Doppelinterview Dzembritzki/Härtel: „Olympia? Ich habe da eine Stadt im Kopf“
Es ist ein Stück bis zu Aleksander Dzembritzki. Vom Foyer der Senatsinnenverwaltung in den vierten Stock, vorbei an Porträts früherer Senatoren, rechts, rechts, wieder rechts: Dzembritzki wartet in seinem Büro mit Thomas Härtel, dem Präsidenten des Landessportbundes. Es wird gleich um die Sportstadt Berlin gehen, um Mangel, an Turnhallen etwa. Um Chancen auch, um Olympia. Dzembritzki und Härtel nehmen vor einer Stadtansicht in Öl Platz. An einem Kleiderständer hängen ein Sakko und ein T-Shirt, das für die Leichtathletik-EM 2020 in Paris wirbt. Es sieht so aus, als wollten sich die zwei gleich auf den Weg machen.
Herr Dzembritzki, Sie waren Direktor der Rütli-Schule, die als Problemschule galt und jetzt Vorzeigeprojekt ist. Warum ist Schulsport wichtig?
Dzembritzki: Wichtig ist, Erfolge zu vermitteln. Das kann Sport. Ich fand es auch wichtig, darüber eine Disziplinierung zu erreichen.
Nennen Sie mal ein Beispiel.
Dzembritzki: Wir haben einem Torwart der Fußballmannschaft gesagt: „Du hast dich jetzt mehrfach derart danebenbenommen, dass wir dich nicht zum Spiel mitschicken.“ Die Mannschaft hat verloren, und siehe da: Die Mitspieler waren nicht sauer auf mich, sondern auf den Torwart. Das spricht sich rum.
Keine Disziplin, kein Sport?
Dzembritzki: Nein, nicht generell. Sport ist ja eine wichtige Brücke zu den Vereinen. Die erste Sport-AG, die wir an der Rütli-Schule hatten, war eine Box-AG mit dem Polizei-Sportverein. Beim Boxen gibt es Regeln, man muss sich anstrengen, an seine Grenzen gehen. Diese Erfahrungen helfen im schulischen und später beruflichen Alltag.
Sind Schulen und Klubs bei fehlender Hallen nicht auch Konkurrenten?
Härtel: Bis 16 Uhr nutzen die Schulen die Hallen. Es gibt aber auch schon vor 16 Uhr Möglichkeiten für den organisierten Sport, wenn beide Seiten gut zusammenarbeiten. Wir müssen genauer hinschauen, wo Kapazitäten brachliegen und die Verteilung von Hallenzeiten transparenter machen.
Was meinen Sie damit?
Härtel: Nehmen wir die Schwimmhallen: Manche Schulen buchen ihre Zeiten für den Schwimmunterricht. Wenn die Kinder Schwimmen gelernt haben, nutzen Schulen die eine oder andere Halle nicht mehr, belegen aber Zeiten.
Berlin wächst rasant, Flächen werden bebaut, wo bleibt da der Sport?
Härtel: Es werden rund 60 neue Schulen gebaut, und dabei entstehen rund 350 Hallenteile für den Sport. Das ist ein Fortschritt. Es fehlen aber stadtweit auch rund 100 ungedeckte Großspielfelder. Die Flächen sind begrenzt. Da müssen wir kreative Lösungen finden. Etwa zwei Sporthallen übereinander oder Sportflächen auf dem Dach ermöglichen.
Dzembritzki: Es muss zum Nutzen des gesamten Kiezes sein. Schulen können zum Beispiel vormittags Senioren Zeiten für Sport einräumen. Die Senioren könnten sich dann in einer Art Buddy-Programm mit um die Schüler kümmern.
Dazu braucht man Geld.
Dzembritzki: Wir haben fünf Bezirke mit je 100 000 Euro für einen Sportentwicklungsplan ausgestattet, um zu sehen, wie sich Sport in dem Bezirk entwickeln lässt. Im nächsten Jahr kommen weitere Bezirke dazu.
Härtel: Wir vermissen die Stadtentwicklungsverwaltung. Die spielt toter Käfer, wenn es darum geht, den Sport frühzeitig einzubeziehen. Etwa bei Wohnungsbauvorhaben oder bei der Entwicklung von Grünanlagen im Sinne einer bewegten Stadt.
