Doping vor Olympia: Deutsche Sportler uneinig über Umgang mit russischen Athleten
Pyeongchang - Zwischen Anna Fernstädt und Tina Hermann kommt es zu einem kleinen Disput. Die beiden Skeleton-Fahrerinnen, die sich in Pyeongchang ein Zimmer teilen sind uneins, was die Sache mit den russischen Sportlern angeht. Dass einige vom IOC nicht eingeladen worden sind, obwohl der Sportgerichtshof (CAS) die lebenslangen Sperren aufgehoben hat, findet Hermann nicht gerecht. „So lange es keine konkreten Beweise gegen die einzelnen Sportler gibt, sollten sie nicht gesperrt werden“, sagt sie. Fernstädt sieht das anders: „Wenn sie Proben austauschen, ist das Beweis genug.“
Ginge es nach der Athletenkommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) sollte die Frage, ob diese olympischen Wettkämpfe ein fairer Leistungsvergleich werden, nicht weiter erörtert werden soll. In einem offenen Brief haben sich die ehemaligen an die aktiven Sportler gewendet. „Wir glauben, dass es Zeit für Euch ist, sich auf den Sport zu fokussieren und auf das, für das ihr in den vergangenen Jahren so hart gearbeitet habt“, heißt es darin. Dieser Bitte um Realitätsverdrängung vorangestellt war ein Versprechen: „Wir wollen Euch die Versicherung geben, dass alle Maßnahmen getroffen wurden, um sicherzustellen, dass Ihr gegen saubere Athleten antretet.“
Unabhängige Prüfstelle eingesetzt
17.000 Tests wurden im zurückliegenden Jahr mit Blick auf Olympia durchgeführt, in Pyeongchang sollen 2500 folgen. Erstmals werden diese von einer unabhängigen Prüfstelle (Ita) durchgeführt. Zunächst wird diese noch vom IOC finanziert, später soll sie sich als Service-Organisation für verschiedene Sport-Verbände selbst tragen. Die neu gegründete und von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) unterstützte Behörde verantwortet den gesamten Testprozess von der Athletenauswahl bis zum Ergebnis. Das IOC ist nicht mehr in das Verfahren eingebunden, wodurch Interessenskonflikte ausgeschlossen werden sollen.
Zweifel an dem Sauberkeits-Versprechen der Athletenkommission sind dennoch angebracht. Obwohl inzwischen Ersatz für die 4500 Doping-Kontroll-Sets eingetroffen ist. Die Wada hatte empfohlen, auf ein älteres Modell zurückzugreifen, nachdem Fernsehberichte aufgezeigt hatten, dass die neuen Flaschen unbemerkt manipuliert werden können. Der Hersteller, die Schweizer Firma Berlinger, ist dieser Aufforderung nachkommen und dem Vorgängermodell, das seinerseits von Fälschern leicht zu kopieren war, zusätzliche Sicherheitsmerkmale hinzugefügt. Die Fernsehberichte seien zwar nicht ganz nachvollziehbar gewesen, sagte Unternehmenssprecher Hans Klaus, aber „aus Kulanz“ habe man Ersatz produziert.
Dass es überhaupt neue Flaschen gegeben hatte, lag an der Manipulationen von Urinproben russischer Athleten bei den Winterspielen 2014 in Sotschi. Im Zuge der Aufarbeitung sperrte das IOC viele Sportler aus dem Gastgeberland, 45 hoffen noch darauf, ihre Teilnahme beim Cas einzuklagen. Die Entscheidung steht noch aus.
Sollte ein Fall vertuscht werden?
Würde der Entscheid positiv ausfallen, der deutsche Langläufer Thomas Bing hätte dafür Verständnis. „Man weiß nicht, ob die Spiele in Sotschi verseucht sind. Es kann sein oder nicht. Dadurch, dass die Proben ausgetauscht wurden, kann man es nicht mehr nachweisen“, sagte der 27-Jährige schon Mitte Januar.
