Eine Frage der Tiefe: Wer wird am Sonntag als Präsident von Hertha BSC gewählt?

Die Mitglieder des Berliner Bundesliga-Klubs können zwischen Frank Steffel und Kay Bernstein wählen. Beide wollen das Chaos der Vergangenheit beseitigen.

Herthas Präsidentschaftskandidat Frank Steffel im Vereinsheim der Füchse in Reinickendorf.
Herthas Präsidentschaftskandidat Frank Steffel im Vereinsheim der Füchse in Reinickendorf.Benjamin Pritzkuleit

Es ist sehr warm an diesem Sommermorgen in Alt-Reinickendorf. Erst recht auf dem Kunstrasenplatz der Füchse, wo der Trainer den Fit-und-Vital-Sportlern zuruft: „Und jetzt in die Knie.“ Frank Steffel sitzt ein paar Meter weiter in Hemd und Jackett mit den Kollegen des Füchse-Präsidiums unter der Markise der Fuchsbau-Gastronomie. Rasensprenger prusten Wasserfontänen auf den Fußballplatz. Steffel deutet mit ausladender Geste Richtung Padel-Tennis-Anlage und Sporthalle: „Vor 17 Jahren standen hier überall Container, da haben früher Asylbewerber gewohnt.“ Vor 17 Jahren wurde Steffel Präsident des Vereins. Jetzt treiben hier 4000 Füchse-Mitglieder auf einem schönen Gelände mit gepflegten Tennis-Sandplätzen und schön renoviertem Vereinsheim Sport. Soll das heißen, Steffel ist ein Schöner-Macher?

Wird er derjenige sein, mit dem bei Hertha BSC alles schöner wird? Am Sonntag, bei der außerordentlichen Mitgliederversammlung im Berliner CityCube, entscheiden die Mitglieder von Hertha BSC darüber, ob sie ihn für die nächsten zwei Jahre als Präsidenten bekommen. Ob der Unternehmer Frank Steffel, 56, der 2001 als „Kennedy von der Spree“ Regierender von Berlin werden wollte, dann aber dem „Arm, aber sexy“-Charme von Klaus Wowereit unterlag und bis 2021 für die CDU im Bundestag saß, der Richtige für sie ist. Ob sie dem Mann, der bei seiner Doktorarbeit geschummelt hat, zutrauen, das hinzubekommen, was er als Füchse-Präsident hinbekommen hat.

Die Füchse als professionellen Handballverein etabliert

Damals, vor 17 Jahren, erzählt Steffel, habe er gesagt: „Ich kenne hier fast keinen, mein Angebot ist es, mit euch zusammen den Verein voranzubringen. Ich sollte den Verein sanieren, weil er wirtschaftlich in einer schwierigen Situation war. Ich sollte gucken, dass wir wichtige Entscheidungen treffen und die Menschen zusammenführen. Und ich wollte in Berlin einen professionellen Handballverein etablieren. Das haben wir dann schnell hinbekommen. Wir haben Menschen zusammengeführt, die verstritten waren. Bei kleineren Vereinen streitet man häufig über Kleinkram und insbesondere persönlich. Bei Hertha streitet man über größere Themen, aber auch häufig persönlich.“

Die großen Themen bei Hertha BSC sind der sportliche Niedergang, die schwierige Finanzlage – und das Image des Vereins. Die Risse im Klub sind überall zu spüren. Zwischen den Gremien und ihren Mitgliedern, zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen, zwischen Mannschaft und Fans, zwischen Fangruppierungen.

