Das beste Gefühl des Lebens: Johanna Schikora aus Berlin siegt bei World Games

Die Flossenschwimmerin vom TC fez schreit in Alabama ihre Freude in die Halle und sagt über ihr Rennen: „Ich kann mich an nichts mehr erinnern.“

World-Games-Siegerin Johanna Schikora aus Berlin mit ihrem Trainer Volko Kucher, der ihre Medaille herzeigt.
World-Games-Siegerin Johanna Schikora aus Berlin mit ihrem Trainer Volko Kucher, der ihre Medaille herzeigt.Privat

„Welcher Tag ist eigentlich heute?“, fragt Johanna Schikora am Telefon. Sie ist gerade nach einer Busfahrt Richtung Atlanta mitten in der Nacht auf dem Flughafen in Miami gelandet – auf dem Weg von den World Games in Birmingham, USA, zu den Weltmeisterschaften im Flossenschwimmen in Cali, Kolumbien. Und bei all dem, was am Wochenende passierte, ist es kein Wunder, dass die Berliner Flossenschwimmerin vom TC fez für einen Moment die Orientierung verloren hat.

Die World Games waren Schikoras großes Ziel. Sie finden nur alle vier Jahre statt. Sie gelten als größte Wettkampfveranstaltung für all diejenigen Sportarten, die es nicht ins Olympiaprogramm geschafft haben – wie Kanupolo, Rollschuhkunstlauf, Lacrosse, Faustball oder: Flossenschwimmen.

Schikora gewinnt vor der Ukrainerin, die auf ihrem Sofa schlief

Die 20 Jahre alte Psychologiestudentin, die in Hohenschönhausen in der Nähe des Sportforums wohnt, ist eigentlich eine Spezialistin für die langen Strecken mit der Monoflosse, für die 800 und die 1500 Meter. Aber die World Games haben nur die 400 Meter  Finswimming im Programm. Also stellten Schikora und ihr Trainer Volko Kucher das Training um. Denn neben der Ausdauer entscheidet auf den kürzeren Strecken die hohe Geschwindigkeit, die Frequenz, mit der die Flosse delfinartig auf und ab bewegt wird.

Schikora, die mit Kopfhörern über ihrer schwarzen Badekappe ins Natatorium des Birmingham Crossplex einlief, war schnell. Sehr schnell. So schnell wie noch nie eine Monoflossenschwimmerin bei den World Games zuvor. Die 1400 Zuschauer auf der Tribüne machten Lärm, als sie sahen, dass sich die Berlinerin auf Bahn drei nach etwa der Hälfte der Strecke einen Vorsprung herausgeschwommen hatte. „Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Nur noch an die letzte Wende“, sagt Schikora. „Da hab ich Sofia noch gesehen. Dann hab ich nur noch reingetreten, alles hat wehgetan.“ Sie schlug in 3:14,22 Minuten vor den Ukrainerinnen Sofia Hrechko (3:16,22) und Anastasia Antoniak (3:18,84) an.

World-Games-Rekord. Goldmedaille. „Das ist in unserem Sport die höchste Medaille, die man erreichen kann. Dass ich das bei meinen ersten World Games in meinem ersten Einzelrennen geschafft habe, ist unglaublich“, sagt Schikora. Trainer Kucher schlug am Beckenrand die Hände über dem Kopf zusammen.

Anastasia Antoniak, die Drittplatzierte auf der Nebenbahn, die nach ihrer Flucht vor dem Krieg in der Ukraine für einige Wochen in Schikoras Eineinhalbzimmerwohnung in Hohenschönhausen auf dem Sofa übernachtet und seit April mit ihr in Berlin trainiert hatte, drückte die Siegerin fest. „Das war richtig schön“, sagt Schikora, „Anastasia hat mich direkt so fest umarmt und gar nicht mehr losgelassen. So süß.“

Wie bedeutsam der Erfolg für Schikora gewesen ist, wie groß ihre Freude war, konnten die Zuschauer im Natatorium von Birmingham dann hören: Schikora winkte mit dem blauen Schnorchel ins Publikum. Sie schrie. Und dann schrie sie noch mal. Richtig laut: „Ich musste das rauslassen. Das war das beste Gefühl meines Lebens. Es hat sich alles gelohnt, ich habe geschrien. Ich war so glücklich.“

Schikora plant fünf Wettkämpfe bei der WM in Cali

Ihr Glück war Schikora anzusehen, als der Hallensprecher sie und die beiden Ukrainerinnen wenig später zur Siegerehrung ankündigte: „Please welcome the medalists.“ Da ging die Berlinerin stolz, aufrecht, und grinsend am Beckenrand entlang, um kurz vor dem Podium Trainer Kucher abzuklatschen. In der Vorbereitung hat alles super funktioniert, sagt Schikora. Sie bekam trotz aller Lieferengpässe und trotz des Krieges rechtzeitig ihre maßgefertigte Monoflosse aus der Ukraine geliefert. Sie konnte die Höhenkammer in Adlershof nutzen, zum Trainingslager nach Polen und Italien fahren, ihr neuer Schwimmanzug kam pünktlich. „Trotzdem hatte ich nicht die größte Selbstsicherheit auf der 400-Meter-Strecke“, sagt die Weltmeisterin über 800 und 1500 Meter Finswimming, „aber jetzt ist das auch meine Strecke.“

Schikora genoss die World Games. Die Eröffnungsfeier hatte in einem ausverkauften Football-Stadion stattgefunden. Auf dem Universitätsgelände der University of Alabama fühlte sie sich fast wie im olympischen Dorf. Sie schaute beim Sumoringen zu. Und sie jubelte, als „Malle“ – so nennen sie Weltmeister und Weltrekordhalter Jan Malkowski, 29, vom Berliner TC fez – bei den Wettkämpfen der Rettungsschwimmer über 100 Meter Manikin Carry mit Flossen ebenfalls die Goldmedaille gewann.

Am 20. Juli beginnen nun die Wettkämpfe bei der WM in Cali unter freien Himmel auf 1300 Metern Höhe. Dort tritt Schikora über 400, 800 und 1500 Meter sowie in zwei Staffeln an. Die Berlinerin sagt, sie freue sich darauf. Die große, schwere World-Games-Medaille hat sie ja bereits im Gepäck.