Gewichtheben: Steiner verhebt sich
Die Faust reckte Matthias Steiner nach der ersten Behandlung auf der Heberbühne noch einmal kämpferisch nach oben, doch es war die letzte Stoßbewegung des Abends. Zurück kam der 29 Jahre alte Olympiasieger von Peking 2008 nicht mehr, nach diesem verunglückten zweiten Versuch beim Reißen. Stattdessen wurde der Gewichtheber aus Heidelberg auf Anraten des Mannschaftsarztes Dr. Bernd Wolfarth zur eingehenden Untersuchung in die Poliklinik gebracht, um eine ernsthafte Wirbelverletzung ausschließen zu können. Der Traum vom erneuten Gewinn einer Medaille bei Olympischen Spielen war für den einst stärksten Mann der Welt rasch beendet.
Ehrgeiz war zu groß
„Er ist verletzt, aber nach bisherigem Stand nicht schwer“, sagte Michael Vesper nach seinem Besuch in der Kabine, „er hätte gerne weitergemacht, aber da geht die Gesundheit natürlich vor.“ Unheimlich schade sei das frühe Aus für Steiner gewesen, nachdem er zunächst noch 192 Kilogramm souverän gestemmt hatte. Nun sei er „unheimlich enttäuscht“. Steiner hätte es verdient gehabt vorne mitzukämpfen“, befand der Chef de Mission der deutschen Olympia-Mannschaft weiter.
Dass Steiner vor dem Stoßen aus dem Wettkampf genommen wurde, soll eine reine Vorsichtsmaßnahme gewesen sein. Der Heber vom Chemnitzer AC hatte über Schmerzen an Hals, Nacken und Rücken geklagt, nachdem ihm die 196 Kilogramm schwere Hantel bei seinem verunglückten zweiten Versuch im Reißen auf den Hals und die rechte Körperseite gefallen war. Aus der Kniebeuge war er zuvor nicht mehr hochgekommen, und als er merkte, dass er es nicht mehr schaffen würde, war es zu spät, um das Gewicht kontrolliert abzuwerfen. „Er wollte die Hantel unbedingt halten“, sagte Trainer Frank Mantek. Der Ehrgeiz sei in diesem Moment zu groß gewesen.
Nach Gold vor vier Jahren hatte Steiner zumindest auf eine Podestplatz gehofft. Stattdessen musste er verletzt zusehen, wie sich der iranische Weltmeister Behdad Salimikordasiabi in der höchsten Gewichtsklasse über 105 Kilogramm Gold sicherte und zum neuen stärksten Mann der Welt kürte.
Silber ging an seinen Landsmann Sajjad Hamlabad, Bronze an Ruslan Albegow aus Russland. Der andere deutsche Teilnehmer, Almir Velagic aus Speyer, belegte Platz acht. „Halt du die Fahne hoch“, habe ihm Steiner nach seinem Aus gesagt, berichtete Velagic und versuchte zu beruhigen: „Es ist nicht viel passiert, das sieht meist schlimmer aus, als es ist. Gewichtheber haben da einen guten Reflex.“ Velagic meinte die schnelle Bewegung, mit der Steiner versucht hatte, der Hantel auszuweichen. Ganz gelang ihm das nicht und das Gewicht fiel ihm auf die rechte Körperseite.
Schlechte Prognose nach OP
Es war viel spekuliert worden über Steiners Leistungsfähigkeit. Oftmals hatten ihn Verletzungen in der Vorbereitung zurückgeworfen. Grippale Infekte waren dabei noch das geringste Problem. Schwerer wogen schon Schulter- und Handblessuren und vor allem eine Blockade der Rückenmuskulatur Ende Mai, weshalb Steiner drei Tage im Krankenhaus verbringen musste. Die längste Verletzungspause musste er jedoch nach einem Anriss der Quadrizepssehne und anschließender Operation einlegen. Der für die Gewichtheber immens wichtige Verbindung zwischen Oberschenkelmuskel und Knie brauchte drei Monate Ruhe, um auszuheilen.
Eine Notfitness hatte sich Steiner also zulegen müssen, und wirklich optimistisch gerieten seine Prognosen nicht. Eher unwahrscheinlich sei eine Medaille, ließ Steiner wissen. Doch zugleich verbreitete sein Lager Zuversicht. Steiner sei in der Lage „Außergewöhnliches zu leisten“, sagte Mantek, „wenn sich eine Tür auftut, muss Matthias da durchgehen“. Steiner habe das Gespür und die Gabe dafür, derartige Situationen auszunutzen, „wenn er gefordert ist, wächst er über sich hinaus“. Doch die Tür ging nicht auf, sie fiel schon im zweiten Versuch ziemlich unsanft zu. Vielleicht hatte Steiner auch versucht, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Er hatte sich diesmal schwer verhoben.