Es sei „eklig, gegen ihn zu spielen“, hatte Matthias Sammer einst über seinen Kollegen Falko Götz gesagt. Der ehemalige Mittelstürmer sei „ein kleiner Widerling auf dem Platz“. Immer mit einem unerwarteten Haken im Repertoire. Heute bemüht sich Falko Götz als Trainer von Erzgebirge Aue, der deutschen Zweitligakonkurrenz ein Widerling zu sein. So weit das möglich ist, denn Aue spielt gegen den Abstieg. Wenn es ganz dumm läuft, könnten mit Aue, Cottbus und Dresden gar drei Zweitligavereine aus dem Osten absteigen. Götz ist vor dem Sachsenderby an diesem Donnerstag gegen Dresden zwar vom Klassenerhalt überzeugt, aber nicht so von der Zukunft des Ostfußballs.
Herr Götz, Aue gegen den FC Bayern – das wär’ doch mal was. Können Sie sich vorstellen, jemals eine solche Bundesligapartie zu erleben, womöglich als Trainer?
Im Augenblick nicht, das ist unwahrscheinlich. Es sei denn, das Losglück würde uns die Bayern bescheren.
In diesem Jahr sind Sie mehr damit beschäftigt, die Klasse zu halten ...
.. nicht nur in diesem. Es gab in der Vergangenheit selten Jahre, in denen es gelang, uns mal frühzeitig vorm Abstieg zu retten. Dieses Jahr scheint ein solches zu sein.
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Allerdings, sollten Sie gegen Dresden verlieren, wären es nur noch drei Punkte bis zur Relegation. Und das Restprogramm gegen Düsseldorf, Paderborn und St. Pauli hat es in sich. Was tun?
Es erst gar nicht darauf ankommen lassen. Unsere Auftritte in den letzten Spielen machen mich zuversichtlich, dass wir gegen Dresden den Schritt Richtung Klassenerhalt schaffen.
Mit Aue, Dresden und Cottbus stecken gleich drei ostdeutsche Vereine im Abstiegsstrudel. Wird die Dritte Liga ein Sammelbecken der ehemaligen DDR-Oberligavereine?
Ja, da muss man fast von ausgehen. Dresden hat ja noch alle Möglichkeiten, aber für Cottbus sieht es gar nicht gut aus. Schon jetzt hängen ja viele DDR-Traditionsvereine in der Dritten Liga fest.
Von blühenden Landschaften ist im Fußballosten 25 Jahre nach Mauerfall nichts zu sehen. Woran liegt das?
Ein wesentlicher Grund ist die fehlende Wirtschaftskraft. Und da, wo sie ist, wurde teilweise schludrig mit dem Geld umgegangen. Da muss man Vereine wie Aue, Cottbus oder Union loben. Die waren zu DDR-Zeiten ja keine absoluten Spitzenmannschaften, sind heute aber in der Zweiten Liga die Aushängeschilder des Ostens.
Mannschaften wie der 1. FC Magdeburg, der 1974 Europapokalsieger mit Spielern wurde, die alle aus der Region stammten, kickt gar nur in der Regionalliga. So wie Carl Zeiss Jena, Sachsenring Zwickau oder Lok Leipzig. Was läuft da schief?
Vielen fehlt einfach das Geld, um die Infrastruktur rundum zu pflegen. Teilweise haben die Vereine zwar neue Stadien, aber finanziell mächtig daran zu knabbern. Früher hatten Vereine wie Magdeburg, Jena, Berlin oder Rostock alle sportbetonte Schulen. Heute liegt vieles brach. Es gibt Zweitligaklubs, die haben Trainingsbedingungen wie ein Fünftligist. Darum bleiben viele Talente eben nicht bei ihren Vereinen, sondern gehen in Nachwuchsleistungszentren der großen Bundesligavereine.
Ein Beispiel ist Marcel Schmelzer. Können Sie verstehen, dass der schon als Jugendlicher von Magdeburg nach Dortmund wechselte?
