Doping: Ohrfeige für Sportbund und Regierung
Wenn der Sportausschuss des Deutschen Bundestages am Mittwoch im Paul-Löbe-Haus tagt, wird erstmals wieder Gedrängel auf der Zuschauertribüne herrschen. Bekanntlich bevorzugen die Abgeordneten seit mehr als einem Jahr, seit einige Medien angeblich zu kritisch berichteten, geheime Debatten – nun öffnen sie eine Sitzung, jedenfalls für einen von drei Tagesordnungspunkten: „Strategien und Instrumente in Dopingverfahren in den USA und Deutschland“. Erwartet wird ein Stargast, mit dem man wohl punkten möchte, der Mann, der Lance Armstrong zu Fall brachte: Travis Tygart, Chef der Antidoping-Agentur der USA (Usada).
Tiefe Glaubwürdigkeitskrise
Die Einladung geht zurück auf einen Vorschlag der Ausschuss-Vorsitzenden Dagmar Freitag (SPD); ausgesprochen wurde sie schon im Oktober, kurz nachdem die Usada ihr 1000-seitiges Dossier zum Dopingsystem beim Radrennstall US Postal vorlegte. Es gehört nicht viel Fantasie zur Prognose, was aus dem Tygart-Auftritt wird: eine Lektion für die deutsche Sportpolitik.
Hierzulande steckt der Antidopingkampf in einer tiefen Glaubwürdigkeitskrise. Nicht allein, weil die deutsche Nada chronisch klamm gehalten wird – die Usada verfügt mit 15 Millionen Dollar beinahe über den dreifachen Jahresetat. Das Kernproblem ist ein anderes, und keiner könnte das besser illustrieren als Tygart. Wie kommt es, dass die Usada die Drahtzieher bei US Postal anklagt, einschließlich eines italienischen und eines spanischen Arztes (Michele Ferrari und Luis Garcia del Moral) und eines belgischen Teamchefs (Johan Bruyneel), obwohl ein Staatsanwalt die Ermittlungen eingestellt hat? Wie ist es möglich, dass die Nada die ebenfalls eingestellten Betrugsermittlungen gegen Jan Ullrich und Andreas Klöden ignorierte, obgleich für den Bonner Staatsanwalt schon 2009 Doping feststand? Und warum hat die Agentur nie versucht, die Freiburger Telekom-Ärzte zu sperren? „Es fehlt an Leuten, die auspacken“, jammerte Nada-Vorstand Lars Mortsiefer unlängst.
Das dürfte am Mittwoch kaum ausreichen, auch wenn die Nada-Farce sportpolitisch gewollt ist. Statt gen Bonn zu blicken, erregte sich etwa Thomas Bach, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds, gerade beim DOSB-Neujahrsempfang über Armstrongs „inhaltlich dürftigen“ TV-Auftritt bei Oprah Winfrey – und bewies einmal mehr, dass er den Schlingerkurs zwischen öffentlicher Moralpredigt und interner Betrugsverschleierung perfekt beherrscht. So ist zu hoffen, dass Tygart den zweiten Experten für die Sportausschuss-Sitzung nicht gänzlich überstrahlt. Dieter Maihold, Richter am Bundesgerichtshof, wird auch da sein. In einer 22-seitigen internen Stellungnahme, die dieser Zeitung vorliegt, befasst er sich mit der hiesigen Rechtslage.
Mainhold für Kronzeugen-Regelung
Seine Expertise kommt einer Ohrfeige für Bach & Co. gleich. Maihold plädiert für eine Reihe von Gesetzesänderungen, wie sie Bundesregierung und DOSB eben erst vom Tisch fegten. Etwa für eine Kronzeugen-Regelung, die in den USA für Doper existiert. Eine solche habe sich, stellt der Bundesrichter fest, schon „im Betäubungsmittelrecht zu einem unentbehrlichen, überaus wirksamen Aufklärungsinstrument entwickelt“. Vor allem aber begründet Maihold, warum der Besitz von Dopingmitteln uneingeschränkt unter Strafe gestellt werden sollte. Er sieht sogar eine „systemwidrige Strafbarkeitslücke“ darin, dass nach dem Arzneimittel-Gesetz (AMG) nur der Besitz „nicht geringer Mengen“ strafbar ist – was in der Regel Dealer trifft, aber nicht dopende Sportler.
Ins Reich der Legenden weist der BGH-Richter zudem ein vom DOSB beschworenes Schreckensszenario. Es lautet: Würden sportrechtlich als Doper überführte Athleten in staatlichen Ermittlungen freigesprochen, könnten sie Nada oder Verbände mit Schadenersatzansprüchen überziehen. Maihold: „Beide Verfahren werden … mit einer nur für den jeweiligen Bereich maßgeblichen Entscheidung abgeschlossen. Ein spezielles Haftungsproblem entsteht daraus im Grundsatz nicht.“
Widersprochen wird auch einem beliebten Scheinargument der Nada. Wie zuletzt in der Erfurter Blutpanscher-Affäre bezweifelt die erst mal gern, dass sie von Staatsanwälten erhobene Informationen überhaupt für Dopingverfahren nutzen darf. Unsinn, sagt Maihold: Solche Beweise „können grundsätzlich in einem verbandsrechtlichen Schiedsverfahren verwendet werden“.
Die rechtstheoretische Belehrung von einem Bundesrichter blamiert die Bundesregierung und den Juristen Bach bis auf die Knochen. Deshalb wohl sorgte die Koalition noch kurzfristig für die Einladung des Mannes, den der Sportausschuss gerade erst gehört hat – Matthias Jahn von der Uni Erlangen-Nürnberg. Der Rechtsprofessor evaluierte das AMG in seinem Bericht als „ausreichend“. Ein Attribut, das sich jedenfalls im Licht der Expertise von BGH-Richter Dieter Maihold nun ganz und gar verbietet.