Das spannendste Fußballprojekt der Welt: Hertha BSC und Präsident Kay Bernstein

Der neue Präsident des Berliner Fußball-Bundesligisten muss jetzt damit anfangen, die Risse im Klub zu kitten. Sie beginnen in seinem eigenen Gremium.

Die Neuen an der Spitze von Hertha BSC: Vizepräsident Fabian Drescher (l.) gratuliert Präsident Kay Bernstein zur Wahl.
Die Neuen an der Spitze von Hertha BSC: Vizepräsident Fabian Drescher (l.) gratuliert Präsident Kay Bernstein zur Wahl.City-Press/Jan-Philipp Burmann

„Hey Kay, warte kurz.“ „Kay, ein Foto, bitte.“ „Glückwunsch, Kay.“ Kay Bernstein unterbrach am Sonntagabend im CityCube seinen Weg zu den wartenden Reportern. Ein jugendlicher Hertha-Fan wollte ein Selfie mit dem neuen Präsidenten seines Vereins. Eine ältere Dame im hellen Sommerkleid zog ihr Handy aus der Handtasche, um ihren Mann auf einem Digitalfoto mit Bernstein zu verewigen. Seit der außerordentlichen Mitgliederversammlung gibt es an der Spitze von Hertha BSC nicht nur ein neues Gesicht, sondern auch eine neue Nähe zu den Menschen. Zur Basis. Zu den Fans.

Vieles ist bei Hertha BSC neu

Oder hätte in den vergangenen 14 Jahren, in denen der 72 Jahre alte Unternehmer Werner Gegenbauer an der Spitze von Hertha BSC stand, jemals jemand gerufen: „Hey Werner, warte kurz!“ – weil er ein Selfie mit dem Hertha-Präsidenten wollte? Und wenn: Hätte sich Gegenbauer Zeit genommen für zwei, drei, vier, fünf, sechs Selfies mit Fans? Geschweige denn für ein Gespräch mit Reportern?

Vieles ist bei Hertha BSC seit der außerordentlichen Mitgliederversammlung am Sonntag neu, auf der Agenturchef Bernstein, 41, der früher mal Ultra war, und Rechtsanwalt Fabian Drescher, 39, von mehr als 3000 Mitgliedern mit einfacher Mehrheit in die Ehrenämter als Präsident und Vizepräsident von Hertha BSC gewählt wurden.

Der alte Riss ist allerdings noch da. Bernstein versammelte 54 Prozent der Wähler hinter sich. „Man sieht, dass die Mehrheit der Mitglieder einen wirklichen Neustart wollte“, sagte er. Ins Mikrofon des Sitzungssaals rief er: „Lasst uns diese Energie, diese Hoffnung mitnehmen, lasst uns auch die, die uns nicht gewählt haben, mitnehmen. “ Und etwas später wiederholte er seine Botschaft „an die 1300 Mitglieder, die mich nicht gewählt haben. Wir nehmen euch ernst. Lasst uns reden.“

Bernsteins erster offizieller Arbeitstermin ist die Präsidiumssitzung am Mittwoch um 18 Uhr. Zu den fünf Beisitzern gehören mit Ingmar Pering und Peer Mock-Stümer zwei Männer, die sich vor der Wahl klar mit Bernsteins unterlegenem Gegenkandidaten Frank Steffel verbündet hatten. Neben Anne Jüngermann, die 2020 neu ins Präsidium kam und Bernstein nach dessen Sieg lang und innig drückte, wurden am Sonntag der Vorsitzende von Herthas Sportkegler-Abteilung, Hans-Joachim Bläsing, 72, und Tim Kauermann, 36, in das Gremium gewählt. Kauermann war den Mitgliedern von Bernstein zur Wahl ins Präsidium vorgeschlagen worden. Er trat wie Bernstein unterstützt von der Fan-Initiative Wir Herthaner an. Sein Vater ist Herthas KGaA-Aufsichtratschef Karl Kauermann.

Und nun fragt sich so mancher, wie es Bernstein schaffen will und kann, neben all den Baustellen, die es bei Hertha BSC gibt, sein eigenes Gremium in Sachfragen zu vereinen. Alt gegen Neu, sagt Bernstein, werde es nicht geben. Eine seiner ersten Aufgaben sei es, „das Präsidium einzuschwören, dass wir jetzt ein Team sind“.

Genau dafür ist er angetreten. Genau so begreift er sich. Als Kommunikator. Als Mediator. Als Moderator. Als einer, der nicht im Mittelpunkt stehen muss, aber dafür sorgt, das Transparenz hergestellt wird. Dass die Mitglieder verstehen, was die Menschen im Verein in ihren unterschiedlichen Funktionen tun. Darin liegt seine Chance. „Ich kann einen, ich kann Projektmanagement. Ich kann gut Leute führen. Und eines kann ich besonders: Hertha-Leidenschaft vorleben“, sagte Bernstein am Sonntag, als er sich den Vereinsmitgliedern vorstellte.

Auf die Frage eines Mitglieds, woher er als mittelständischer Unternehmer in der Kreativbranche die Kompetenz nehmen wolle, ein Multimillionen-Euro-Unternehmen zu führen, antwortete er: „Mit einem Präsidium zusammenarbeiten, entscheiden. Ich kann gar nicht alle Kompetenzen mitbringen, aber ich kann ein starkes Team formen.“

Dafür, wiederholte Bernstein am Sonntag, sei auch ein Burgfrieden mit Investor Lars Windhorst nötig, der über seine Firma 64,7 Prozent der Anteile an Herthas Hertha BSC GmbH & Co. KGaA hält. Windhorst saß am Sonntag ebenfalls im CityCube und beglückwünschte Bernstein zu seiner Wahl. Dem kicker sagte er, dass er mit Interesse gehört habe, was Bernstein und Vizepräsident Drescher zur zukünftigen Zusammenarbeit mit dem Gesellschafter von sich gaben.

Drescher sagte: „Im Verhältnis zu unserem Investor Lars Windhorst sollten in Zukunft ruhigere Töne angeschlagen werden.“ Bernstein betonte, es sei notwendig, sich mit Windhorst zusammenzusetzen, Vetrauen aufzubauen, sich abzustimmen. „Wir gehen offen und ohne jeden Vorbehalt in die kommenden Gespräche. Es kann ja nur besser als früher werden“, konstatierte der Investor.

Fan-Initiativen aus ganz Deutschland gratulieren

Fan-Initiativen aus ganz Deutschland gratulierten Bernstein am Tag nach der Wahl. Schließlich ist er der erste Ultra, der es ins höchste Amt eines Fußballklubs geschafft hat. „Es ist eine schwere Bürde, wenn man aus der ersten Ultra-Generation kommt“, sagte Herthas neuer Präsident. „Aber zuerst steht nicht Ultra, sondern Herthaner. Es ist egal, ob jemand Ultra, Kuttenträger oder Oberring-Fan ist; Hauptsache Herthaner.“ Ob er sich durchsetzen kann gegen die Strukturen, die das Establishment im Klub und in der Stadt aufgebaut hat? Sein Wahlsieg gegen Steffel, der für das alte West-Berliner Establishment steht, hat gezeigt, dass es möglich ist.

„Das war auf jeden Fall ein Neuanfang heute“, sagte ein Hertha-Anhänger in Jeans und blau-weißem T-Shirt, als er nach einem langen Abstimmungstag den CityCube verließ. „Wir sind jetzt das spannendste Fußballprojekt der Welt.“