. „Er selbst musste in der Ukraine bleiben und das Land verteidigen. Er bat meinen Papa, ihm bei der Wohnungssuche und den Behördengängen zu helfen, weil niemand in der Familie Deutsch spricht. Im Gegenzug nahm der Freund meine Oma mit.“
Erst als sie in Sicherheit war, kündigte Ovtcharov seinen Vertrag mit dem russischen Spitzenklub Fakel Orenburg, mit dem er seit 2010 viermal die Champions League gewann und der von Gazprom gesponsert wird. „Am ersten Tag des Krieges war uns klar: Jetzt geht es nicht mehr. Obwohl die Menschen im Verein nichts mit dem Krieg zu tun haben, mussten wir klar Stellung beziehen“, sagte er.
Doch für Ovtcharov verläuft die Trennlinie nicht einfach zwischen Russen und Ukrainern. Sein Vater spielte noch für den Staat, dem Russen, Ukrainer und Belarussen bis 1991 angehörten. „Er war Nationalspieler für die Sowjetunion. Und egal ob ich in der russischen Liga gespielt oder bei Turnieren ukrainische Funktionäre getroffen habe, alle wollten immer wissen, wie es meinem Vater geht“, erzählte Ovtcharov.
Kritik an Pauschal-Ausschluss russischer und belarussischer Sportler
Einer seiner engsten Freunde ist der dreimalige Europameister Wladimir Samsonow aus Belarus, das in diesem Krieg die Russen unterstützt. Und wenn Ovtcharov in diesem Sommer zum TTC Neu-Ulm nach Deutschland zurückkehrt, spielt er mit den russischen Nationalspielern Lev Katsman, Wladimir Sidorenko und Maksim Grebnew.
Ovtcharovs Credo: „Ich hätte nur ein Problem damit, wenn sie den Krieg befürworten würden. Dann könnte ich nicht mit ihnen spielen.“ Das gelte aber für alle Sportler. Aus diesem Grund kritisiert der 33-Jährige, dass russische und belarussische Sportler und Teams pauschal von der Fußball-WM oder dem Tennisturnier in Wimbledon ausgeschlossen werden. Der russische Tennisprofi Andrej Rubljow habe den Krieg „schon am ersten Tag klar verurteilt“. Es sei dann „traurig und ungerecht für Einzelsportler wie ihn, die ihren Beruf nur deshalb nicht ausüben können, weil sie den falschen Pass besitzen“.