Dreierkette, Fahrradkette, Perlenkette: Bei Herthas System entscheidet das Wie

Franz Beckenbauer riet einst: „Geht’s raus, spielt’s Fußball!“ Heute fordert Sandro Schwarz in Berlin maximale Intensität. Aber das liefern die Spieler nicht.

Da hat in Leverkusen offenbar einiges nicht so geklappt wie geplant: Filip Uremovic (l.) gestikuliert, Hertha-Abwehrkollege Marc-Oliver Kempf weiß Bescheid.
Da hat in Leverkusen offenbar einiges nicht so geklappt wie geplant: Filip Uremovic (l.) gestikuliert, Hertha-Abwehrkollege Marc-Oliver Kempf weiß Bescheid.imago

Vor einigen Tagen sah ich auf YouTube längere Szenen von der Fußball-Weltmeisterschaft 1990 in Italien und fühlte mich dabei in eine schöne heile Welt versetzt. Die Sonne strahlte, der Wein schmeckte, Deutschland stand vor der Wiedervereinigung. Italiens Serie A war damals wohl die beste Liga der Welt und die deutschen Nationalspieler begeisterten bei ihren italienischen Klubs. Lothar Matthäus, Andy Brehme und Jürgen Klinsmann als Super-Trio bei Inter Mailand oder Rudi Völler im Sturm bei der AS Rom. „Dolce Vita“ – einfach wunderbar!

Der „Kaiser“ Franz Beckenbauer führte während der WM seine Mannschaft passend zum schönen Umfeld mit leichter Hand, ließ den Stars viel Freiraum, was in einem legendären Spruch vor dem Finale in Rom gegen die Argentinier (1:0) ihren absoluten Höhepunkt fand: „Geht’s raus, spielt’s Fußball!“

Der Beckenbauer-Spruch hilft heute nicht mehr weiter

Weitere taktische Anweisungen soll es der Legende nach nicht gegeben haben. Kapitän Lothar Matthäus bestätigte das inzwischen geflügelte Wort später, der Teamchef soll nur noch ergänzt haben: „Ihr seid die Besten, lasst euch den Pokal nicht nehmen!“

Mehr als 30 Jahre später kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass etwa Hertha-Trainer Sandro Schwarz zu Marvin Plattenhardt oder zu Dodi Lukebakio vor wichtigen Spielen (Hertha hat nur noch Endspiele vor sich) locker mit dem Spruch von Beckenbauer um die Ecke kommt. Zu komplex, zu schnell, zu athletisch ist der moderne Fußball geworden. Vielleicht auch zu wissenschaftlich. Die Veränderungen sind gravierend. Viel Taktik steht im Raum. Jetzt geht es oft um die „falsche Neun“, um einen „abkippenden Sechser“, um „Schienenspieler“ und um die Dreier- oder Viererkette, die der Coach als taktisches System vorgibt. Wenn Trainer immer wieder über die Vor- und Nachteile der Dreier- oder Vierer-Abwehrkette philosophierten, ergänzten Beobachter oft ironisch: „Fahrradkette, Perlenkette …“

Fakt ist aber: Hertha BSC stellte beim Spiel bei Eintracht Frankfurt (3:0 für die Gastgeber) Anfang Februar in der Halbzeitpause beim Stand von 2:0 für die Eintracht das Spielsystem von 4-3-3 auf 3-5-2 um. Das hatte man schon länger vor, verriet Schwarz später, wollte aber auf den richtigen Moment warten. Jedenfalls griff die neue Variante recht schnell und Hertha agierte gegen Mönchengladbach (4:1), den FC Augsburg (2:0) und selbst bei der 1:4-Niederlage in Dortmund selbstsicherer, kompakter und durchschlagskräftiger. Das nur für die Berliner neue Spielsystem war plötzlich in aller Munde, die Konkurrenz staunte. Auch Xabi Alonso, der spanische Trainer von Bayer Leverkusen, sagte vor dem Duell am Sonntagnachmittag voller Ehrfurcht: „Hertha hat durch den Systemwechsel neue Energie gewonnen.“

Doch zum ersten Mal gab es bei der deutlichen 1:4-Niederlage einen Blackout im System, der nicht durch höhere Mächte zustande kam. Wahrscheinlich waren die Worte von Trainer Schwarz bei den Profis nicht angekommen. Der hatte oft klipp und klar formuliert: „Entscheidend ist nicht, was wir spielen, sondern wie wir das System spielen. Diese Reihenfolge ist wichtig.“

Die drei Hertha-Verteidiger waren dem unglaublichen Tempo der Bayer-Angreifer nicht gewachsen, das Mittelfeld schwächelte, die beiden so wichtigen „Schienenspieler“ auf den Außenbahnen (Marvin Plattenhardt und Marco Richter) wurden mit Defensivaufgaben gebunden und die beiden Angreifer kamen nicht in Fahrt. Dennoch bin ich mir sicher, dass Sandro Schwarz im kommenden Heimspiel gegen Mainz 05 erneut im 3-5-2-System antreten, aber dabei „maximale Intensität“ einfordern wird. Am zurückliegenden Wochenende agierten außer Hertha auch der 1. FC Union, Bremen, Freiburg, Mainz und Frankfurt in einem ähnlichen Konstrukt.

Übrigens: Als Deutschland im WM-Finale 1990 die Argentinier mit 1:0 bezwang, zeigte die Mannschaft ein sehr variables Spiel. Taktik-Experten umschrieben das System Jahre später mit einem 1-1-3-4-2-System oder auch 1-3-5-2 – beinahe so, wie Hertha heute antritt. Der fehlt allerdings nur der gute alte Libero.