Europameister-Trainerin: Sarina Wiegmann lässt England nach elf Monaten jubeln
Die Trainerin aus den Niederlanden hat mit den englischen Fußballerinnen ihre zweite EM gewonnen. Ihr Pragmatismus und ihr Perfektionismus sind ein Faustpfand.

Auf den ersten Blick mag Sarina Wiegman mit ihrer Brille viele an die Lehrerin erinnern, die nach einer verhauenen Klassenarbeit besonders streng schaute. Und die Schülerinnen und Schüler ermahnte, sich beim nächsten Mal mehr anzustrengen. Wenn Englands Nationaltrainerin während der Fußball-Europameisterschaft in den vergangenen Wochen zu den Pressekonferenzen erschien, konnte von einer oberlehrerhaften Attitüde keine Rede mehr sein. In erster Linie war die Niederländerin damit beschäftigt, die überbordenden Erwartungen zu dämpfen. Alle sollten sich doch mal ein bisschen entspannen.
Entspannung aber setzte auch bei ihr erst zeitversetzt ein, als sie am Sonntagabend nach dem 2:1-Finalsieg gegen Deutschland kurz innehielt und nicht sofort zum Jubel ansetzte. Mit den englischen Fußballerinnen ist ihr das gelungen, was den Männern vor einem Jahr in Wembley verwehrt blieb: beim Heim-Endspiel den EM-Pokal einzusacken.
Ein Triumph mit Ansage, wenn man es so will. Englands Verband hat die Niederländerin schließlich auf die Insel gelockt, weil sie genau weiß, wie titeltaugliches Coaching bei einem Heimturnier geht: Bei der EM 2017 verwandelte sich der Endspielort Enschede in eine Oranje-Partymeile, in der Wiegmann auch am Ende wie ein nüchterner Fels in der Brandung wirkte. Im Gegensatz zu ihren Landsleuten hatte sie dem niederländischen Team mit Vivianne Miedema, Lieke Martens und Co die Sensation ja zugetraut.
Ihr Matchplan war auch im sonntäglichen Finale gegen Deutschland wieder von klaren Aufgabenverteilungen in einer fixen Stammelf geprägt. Nach dem Gegner richtet sich das Team am allerwenigsten. Wiegman will das so. Trotz eines strengen Führungsstils werden ihr Pragmatismus und ihr Perfektionismus gelobt. Die Fußballlehrerin gilt als Workaholic – lacht aber viel häufiger als bei der EM vor fünf Jahren. Wiegman möchte ihrer Mannschaft den Druck nehmen und vermittelt lieber die Lust am Spiel, denn in ihrer aktiven Zeit „hatte ich manchmal nicht genug Spaß“. Mittelfeldspielerin Keira Walsh sagte kürzlich: „Unsere Mentalität dreht sich nur noch darum, dass das Team gewinnt. Keine schmollt mehr, wenn sie ausgewechselt wird. Die Atmosphäre ist weniger angespannt.“
Nicht einmal elf Monate haben dem „Superhirn“ (The Independent) genügt, um aus den „Lionesses“ wirklich das zu machen, was sich hinter ihrem Namen verbirgt: ein Rudel hungriger Löwinnen, die ihre Beute so lange jagen, bis sie erlegt ist. 120 Minuten waren es gegen Deutschland. Der Rest war Jubel, auch bei Sarina Wiegman.