Sie sind nach den Rücktritten von Präsident Werner Gegenbauer und seinem Vize Thorsten Manske noch breiter geworden. Steffel hat seit der Bekanntgabe seiner Kandidatur vor nicht mal zwei Wochen mit vielen im Klub gesprochen. Sein Eindruck: „Viele Menschen beschäftigen sich viel mit Problemen und Verletzungen der Vergangenheit, es gibt viel Misstrauen. Ich habe das noch nie in einer Organisation so erlebt – und ich habe 25 Firmen erworben und 700 Mitarbeiter in eine Unternehmensgruppe integriert.“

Steffel ist Unternehmer, kein Teppichhändler, wie er betont, sondern wie auf seiner Homepage zu lesen ist, ein „Entrepreneur with passion“. Auf den großformatigen Fotos zeigt er sich und seine Welt, in der er schön frisiert und schön gekleidet mit den Einflussreichen dieser Welt zusammentrifft: face to face mit Angela Merkel, Seite an Seite mit Olaf Scholz, Helmut Kohl, Ursula von der Leyen, Wolfgang Schäuble, Bill Clinton und dem Pokal, den die Füchse bei der inoffiziellen, aber lukrativen Klub-WM gewannen – in Katar übrigens.

Frank Steffel zitiert Oskar Lafontaine

Ein bisschen viel Seilschaften? Ein bisschen viel Alt-West-Berlin? Bei solchen Fotos denkt doch der Hertha-Fan mit Schal und Mütze: Was hat dieser Typ mit mir und meinem Verein zu tun? „Wenn Sie bei den Füchsen unsere 4000 Mitglieder im Verein fragen, werden die sagen, hier gibt es keine Parteipolitik. Hier bin ich der Frank. Wenn ich zur Schwimmabteilung gehe, zieh ich mir ’ne Badehose an, beim Fußball die Töppen. Wenn es eins gibt, was wir in der Politik lernen, dann ist es gerade in einem Bezirk wie Reinickendorf, ganz unterschiedliche Menschen zu überzeugen. Ich habe im Märkischen Viertel und in Reinickendorf-Ost meine tollen Ergebnisse gehabt und nicht nur in Frohnau und Konradshöhe.“ Das könne man nur schaffen, wenn man ehrlich und transparent kommuniziert, meint Steffel. „Lafontaine hat mal gesagt: Ich muss nicht selber Sozialhilfe beziehen, um mich für Sozialhilfe einzusetzen. Ich finde, da hat er ein Stück recht.“

Hertha BSC hat nicht 4000 Mitglieder, die größtenteils Sport treiben, sondern mehr als 40.000, die größtenteils Fußballfans sind. Muss man der Lafontaine-Logik folgend also auch nicht selber leidenschaftlicher Hertha-Fan sein, den Klub zu schwierigen Relegationsspielen begleiten oder den Unterschied zwischen Ultras und Hooligans kennen, um sich für Hertha einzusetzen? Und muss man sich bei Berlinliga-Spielen der Füchse-Fußballer auch nicht öfter als ein-, zweimal pro Saison blicken lassen, wenn man seinen Verein und Fußball an der Grasnarbe liebt?

Kay Bernstein trägt Hertha BSC im Herzen und auf der Haut. „Commando Nord“ hat er sich, als er noch jünger war, samt Hertha-Bär auf den rechten Oberarm tätowieren lassen. Auch auf dem linken Arm schauen Tattoos unter dem Ärmel seines blaugrauen Poloshirts hervor. Er ist seit Mitte der 1990er-Jahre Herthaner. Zuerst war es Block O, dann die Ostkurve. Bernstein gründete den Fanclub „Harlekins“ mit, später wurde er Vorsänger der Ultras. Seit 16 Jahren ist er Unternehmer, steht nicht mehr in der Kurve, sondern sitzt mit VIP-Karte ausgestattet auf der Haupttribüne.

Herthas Präsidentschaftskandidat Kay Bernstein in seiner Firmenzentrale in Neukölln neben einem Graffiti des Berliner Olympiastadions.
Herthas Präsidentschaftskandidat Kay Bernstein in seiner Firmenzentrale in Neukölln neben einem Graffiti des Berliner Olympiastadions.imago/Matthias Koch

An diesem Sonntag stellt er sich als Präsident von Hertha BSC zur Wahl. Wird er der erste mit Tattoos sein? Bernstein grinst. „Ich weiß nicht“, antwortet er, „ob Gegenbauer ein Tattoo auf dem Hintern hat.“