Dzembritzki: Wir brauchen beides: den organisierten Sport und den nicht-organisierten Sport. Deshalb wollen wir gucken: Wie können wir die Frei- und Sportflächen sinnvoll nutzen? Stichwort: Sport im Park, unser kostenloses Bewegungsprogramm für alle Berlinerinnen und Berliner. 83 Prozent der Berliner bewegen sich. Das ist eine extrem hohe Zahl. Auch das ist ein Grund, warum wir die Sportmetropole Nummer eins sind. Weil wir selber so sportlich sind.
Die Sportmetropole definiert sich aber eher über große Events, oder?
Dzembritzki: Ohne Breite keine Spitze, heißt es. Wir brauchen Breitensport, bestens organisiert mit gut ausgebildeten Übungsleitern. Wir hatten diesen wunderbaren Leichtathletik-Sommer, 2017 das wunderbare Turnfest. Es macht keinen Sinn, die Sportler hier eine Woche einfliegen zu lassen – und wenn sie wieder weg sind, spricht keiner mehr davon. Sport ohne Spuren zu hinterlassen, finde ich sinnlos. Wir brauchen deshalb die Einbindung der gesamten Stadt, ein Rahmenprogramm für alle. Am Ende müssen wir uns immer fragen: Welche Rendite bringt der Sport für die Stadt und die Menschen hier?
Stadtrendite? Was bedeutet das?
Dzembritzki: Wir hatten dieses Jahr das Programm „Laufen.Springen.Werfen.“ Damit sind wir durch alle Bezirke gewandert. Immer wieder ist ein Verein aus dem jeweiligen Bezirk dort präsent gewesen. Da war auch der Parasport mit dabei.
Härtel: An der Schoolatics-Woche haben 28 000 Schüler teilgenommen. In dieser Woche konnten sie alles Mögliche kostenlos ausprobieren. Wir haben 450 000 Euro reingesteckt. Wir haben Teilhabe-Pakete mit 700 000 Euro ausgestattet. Zum Beispiel für Sport mit Geflüchteten oder Menschen mit Behinderung.
Im Januar steht die Handball-WM in Berlin an. Wie profitiert die Stadt?
Dzembritzki: Handball wird zum Motor für alle anderen Sportarten. Wir etablieren eine neue Kultur: Veranstaltungen haben einen Rahmen, der andere Sportarten mitnimmt.
Klingt gut, aber was bedeutet das?
Härtel: Nächsten August haben wir hier gebündelt an einem Wochenende zehn deutsche Meisterschaften. Wir werden im Olympiapark an zwei Tagen unser Familiensportfest anbieten: Menschen gehen zu den Finals und erfahren dabei selbst die Vielfalt der Sportarten.
Das funktioniert in Berlin?
Härtel: Zum letzten Familiensportfest kamen rund 80 000 Menschen. Bewegung generationsübergreifend!
Aber die Mehrheit ist gegen Olympia.
Dzembritzki: Jede sportliche Großveranstaltung dient dem Sport. Wenn sie gut gemacht wird. Wir sind ganz stolz, dass wir für 2023 die Special Olympics World Summer Games bekommen haben, es ist die größte Sportveranstaltung weltweit von Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Es kommen 7 000 Sportlerinnen und Sportler, 12 000 Familienmitglieder, genauso viele Volunteers.
Die perfekte Vorbereitung für eine neue Olympiabewerbung?
Dzembritzki: Wenn man über Olympia nachdenkt, muss man überlegen: Wo kann das stattfinden? Da habe ich eine Stadt im Kopf. Aber das muss eine gesamtdeutsche Veranstaltung sein. Deutschland muss Olympia wollen. Dann überlegt man gemeinsam: Wie und wo können wir es am besten gestalten? Die European Championships im Sommer haben ja gezeigt, dass so etwas auch in zwei Städten funktioniert. Ob das Berlin und Glasgow sind oder Berlin und Hamburg…
Wer bezahlt das am Ende?
Dzembritzki: Der finanzielle Ballast darf nicht bei der Stadt liegenbleiben. Das ist ja immer ein Riesenproblem. Wenn wir Großveranstaltungen machen, war die Beteiligung des Bundes nicht besonders hoch. Bei den Special Olympics ist das zum ersten Mal anders, da teilen sich Land und Bund die Kosten mit je rund 35 Millionen Euro. Etwa 12 Millionen finanzieren die Special Olympics Organisatoren.
Was hat der Normalbürger davon?
Dzembritzki: Sportgroßveranstaltungen wirken als Motor für die Stadtentwicklung. Für die European Championships im Olympiastadion haben wir eine zweistellige Millionensumme mitfinanziert. Wir haben das Mommsenstadion nachhaltig qualifiziert. Wir haben in der Laufbahn eine Zeitmessanlage installiert, die wird heute täglich genutzt, auch vom Schulsport. Die Geräte, die wir angeschafft haben für die EM, haben wir bei der Para-EM eingesetzt, die werden auch heute weiter genutzt.
