Hertha BSC: Wenn von einem Funken Hoffnung nur noch ein Fünkchen bleibt
Es ist ein Rätsel, wie die Blau-Weißen am kommenden Montag mit dieser Mannschaft und diesem Trainer den Klassenerhalt schaffen sollen.

Es ist nicht das Ergebnis aus der ersten Begegnung mit dem Hamburger SV, das einen daran zweifeln lässt, dass das Team von Hertha BSC am kommenden Montag mit einem Sieg im Relegationsrückspiel tatsächlich noch das große Unheil eines Abstiegs abwenden kann. Nach 90 von 180, vielleicht auch noch mehr Minuten steht es aus Sicht der Charlottenburger erst mal nur 0:1. Es ist vielmehr der Auftritt der Elf von Trainer Felix Magath im Berliner Olympiastadion, der zur Folge hat, das aus dem Funken Hoffnung, mit dem die Blau-Weißen in die Ausscheidungsspiele zur höchsten deutschen Spielklasse gegangen sind, ein bloßes Fünkchen geworden ist.
Wobei die gerade mal fünf harmlosen Torschüsse, welche der Noch-Bundesligist am Donnerstagabend bei der Niederlage gegen den Zweitligisten fertiggebracht hat, letztlich nur der Ausdruck einer kollektiven Überforderung waren. Der eine wie der andere Spieler wollte, konnte aber nicht, ja, alle Kadermitglieder der Hertha erwecken inzwischen den Eindruck, dass ihnen im seit Jahren währenden Trainer-Tohuwabohu reihum die zuvor noch vorhandenen Qualitäten abhandengekommen sind.
Kandidaten für einen heftigen Downgrade
All diejenigen, die in den vergangenen Wochen die Hertha-Fahne auf der Brust getragen haben, sind im Hinblick auf die Tüftler von EA Sports, die derzeit an der für September erwarteten Neuausgabe ihres Computerspiel-Klassikers Fifa23 basteln, jedenfalls Kandidaten für einen heftigen Downgrade. Und das in allen Eigenschaftskriterien. So muss die von Coach Felix Magath getroffene Einschätzung, wonach seine Mannschaft am Donnerstagabend wie ein Bundesligist aufgetreten sei, als grobe Fehleinschätzung eingestuft werden. Ja geradezu verwunderlich war sein Schluss, dass das „ein gutes Fußballspiel“ gewesen sei. Denn für ein gutes Fußballspiel braucht es zwei gute Mannschaften, mit formstarken Spielern auf beiden Seiten.
Nehmen wir das Beispiel Dedryck Boyata. Der Belgier hat, bevor er im Sommer 2019 zur Hertha kam, mit Celtic Glasgow viermal in Serie die schottische Meisterschaft gewonnen, wurde für die WM 2018 und die EM 2020 in den Kader der belgischen Nationalmannschaft berufen. Was alles nicht von ungefähr kam. Gegen den HSV zeigte sich indes, wie es inzwischen um sein Stellungsspiel, sein Aufbauspiel und schließlich auch um sein Verhalten im Zweikampf bestellt ist. Getragen von einer großen Unsicherheit machte er bei dem Versuch, alles richtig zu machen, vieles falsch. Kurzum: Boyata ist von einem potenziellen Leader zu einem schweigenden Mitläufer geschrumpft.
Auch bei Lucas Tousart und Suat Serdar stellt sich die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass die beiden im aufgeregten Treiben dieser Elf wie Anfänger agieren. Der Franzose Tousart, 25, Stammspieler in den Jugend-Auswahlmannschaften der Grande Nation und als Strukturgeber im Mittelfeld über Jahre hinweg Stammspieler bei Olympique Lyon, weckt mittlerweile den Verdacht, dass die Hertha vor zwei Jahren nur einen weitaus weniger talentierten Doppelgänger verpflichtet hat.
Abwahlantrag gegen Präsident Werner Gegenbauer
Bei Serdar, ebenfalls 25 Jahre alt, ist man sich ebenfalls sicher, dass er grundsätzlich das Zeug zu einem sehr guten Bundesligaspieler hat. Doch auch der ehemalige Schalker, der im Jahr 2019 noch zum erweiterten Kreis der Nationalmannschaft zählte und vor gar nicht langer Zeit nur aufgrund einer Schalker Absage an ein 45-Millionen-Euro-Ablöseangebot nicht zu West Ham United wechseln durfte, weiß nicht mehr, wie er sich selbst und damit auch der Mannschaft helfen kann. Im Besonderen in der Vorwärtsbewegung traf er gegen Hamburger SV wieder einmal stets die falsche Entscheidung, vermittelte schließlich den Eindruck eines Verzweifelten.
Mit diesen auch aus sportpsychologischer Sicht schwer angeknacksten Protagonisten, dazu mit einem Trainer, dessen doch eher schlichte Stilmittel offensichtlich keine Wirkung zeigen, gehen die Herthaner also in ein Spiel, das im Hinblick auf die Zukunft des Klubs zweifellos als Schicksalsspiel angesehen werden darf. Das mit seinem Ausgang wohl auch erheblichen Einfluss auf die für den 29. Mai terminierte Mitgliederversammlung nehmen wird. Nicht nur wegen des bereits eingebrachten Abwahlantrags gegen die aktuelle Klubführung um Präsident Werner Gegenbauer droht die Veranstaltung ins Chaos abzugleiten.
In sich total zerstritten
Nun wird der eine oder andere sagen, dass ein Abstieg den Klub endlich zu einem tiefgreifenden Relaunch zwingen könnte. Dass in der Folge womöglich endlich mit einer neuer Bescheidenheit zu Werke gegangen und unter Einbeziehung der noch immer sehr erfolgreichen Jugendarbeit ein konkreter Plan für eine zumindest einigermaßen erfolgreiche Zukunft entwickelt wird. Fernab der Fantasievorstellungen, die in den vergangenen Jahren ja nicht nur von Investor Lars Windhorst, sondern auch von anderen Köpfen eingebracht wurden.
Doch so einfach ist das nicht für einen Klub, der es in einem weltweit wohl einmaligen Fall des Missmanagements fertiggebracht hat, in drei Jahren eine Kapitaleinlage von 374 Millionen Euro zu versenken. Der in sich total zerstritten ist und noch immer nicht weiß, wofür er eigentlich stehen soll. Der noch dazu ein großes Problem mit seinen Fans hat.
Bezeichnend, dass die Hertha-Profis sich am Donnerstagabend trotz einer vor wenigen Wochen vollzogenen Versöhnung mit den Fans nach der Partie gegen einen Gang in die Kurve entschieden. Bei keinem anderen Profiverein in Deutschland liegt derzeit in so vielen Facetten so viel im Argen wie bei Hertha BSC.