„Team Bernstein GmbH“ steht auf dem Eingangsschild der Fabrikhalle in Neukölln, wo der 41-Jährige eine Marketing-, Event- und Kommunikationsagentur leitet. Im Hof parken zwei Transporter mit der Aufschrift: „Team Bernstein. Einfach machen.“ Er kandidiert im CityCube als Kopf der Initiative „Wir Herthaner“, die sich so definiert: „Wir sind Herthaner aus Leidenschaft, nicht aus Kalkül oder fürs Ego.“

Neben der Fabrikhalle, auf dem riesigen Eventgelände mit Fußballplatz und Beachvolleyballfeldern, hatte Bernstein vorigen Sonntag jeden, der sich Gedanken über Herthas Zukunft machen wollte, zu einer Konferenz eingeladen. Zu einer Arbeitstagung, „um dem Chaos der vergangenen Jahre einen Neuanfang und eine Aufbruchstimmung entgegenzusetzen“.

Auf der Suche nach der Hertha-DNA

Etwa 120 Menschen kamen bei 35 Grad Celsius und böigem Wind, um in Workshops wie Stadion-Neubau, innere Haltung, Struktur & Gremien, Außendarstellung oder Finanzen & Investor Herthas Themen zu definieren und dem Präsidium, das am Sonntag auch einen neuen Vizepräsidenten sowie drei neue Beisitzer braucht, Handlungsempfehlungen mitzugeben.

„Wir wollen, dass ein gemeinschaftliches Bild abgegeben wird. Uns ärgert ja alle, dass Infos zuerst an die Bild-Zeitung gegeben werden“, sagt ein Workshop-Teilnehmer zwischen chilligen Paletten-Möbeln. „Wir brauchen eine Hertha-DNA.“ Und: „Wir erwarten, dass die Gremien den Ehrenkodex vorleben.“

Bernstein hat sich nicht nach vorne gedrängt an diesem Tag. Die Workshops sollten ergebnisoffen sein. Vorsänger war er früher. Jetzt ist ihm Dialog wichtig. So, glaubt er, lassen sich die Fangruppen wieder vereinen. So will er im Klub künftig für Transparenz bei Entscheidungen sorgen: „Zuhören, reden, reden, reden, Ernst nehmen.“ Bernstein hatte jeden der ursprünglich fünf Präsidentschaftskandidaten zu der Konferenz auf seiner 6000-Quadratmeter-Location eingeladen.

Steffel kam, was Bernstein freute. Ob er anwesend war, bezweifelten später einige der Tagungsteilnehmer. „Ich hätte es schön gefunden, wenn er sich mehr mit den Workshops auseinandergesetzt hätte als mit den anwesenden Journalisten“, sagt Bernstein und zieht an seiner E-Zigarette.

Als einer der Fans von der Konferenz twittert, Steffel habe vor allem in der Ecke gesessen und telefoniert, veröffentlicht der „Entrepreneur with passion“ auf Twitter ein Foto seiner Anrufliste. Klaus Brüggemann war einer seiner Telefonpartner, der Aufsichtsratsvorsitzende von Hertha BSC. Der Mann, der Steffel um dessen Kandidatur bat. Der Mann, der ihn persönlich den Mitgliedern empfiehlt. Füchse-Manager Bob Hanning stand auch auf der Liste. Der Mann, der zuletzt den Slogan prägte: Steffel sei ein Mann, der Verein und vereinen kann. Es gibt nicht wenige, die glauben, dass Handball-Hanning nach Steffels Wahlsieg neuer CEO bei Hertha wird.

Für Steffel ist das Amt des Hertha-Präsidenten eine Riesenchance, nach Jahren der politischen Versenkung endlich wieder auf größerer Bühne aufzutauchen. Zuletzt, ist zu hören, hatte er schon an der ein oder anderen Position im organisierten Sport Interesse gezeigt. Und wer Tumulte auf dem Alexanderplatz übersteht, übersteht auch Telefonlisten-Häme in den sozialen Medien.

