Boateng hat noch mal Bock: Die Saison bei Hertha wird die letzte seiner Karriere
Kevin-Prince Boateng sagt, er wolle den Jungs beibringen, was es heißt, für Hertha zu spielen – und noch mal alles reinhauen für den Verein und für sich selbst.

Herthas Vormittagstraining ist zu Ende. Während Kevin-Prince Boateng und seine Teamkollegen in der Mensa zwischen Hähnchenbrust mit Blattspinat und Salzkartoffeln, Bohnenpfanne mit Sprossen und Quinoa oder frisch gebratenem Thunfischsteak mit Gemüse und Wildreis wählen können, pustet der Brandenburger Wind Wellen auf den Liebenberger See. Kanu-Olympiasieger Sebastian Brendel und Weltmeister Conrad Scheibner stechen ihre Paddel zu Trainingssprints ins Wasser. Die Vögel zwitschern überall auf dem Gelände des Olympischen und Paralympischen Trainingszentrums in Kienbaum, östlich von Berlin.
Boateng kommt von der Mensa hinunter zum See zum Mediengespräch auf der Holzterrasse. Hinter ihm biegt sich das Schilf im Wind. Der Fußallprofi kennt Kienbaum noch von damals, als er Jugend- und Juniorenspieler bei Hertha BSC war, seine ersten Spiele bei den Männern absolvierte, ehe er nach England wechselte und eine Weltkarriere begann. Wie er Kienbaum findet? „Super.“ Boateng lacht. „Ich war nie ein Fan von Kienbaum. Weil es heißt, dass man hier viel schwitzt. Aber es ist genau das, was wir machen müssen: arbeiten“, sagt der 35-Jährige. „Aber es ist idyllisch, wenn man es so sagen will.“
Nach der Saison ist für Kevin-Prince Boateng Schluss
In der Idylle von Kienbaum beginnt nun also Boatengs letzte Saison als aktiver Profifußballer. Da ist er ganz sicher, das betont er extra noch mal, weil er ja schon voriges Jahr um die gleiche Zeit von seiner letzten Saison gesprochen hat. „Deswegen will ich jeden Tag genießen, egal was passiert. Auch wenn wir nächstes Jahr Champions League spielen, wer weiß. Das ist meine letzte Saison. Ich werde noch mal alles reinhauen für den Verein und für mich selber auch. Und dann ist Schluss.“
Boateng hat noch mal Bock. Und es hat ihn gefreut, als Sandro Schwarz, der neue Trainer, extra seinen Urlaub unterbrach, um sich mit ihm in Berlin zu treffen. Zweieinhalb Stunden habe das Gespräch gedauert. Aber schon nach zehn Minuten, sagt Boateng, sei für beide klar gewesen, dass sie zusammenarbeiten wollen. Wie, das weiß er auch: „Ich will genau die Rolle wie letztes Jahr. Ich bin da, um zu helfen, der Papa zu sein von den jungen Burschen und dann hoffentlich auf dem Platz zu zeigen, was ich auch in Hamburg gezeigt habe.“
In Hamburg hatte Boateng im Relegationsrückspiel Führungsqualität gezeigt. Kampfkraft. Ein prima Spiel, das aus einer schlimmen Saison eine eben gerade noch so gerettete Saison machte: Hertha blieb in der Bundesliga. Trainer Felix Magath hatte Boateng die Aufstellung machen lassen, ihm die Verantwortung übergeben. „Das war natürlich die Größe von Felix Magath, dass er vielleicht verstanden hat, okay, der Junge ist von hier. Der hat die Hertha-DNA. Der wird was Gutes für die Mannschaft machen“, sagt Boateng.
Er ist immer am liebsten in der Rolle als Zehner auf dem Platz gewesen. Als Dirigent. Und der Rhythmus, den er im letzten Spiel vorgab, funktionierte. Boateng war wichtig, als es darauf ankam. Das sei nicht nur wichtig für ihn gewesen, sondern auch für den Verein, sagt Boateng. „Ich glaube, nach dem Hamburg-Spiel haben die Fans, der Verein, die Verantwortlichen und auch ich etwas gespürt. Das wollten wir schon vorher spüren. Es ist leider nicht dazu gekommen. Aber nach dem Spiel haben wir gespürt, dass da noch Energie drin ist, dass da irgendwas noch am Prickeln ist.“
Aber es wäre insgesamt kein schönes letztes Jahr einer schönen, bunten Profikarriere gewesen. Zu wenig Prickeln für einen wie Boateng, der als Junge aus Wedding bereits zwischen 1994 und 2007 bei Hertha spielte. „Das letzte Jahr war zu turbulent, zu viel Action, zu viele negative Schlagzeilen, zu viele negative Resultate. Ich konnte so nicht aufhören“, findet er. Schließlich ist Boateng einer, der sich mit Hertha identifiziert. Und Hertha BSC braucht Spieler wie ihn: Identifikationsfiguren. Menschen, die dem Klub ein Gesicht geben, Markenbotschafter.
Boateng spürt frischen Wind durch Schwarz und Bernstein
Für all das, was nun kommende Saison ansteht, wünscht sich der Mittelfeldspieler mehr Ruhe. Mehr Fokus auf die wesentlichen Dinge. Weniger Diskussionen über die Vergangenheit – und dass sich schnell klärt, wer im Kader bleibt und wer noch verkauft werden muss. „Wir müssen das Jetzt leben. Wir haben einen neuen Trainer, der frischen Wind mitbringt, und einen neuen Präsidenten, der auch frischen Wind mitbringt. Das sieht man, wenn man ein Foto von ihm sieht. Das ist ein Typ, der vorausgeht. Der vorangeht.“
Boateng spricht von Kay Bernstein, der seit Sonntag Präsident von Hertha BSC ist und am Mittwoch seine erste Präsidiumssitzung leitet. „Ich hab ihn schon mal kennengelernt, wir haben uns auch schon mal unterhalten. Er ist ein ganz normaler, netter Typ. Er sieht mir nicht aus wie ein Ultra“, sagt Boateng. „Aber er hat die Hertha-DNA. Er weiß ganz genau, was es bedeutet, den Verein anzufeuern, zu probieren, den Verein weiterzubringen, und wir müssen einfach darauf vertrauen, dass die Leute richtig gewählt haben.“
Boateng klingt zuversichtlich. Er fühlt sich fit, wiegt fünf Kilo weniger als voriges Jahr – so wenig wie zuletzt in seiner Mailänder Zeit. Er hat am Nachmittag in Kienbaum noch einen Trainingslauf mit Athletiktrainer Henrik Kuchno vor sich. Arbeit also. Schwitzen. Was ist das eigentlich für Boateng, diese Hertha-DNA, von der gerade alle reden? Boateng schlägt die Beine übereinander, sodass die 27 auf seinen weißen Socken gut zu lesen ist. Dann sagt er: „Die Hertha-DNA ist nicht mehr da. Die Spieler, die Hertha-DNA haben, sind weggegangen und nicht mehr zurückgekommen. Wer hat denn noch die Hertha-DNA, die wirkliche? Das bin vielleicht wirklich nur ich.“
Und vielleicht ist das auch ein Grund, warum Boateng noch ein Jahr weiter schwitzt, weiter vorangeht, weiter auf dem Platz brüllt und laut ist: „Du musst den Jungs beibringen, was es heißt, für Hertha zu spielen“, sagt er. „Es ist nicht einfach nur ein Verein. Es ist nicht einfach Berlin; super Stadt.“ Hertha ist ein Lebensgefühl. Und Hertha ist auch ein Stückweit Kevin-Prince Boateng.