„Erhebliche Defizite“: Deutschen Fußballprofis fehlt es an Bildung

Die wissenschaftliche Auswertung befindet sich am Institut für Sportmanagement und Sportmedizin der Hochschule Koblenz gegenwärtig in vollem Gange. Die Vereinigung der Vertragsfußballer, kurz VdV, hat erst vor wenigen Wochen Fragebögen an die Mannschaften der Bundesliga, Zweiten Bundesliga und der Dritten Liga verschickt, um mehr zum Thema „Bildung und nachfußballerische Berufsplanung“ zu erfahren. Denn noch immer beschäftigen sich viel zu wenige mit der Zeit nach der Karriere.

„Nach unserer letzten Erhebung verfügen nicht einmal 20 Prozent der Profis über abrufbare berufliche Qualifikationen, und nur ein Drittel bildet sich parallel zum Fußball zielgerichtet weiter“, warnt der VdV-Geschäftsführer Ulf Baranowsky. Die Veröffentlichung der Befragung unter den 1 400 Mitgliedern ist im Frühjahr geplant. Zuletzt hatte die VdV vor drei Jahren eine Bildungstendenzstudie vorgestellt.

Fakt ist: Falsche Vorstellungen vom Berufsleben sind immer noch weit verbreitet. Baranowsky sagt: „Es ist nachvollziehbar, dass die meisten Spieler nach der Karriere im Fußball als Trainer oder Sportdirektor weiterarbeiten wollen. Dies ist allerdings aufgrund der begrenzten Zahl der Arbeitsplätze nicht möglich. Zudem sind auch für diese Positionen grundsätzlich entsprechende Qualifikationen erforderlich.“ Die Bildungsdebatte in der Glitzerwelt Profifußball ist auch deshalb so aktuell, weil Nils Petersen unlängst die These einer schleichenden Verdummung aufgestellt hat. Der 29 Jahre alte Mittelstürmer des SC Freiburg bekannte in einem Interview: „Salopp gesprochen verblöde ich seit zehn Jahren. Manchmal schäme ich mich, weil ich so wenig Wissen von der Welt besitze.“

Auf das offene Eingeständnis erfolgte auffällig wenig Gegenrede. Immerhin entgegnete Nationalspieler Sami Khedira: „Wenn man sich ausschließlich auf den Job konzentriert, hat er recht.“ Aber es sei doch jedem frei überlassen, sich weiterzubilden. „Meiner Meinung nach sollte man auch außerhalb des Berufs probieren, den Kopf frisch zu halten. Dafür muss man nicht 500 Bücher lesen“, sagte der 30-Jährige. „Stattdessen kann man sich zum Beispiel mit Menschen aus anderen Bereichen unterhalten. Das macht einen reifer, fördert den Weitblick.“

Nationalspieler werden fortlaufend geschult

Für Weltmeister wird solcher Input sogar organisiert. Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff hat das A-Team wiederholt mit Persönlichkeiten wie Bergsteiger Reinhold Messner, Golf-Star Martin Kaymer oder Formel-1-Pilot Nico Rosberg zusammengeführt. Und Grundsätze zur Sprachregelung etwa in gesellschaftspolitischen Fragen werden zum Nachlesen sicherheitshalber in einer internen App hinterlegt – wie etwa der richtige Sprachgebrauch zu heiklen Themenfeldern während des Confed Cup in Russland.

Damit peinliche Wissenslücken der Jungstars, die sich mit Auto- und Modemarken besser auskennen als mit Politik oder Geschichte, erst gar nicht herauskommen. Ein deutscher U21-Nationalspieler soll beispielsweise erst bei der EM im vergangenen Jahr in Polen erfahren haben, dass das Land, dessen Trikot er trägt, einmal aus zwei Teilen bestand. Gleichwohl wäre es üble Nachrede, ganz allgemein gewaltige Bildungsdefizite zu unterstellen. Rund zwei Drittel der Spieler hätten mittlerweile Abitur oder Fachabitur, versichert die VdV.

