Durch die offene Tür: Tolga Cigerci ist Herthas neuer Boss auf dem Platz
Das Spielsystem von Hertha hat sich dem Rückkehrer angepasst. Das zeigt, was für ein Meilenstein der türkische Nationalspieler auf dem Berliner Weg sein kann.

Es ist alles sehr schnell gegangen Ende Januar. So schnell, sagt Tolga Cigerci, dass er keine Zeit gehabt habe, überrascht zu sein von der Anfrage aus Berlin. Von dem Interesse, das Hertha BSC einen Tag vor Ende des Transferfensters signalisierte. „Okay, wow!“, beschreibt Cigerci sein Gefühl in den ersten Tagen in Berlin. Zurück bei Hertha BSC, wo er bereits von 2013 bis 2016 kickte. Zurück bei der Familie, bei Freunden. Es war ein unerwarteter Wechsel für ihn, für die Hertha-Fans, das Bundesligateam. Das „Okay, wow!“ galt in den ersten Februartagen für viele. Auch für seine Berliner Freunde Deniz und Basri Uluc.
Daran, dass er Reportern plötzlich nicht mehr wie in den vergangenen sechseinhalb Jahren in türkischer, sondern deutscher Sprache antworten soll, ist der 30 Jahre alte Fußballprofi nach vier Wochen in Berlin noch nicht vollständig gewöhnt. Und auch das Quartier bei seinem jüngeren Bruder Tolcay, der in der Regionalliga Nordost als Mittelfeldspieler der VSG Altglienicke auf Tabellenplatz vier rangiert, ist erst mal nur vorübergehend. „Ich switche die ganze Zeit hin und her. Tolcay ist frisch verheiratet. Ich will die beiden jetzt nicht nerven. Ich war jetzt öfter bei ihm“, sagt Cigerci. Er weiß: „Die Tür ist immer für mich offen.“
Tolga Cigerci beginnt vom ersten Moment an zu dirigieren
In der Mannschaft von Hertha BSC, auf dem Fußballplatz ist Tolga Cigerci sofort angekommen. Das war von dem Moment an zu sehen, in dem er eingewechselt wurde, der 46. Minute in der Partie gegen Eintracht Frankfurt. Seit diesem Moment spielt Hertha ein anderes System: Dreierkette statt Viererkette, 3-5-2 statt 4-3-3. Die Tür stand für ihn offen. Und Cigerci begann sofort, den Raum dahinter zu nutzen, indem er dirigierte: mit dem eigenen Körpereinsatz, mit Worten, mit Gesten, den Armen. In dreieinhalb Spielen mit Cigerci gewann Hertha zweimal – zuvor in 19 Spielen dreimal. Die Bilanz spricht für ihn.
Cigerci ist der neue Boss auf dem Platz. Ein Mittelfeld-Sechser, der weiß, wann er Ruhe ins Spiel bringen oder eine Partie schneller machen muss. Teamkollege Marco Richter sagte: „Es fühlt sich so an, als sei er schon immer Teil des Teams.“ Trainer Sandro Schwarz fand, Cigerci dabeizuhaben, einen mit solch großem Verantwortungsbewusstsein, sei ein absoluter Gewinn. „Er hilft den Jungs auf dem Platz mit klaren Kommandos und Coaching-Verhalten.“
Cigerci sagt, er habe gewusst, was auf ihn zukommt. Abstiegskampf. „Ich war vorbereitet, ich hatte es so ähnlich auch bei Ankaragücü“, seinem vorigen Klub. Erfahrungen mit Druck umzugehen, sammelte er in Istanbul bei Basaksehir FK, Fenerbahce und Galatasaray. „Entweder du wirst stärker oder du packst das nicht. Gott sei Dank hat mich das alles stärker gemacht“, meint Cigerci, der den Weg zu Hertha damals vor zehn Jahren über Wolfsburg und eine Leihe zu Gladbach gefunden hatte. Über die Jahre in der Türkei sei er inzwischen „cleverer geworden, ruhiger oder, wenn es drauf ankommt, aggressiv. Ich kann mein Spiel jederzeit ändern. Ich kann mich anpassen.“
Erst mal hat sich Herthas System ihm angepasst. Das zeigt, was für ein wichtiger Meilenstein der türkische Nationalspieler auf dem Berliner Weg sein kann, den Präsident Kay Bernstein und Sportdirektor Benjamin Weber eingeschlagen haben. Berliner Weg? Cigerci hat sich keine Gedanken über diesen Ansatz gemacht. Die Metaebene überlässt er anderen. Was für ihn zählt, ist die Energie im Team, die gute Kommunikation auf dem Platz; im Mittelfeld mit Lucas Tousart und Suat Serdar. „Lucas und ich sind vielleicht die, die mehr dazwischengehen können, die mehr laufen können. Mit Suat haben wir einen, der die Bälle besser halten kann, der uns seine Technik geben kann“, sagt Cigerci.
Davon, dass Hertha die Klasse hält, ist Cigerci überzeugt. Ein Stück seines Herzens hatte nach seinem Weggang weiter in Berlin geschlagen. Er hielt Kontakt zu seinem Bruder Tolcay, zu Freunden wie Deniz und Basri Uluc, die Ende Januar auch so ein „Okay, wow!“-Gefühl spürten, als sie mitbekamen, dass Cigerci zurückkommen würde in die Stadt, die absolut zu ihm passt, wie Basri Uluc findet. „Die Berliner Art hat er sowieso. Tolga ist ein Zuckertyp. Total bescheiden, ehrlich, freundlich, sehr gläubig, extrem hilfsbereit.“ Als Uluc Mitte Februar einen Tag nannte, an dem in seiner Tüv-Prüfstelle in den Kfz-Arcaden alle Einnahmen an die Erdbebenopfer in der Türkei gespendet werden sollten, teilte Cigerci den Aufruf in den sozialen Medien.
Mit Deniz Uluc drehte Cigerci einen Film auf der Radarstation am Teufelsberg. Eine Drohne setzt die beiden von oben ins Bild. Über Berlin geht die Sonne auf. „Es ist ein Film, der ihre Brüderlichkeit, ihre Nähe zeigt“, sagt Basri Uluc. Tahsin Özkan sei der Produzent gewesen. Ein Mann, der sonst Videos für Rapper wie Kool Savas, Bushido oder Fler aufnimmt. „All the way up“, hat Cigerci zu dem Video mit Deniz geschrieben. „Ganz nach oben.“ Auf dem Teufelsberg hat er Berlins höchsten Punkt schon erreicht. Zumindest ein Stück weiter hoch in der Tabelle will er mit Hertha BSC am Sonntag nach dem Spiel bei Bayer Leverkusen (15.30 Uhr, Dazn) klettern. „Wir gehen dahin, um Punkte zu holen“, sagt Cigerci.