Es könnte ja auch sein, so eine Überlegung, dass die Proben pro forma ausgetauscht wurden, um den einen möglichen Fall unter 100 zu vertuschen. Das hieße, dass Unschuldige von ihren voreiligen Staatsdienern in Mitleidenschaft gezogen wurden. „Wenn etwas staatlich gemacht wird, finde ich es schwierig, eine Pauschalisierung über alle Sportler zu treffen. Das ist in der Vergangenheit nicht glücklich gelöst worden“, sagte er noch. Einzelne Sportler zuzulassen, „bei denen sie beweisen können, dass sie nichts genommen haben“, das hält er für „eine gute Lösung“.
In eine ähnliche Richtung argumentiert jetzt die Skeletoni Hermann. Es gibt ja Fälle, in denen nicht die Manipulation, sondern nur der Versuch einer Manipulation (Kratzspuren) festgestellt wurde. Das könnte vorsätzlich geschehen sein. Wer weiß von wem? „Wenn es klare Beweise gibt, gehören die für immer gesperrt, aber daran hapert es“, entgegnet sie ihrer Teamkollegin Fernstädt.
Kritik an Vorgehen der Norweger
Die Biathlon-Medaillenanwärter Simon Schempp und Laura Dahlmeier sehen das anders. „So etwas wie in Sotschi darf nicht sein“, sagte Schempp jüngst. „Wenn eine ganze Nation mit unfairen Mitteln spielt, ist das das richtige Zeichen“, ergänzte Dahlmeier. Sie findet es zudem kritisch, „wenn manchen Nationen wie Norwegen die Grenzen so krass ausloten und zum Beispiel mit Verneblern arbeiten“. 2016 waren norwegische Langläufer aufgefallen, die Asthmasprays nutzten – genau so viel, um unter den erlaubten Grenzwerten zu bleiben.
168 Athleten aus Russland sind derzeit im offiziellen Meldesystem als Starter aufgeführt, nur eben nicht als offizielle Delegation. Die Landesfahne dürfen sie weder bei der heutigen Eröffnungsfeier noch bei den Wettkämpfen zeigen. Das übernehmen stattdessen russische Journalisten, die mit der Flagge auf der Mütze oder der Jacke über das Olympiagelände flanieren.
Der Glaube an den Sportsgeist
Zwar ist die von Bing und Hermann vertretene Unschuldstheorie angesichts der Zeugenaussagen unwahrscheinlich, doch als Athlet glaubt man gerne an den Sportsgeist der Konkurrenz. Vermutlich ist das notwendig, um nicht zu verbittern. Denn immer wieder zeigt sich, dass die Tester der Realität hinterherhinken. Zuletzt wurde dank des Recherchenetzwerks aus der ARD-Dopingredaktion, der britischen Sunday Times, dem schwedischen Sender SVT und dem Online-Magazin republik.ch publik, dass in Pyeongchang mehr als 50 Skilangläufer auf der Qualifikationsliste stehen, die zwischen 2001 und 2010 verdächtige Blutwerte aufwiesen, jedoch nie bestraft wurden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Werte eine andere Ursache als Doping haben liegt laut den Berichten bei einem Prozent.
Auch Deutsche sollen unter jenen sein, die damals auffällig wurden. Ob von ihnen noch jemand aktiv ist oder um wen es sich handelt, ist nicht bekannt. Darauf angesprochen, antwortete der Vorstand des Deutschen Olympischen Sportbunds, Dirk Schimmelpfennig, in Pyeongchang: „Die Daten sind so unkonkret, dass es nicht seriös ist, darüber zu sprechen.“ Worte die bei der IOC-Athletenkommission vermutlich auf Wohlwollen gestoßen sind. Die Chefin der Nationalen Anti-Doping-Agentur in Deutschland sieht zumindest die heutigen deutschen Athleten über alle Zweifel erhaben. Andrea Gotzmann erwartet, dass sie auf verbotene Mittel verzichten. „Wir haben sehr viel dafür getan, dass es so ist und werden unser Programm der Nachmessungen weiterverfolgen“, sagt sie.