Sein ganzer Werdegang spricht doch absolut für den Wechsel. Bei vielen Bundesligavereinen werden Nachwuchsspieler nicht nur gut ausgebildet, sondern haben auch die Chance, in den Profikader aufzurücken. Wer das schafft, kann sein soziales Umfeld komplett verändern. Das reizt zusätzlich.
Leiden manche Ostvereine nicht auch an verkrusteten Strukturen?
Es gibt sicherlich hier und da veraltete Strukturen. Andererseits gab es Hasardeure, die mit dem Geld nur um sich geworfen haben. Dann gab es Sponsoren aus dem Westen, die versuchten, sich Dinge zu erkaufen. Es sind die unterschiedlichsten Dinge passiert in den Vereinen, aber sie haben oftmals nicht zum Erfolg geführt. Es gibt nur wenige Klubs, in denen verantwortungsvoll gearbeitet und wo immer der erste vor dem zweiten Schritt gemacht wurde.
Sie spielten in Berlin, Leverkusen, Köln, Istanbul, waren Trainer in Westvereinen und sind es nun in Aue. Wo liegt der Unterschied?
Da sind wir wieder beim Geld und bei der Infrastruktur.
Was tun, wenn man es nicht hat?
Es hat Tradition in Aue, dass man nur die Dinge macht, die möglich sind. Und daraus versuchen wir, das Beste zu machen. Im Zweifel wird auf Investitionen verzichtet, die einem hinterher auf die Füße fallen können. Spinner können wir hier nicht gebrauchen. Das war schon früher so. Aue war ja zu DDR-Zeiten der einzige Verein, der allen Wirren zum Trotz ununterbrochen in der Oberliga gespielt hat.
Trotzdem ist man machtlos, wenn einem die Talente weggeholt werden. Kann man das verhindern?
Das schafft im Osten im Augenblick nur Red Bull Leipzig. Der Verein ist der einzige im Osten, bei dem die komplette Infrastruktur stimmt. Die Leipziger müssen sich nicht sorgen, dass ihre Talente weggeholt werden. Die greifen selbst jede Menge Nachwuchsspieler aus den anderen Ostvereinen ab. Das Einzige, was dort noch fehlt, ist die Profiabteilung. Aber auch das wird nicht mehr lange dauern.
Was halten Sie vom dem Projekt?
Jeder Verein, der in Ausbildung investiert, ist willkommen im Osten. Ich als Elternteil würde mein Kind immer dahin geben, wo es am besten ausgebildet wird.
Wie könnte Aue denn von RB Leipzig profitieren?
Von den Talenten, die dort ausgebildet werden, wird es auch nicht jeder bis ganz oben in den Profibereich schaffen. Wir sollten schauen, ob da Spieler dabei sind, die wir uns auf dem zweiten Weg wieder zurückholen können.
In den Neunzigerjahren kickten viele Spieler aus dem Osten im Nationalteam. Heute sind es mit Marcel Schmelzer und Toni Kroos noch zwei. Das kann dem gesamtdeutschen Fußball doch nicht guttun?
Ich glaube, dass wir nach wie vor genug Talente im Osten haben. Sie werden mit Sicherheit auch entdeckt und gefördert. Die Frage ist nur, ob sie den Ostvereinen dann auch als Spieler zur Verfügung stehen. Was sie halten würde, wäre eine Mannschaft in der Ersten oder wenigstens in der Zweiten Liga.
2008/09 spielte letztmals ein ostdeutscher Verein in der Ersten Liga: Energie Cottbus. Glauben Sie, dass dies bald wieder eine Mannschaft aus dem Osten schaffen kann?
Wir haben schon Vereine mit Potenzial, ganz vorn RB Leipzig. Auch Rostock habe ich noch nicht abgeschrieben. Dresden ist für mich ebenfalls ein schlafender Riese. Man muss halt mit dem Geld, das man zur Verfügung hat, ordentlich haushalten.
Das Gespräch führte Peter Kirnich.