Die vor drei Jahrzehnten von den ehemaligen Profis Benno Möhlmann, Ewald Lienen und Frank Pagelsdorf gegründete Spielergewerkschaft weist stets auf den großen Trichter und enormen Konkurrenzkampf im Kicker-Gewerbe hin. „Aus den Nachwuchsleistungszentren schaffen nur weniger als fünf Prozent aller Spieler den Sprung in den Top-Bereich“, erläutert Baranowsky.

Die öffentliche Wahrnehmung werde indes von den wenigen Galionsfiguren wie Manuel Neuer, Mats Hummels oder Thomas Müller geprägt. Wer im Oberhaus kickt, kann generell nicht klagen. Im Liga-Report 2017 wies die Bundesliga einen Personalaufwand von fast exakt einer Milliarde Euro aus. Ergo: Das Durchschnittsgehalt des Erstligaspielers liegt bei rund zwei Millionen Euro.

Fußballprofis sind nicht per se Millionäre

Aber: Der Großteil der Profis spielt in der Zweiten, Dritten und Vierten Liga. „Und gerade in der Dritten Liga und in den Regionalligen sind wir nicht selten sogar mit Mindestlohnproblemen konfrontiert“, weiß Baranowsky. Für seine Mitglieder wird sogar ein individuelles Coaching „beim Sprung in die nachfußballerische Berufslaufbahn“ angeboten. Denn unterhalb der Bundesliga leben viele von der Hand in den Mund.

Für VdV-Präsident Florian Gothe sind die Spielklassen unterhalb der Lizenzligen und der Jugendbereich das wahre Problemfeld. Dort sei seine Institution regelmäßig mit prekären Beschäftigungsverhältnissen konfrontiert und helfe insbesondere denjenigen, die (noch) nicht den Sprung nach oben geschafft haben und denjenigen, die endgültig aus dem System Profifußball herausgespült würden. „Für diese gilt nämlich in der Regel: Existenzangst und leere Taschen statt Ruhm und dicken Autos“, schrieb der ehemalige Profi (unter anderen VfL Bochum) jüngst im Vorwort seines Verbandsmagazins.

Gothe vermisst in Deutschland den ernsthaften Willen zu regelmäßigen Präventionsschulungen, um die Spieler „vor Gefahren zu schützen und sie schon frühzeitig auf die nachfußballerische Berufslaufbahn vorzubereiten“. England sei hier ein leuchtendes Beispiel. „Dort arbeiten Verbände, Klubs und Ligen tatsächlich Hand in Hand zusammen, wenn es darum geht, der Fürsorgepflicht für die Spieler sowie der gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden.“

Berater sollen stärker auf Weiterbildung ihrer Profis eingehen

Baranowsky würde sich wünschen, dass auch die Spielervermittler – die allein über Transferprovisionen aus der Bundesliga zuletzt 148 Millionen Euro kassierten − sich stärker dem Thema der beruflichen Weiterbildung widmen und die Angebote der Spielergewerkschaft nutzen. Viele sind anscheinend vor allem auf Vereinswechsel und Vertragsangelegenheiten statt auf Weiterbildung und Absicherung aus. Bei den großen Agenturen beinhaltet die „Laufbahnberatung“ in erster Linie die fußballerische Karriere – der Antrieb und die Vorstellungen für die Zeit danach, hänge entscheidend vom Akteur selber ab, heißt es.

Vorzeigebeispiele gibt es: Stefan Reinartz beendete im Alter von 27 Jahren seine Karriere, um das Kölner Startup Impect voranzutreiben, das eine völlig neue Form der Spieldatenerfassung begründete. Der ehemalige Bundesligaspieler findet seine neue Tätigkeit in vielerlei Hinsicht spannender als den aktiven Fußball. Doch viele Kollegen müssten das Leben danach erst erlernen. „Fußballer werden kaum vorbereitet. Ich denke, dass sowohl Vereine als auch Berater oder das direkte Umfeld des Spielers noch besser auf ihn einwirken könnten“, sagt Reinartz.

Baranowsky hat grundsätzlich festgestellt, „dass insbesondere die wissbegierigen, selbstkritischen, ehrgeizigen und sozial engagierten Spieler es schaffen, den Sprung in die nachfußballerische Berufslaufbahn erfolgreich zu meistern. Unvorbereitet und ohne Plan B in das neue Leben zu starten, ist aus unserer Erfahrung mit großen Risiken verbunden.“