Frank Steffel als Kreisläufer hinter Edmund Stoiber

Den Vorwurf, er habe sich damals, 2001 im Bürgermeister-Wahlkampf hinter Edmund Stoiber weggeduckt, als Eier und Gemüse flogen, hält Steffel für eine Mediengeschichte. Als die Fernsehbilder von damals kürzlich im Talk bei „Chez Krömer“ für Publikumslacher sorgten, sagte der frühere Handball-Punk und jetzige Füchse-Sportdirektor Stefan Kretzschmar als Studiogast: Steffel „versteckt sich nicht. Der stellt ’ne Sperre. Das ist ein Kreisläufer“.

In die Knie gehen andere. Die Vitalsportler auf dem Füchse-Kunstrasen. Oder Herthas Präsidiumsmitglieder Ingmar Pering und Peer Mock-Stümer. Rechtsanwalt Pering zog seine Kandidatur als Präsident am Wochenende kurz vor Bewerbungsschluss zurück und tritt jetzt als Steffels Vize an – nachdem er zuvor noch erzürnt ob dessen überraschender Kandidatur erklärt hatte: „Jetzt ist nicht die Zeit, dass sich irgendwelche Leute profilieren, sondern dass Hertha in gesünderes Fahrwasser kommt – angeführt von Leuten, die auch die Stellschrauben kennen.“ Der Unternehmer und Wilmersdorfer CDU-Politiker Mock-Stümer kandidiert nun nicht mehr als Vize. Die Allianz stützt Steffel. „Wenn ich verliere, bin ich ja weg. Ich bin das geringste Problem für alle“, sagt dieser.

Wahlen mit mehr als einem Kandidaten sind im organisierten Sport zuletzt aus der Mode gekommen. Wie in der Politik werden Posten und Positionen gern in Hinterzimmern, Anwaltskanzleien oder Gaststätten am Tauentzien verhandelt. Demokratie lebt vom Wettkampf der Inhalte. Einigkeit nach innen und außen statt einer zerrissenen Hertha streben sowohl Bernstein als auch Steffel an. Beide wollen auf ihre Weise einen Burgfrieden mit Investor Lars Windhorst schließen und doch nicht seine Marionette sein.

Also hört Steffel nicht auf, dem einzigen ernsthaften Konkurrenten einen gemeinsamen Weg offenzuhalten. Er weiß ja, dass Bernstein Menschen erreicht, die er nicht erreichen kann. Und umgekehrt. „Ich habe ihm gesagt: Wir beide Kay, haben jetzt eine Verantwortung, unseren Mitgliedern einen Aufbruch zu vermitteln und nicht den Beginn eines weiterlaufenden Dauerkonflikts zwischen Neuen und Alten, zwischen Ultras und Establishment, zwischen Gegenbauer-Lager, Pering-Lager und Bernstein-Lager. Für mich gibt es nur ein Lager und das heißt Hertha BSC“, sagt Steffel. Auf einen Showdown ist er nicht aus.

„Aber sein Angebot war nicht fair“, sagt Bernstein. „In unseren Inhalten ist eine unterschiedliche Tiefe drin.“

Spannende Entscheidung am Sonntag im CityCube

Am Sonntag haben die Präsidentschaftskandidaten sechs Minuten Zeit, um den Mitgliedern sich, ihre Themen, Ziele und Herangehensweisen für Herthas Zukunft vorzustellen. Es wird spannend im CityCube. Denn niemand weiß, welche und wie viele Menschen nach 14 Jahren Gegenbauer-Ära mobilisiert werden konnten. Welche Rede die Unentschlossenen berührt, einfängt, überzeugt.

„Die Mitglieder entscheiden: Frank Steffel oder Kay Bernstein? Politiker oder Herthaner? Handel oder Wandel?“, sagt Bernstein nach knapp acht Veranstaltungsstunden auf der Bierbank in Neukölln. „Wollen wir einen Strukturwandel? Oder wollen wir einen Handel?“ Ein Mann im Artur-Wichniarek-Trikot streckt ihm die Hand hin. „Danke, für die tolle Arbeit heute“, sagt er, „Hertha hat jetzt die große Chance auf Modernisierung.“ Nötig ist die einfache Mehrheit.