Härtel: Eine Olympiabewerbung oder der Zuschlag setzt viel frei für den Sport. Schmelinghalle, Velodrom oder SSE-Schwimmhalle wären nicht denkbar, ohne dass Berlin sich beworben hätte. Es sind neue Hallen dazukommen, auch private. Wir müssten hier nicht so viel mehr dafür tun. Allerdings müssen wir Vorbehalte abbauen. Da hoffen wir auf das IOC.
Das bedeutet?
Härtel: Wir wollen umweltfreundliche Spiele. Aber wir wollen vor allem auch: fairen Wettbewerb und dopingfreie Wettkämpfe.
Das überzeugt Olympiamuffel?
Härtel: Wir reden immer über Teamgeist, Solidarität, Internationalität und Integration. Wo kommen Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen? Bei Olympia, bei den Paralympics. Das müssen wir überzeugend rüberbringen.
Wieso wurden die 83 Prozent Sport treibender Berliner nicht einbezogen?
Dzembritzki: Die Bürgerinnen und Bürger machen nicht mehr mit, dass man 80 Millionen für eine Woche ausgibt, und danach ist davon nichts mehr zu erleben. Mit einem langen Vorlauf und Rahmenprogramm haben wir künftig die Chance, mehr als die 83 Prozent Sportbegeisterten mitzunehmen.
Sie werben kräftig für Olympia, oder?
Dzembritzki: Ich spreche über Sportentwicklung. Unsere Sportentwicklungsstudie hat erbracht: 180 Bewegungsformen haben wir in Berlin. Wir haben das Sportpotenzial, Leute, die als Vorbilder gesehen werden. Olympia würde der Stadt Arbeitsplätze bringen, den Tourismus fördern, Investitionen in die Sportstätten ermöglichen, neue Sportstätten könnten eröffnen. All das entwickelt sich. Ein Puzzleteilchen nach dem anderen führt zu Akzeptanz für Olympia.
Wie passt das zur Hallenmisere?
Härtel: Wir haben viele Sportstätten, die geschlossen sind, weil sie sanierungsbedürftig sind. Mich hat heute ein Handballverein aus Steglitz angerufen. Wir haben in Steglitz etwa 60 Sportstätten, davon sind 16 geschlossen wegen Sanierungsnotwendigkeit. Das heißt, es muss natürlich in diese Infrastruktur insgesamt mehr investiert werden, nicht nur in große Sporthallen, die wir dann für Olympia benötigen.
Und dann sind alle für Olympia?
Härtel: Der Sport muss erkennen, dass er profitiert. Insofern ist es gerade bei einer wachsenden Stadt wichtig, dass die Hallen dem Sport zur Verfügung stehen. So lange das nicht so ist, ist Olympia schwierig zu vermitteln. Es gilt also, über den Sport zu vermitteln, dass man etwas in Gang bringt für die Gesellschaft.
Dzembritzki: Ich sage ja: Die Menschen mitnehmen. Da sind wir auf einer sehr guten Reise. Uns ist ein Projekt in diesem Sommer herausragend gut gelungen. Das war die Idee, auf dem Breitscheidplatz bei der EM Kugelstoßen zu veranstalten. In einem Stadion mit 3 000 Plätzen. Alle Sportler waren am Ende begeistert. Die Bürgerinnen und Bürger waren es auch. Diese Emotionen setzen sich auch fest in unserer Stadt.
Hilft es beim Thema Olympia, dass neuerdings zwei Berliner mehr im Präsidium des DOSB sitzen?
Härtel: Die Berlinfreundlichkeit hat zugenommen. Mit Kaweh Niroomand und mit Gudrun Doll-Tepper haben wir da Leute mit Gewicht.
Dzembritzki: Es war auch klug, dass Senator Geisel einen ganz klaren Schlussstrich unter die Diskussion um die inzwischen weltbekannte blaue Laufbahn im Olympiastadion gezogen hat. Unser Fünf-Sterne-Olympiastadion hat sich im Sommer herausragend präsentiert. Andere Bundesländer sagen: Oh, da haben wir vielleicht doch einen Fehler gemacht, als wir unser Multifunktionsstadion zu Gunsten einer reinen Fußballarena aufgelöst haben. Für bestimmte Wettkämpfe kommt jetzt nämlich nur noch Berlin allein in Betracht.
Das Gespräch führten Karin Bühler und Christian Schwager.