Ein Riesending will Sandro Schwarz aus seiner Rückkehr nach mehr als 1000 Tagen gar nicht machen. In der Familie und unter Freunden gebe es schließlich auch „viele Frankfurter“, sagt der gebürtige Mainzer und lacht. Aber natürlich kommt er nicht drumherum, über seine Gefühle nachzudenken. Wie es wohl sein wird, wenn er am Freitagabend (20.30 Uhr, DAZN) die Arena des 1. FSV Mainz 05 in seiner Heimatstadt betritt – als Trainer von Hertha BSC?
„Das ist das erste Mal in der Tat, wo ich wieder zurückkehre, und wir wissen ja, im Leben – man weiß es nie beim ersten Mal, wie es so ist“, sagte der 43-Jährige. Mit 17 Jahren kam Schwarz zum 1. FSV Mainz 05, spielte neun Jahre für den Klub. Stieg in die Fußball-Bundesliga auf, kehrte neun Jahre nach dem Karriereende als Jugendtrainer zurück, wurde Chefcoach.
Nachfolger von Jürgen Klopp und Thomas Tuchel
Schwarz reihte sich in eine prominente Liste mit Namen wie Jürgen Klopp und Thomas Tuchel ein, als weiterer Erbe der von Wolfgang Frank gewissermaßen begründeten Mainzer Trainerschule. Er ist nicht so eloquent wie Klopp und nicht so taktikvernarrt wie Tuchel, aber Schwarz ist seinen Weg gegangen, hat bei Dynamo Moskau viel gelernt, als Trainer und in den Kriegstagen besonders als Mensch.
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2019 ging es in Mainz nicht weiter. Doch Schwarz ist ein Typ, den man auch nach schweren Zeiten problemlos mögen kann. Und in Mainz haben sie seine Leistungen für den Klub nicht vergessen. „Sandro ist ein Freund. Wir kennen uns seit über 25 Jahren und hatten auch während seiner Zeit in Moskau immer wieder Kontakt“, sagte FSV-Sportvorstand Christian Heidel dem Kicker. Bierbecher werden schon nicht fliegen, meint Schwarz.
Klingt das nach zu vielen positiven Emotionen? Schwarz hat sich seinen Plan schon zurechtgelegt. „Es gilt jetzt, mit Herz und Verstand hier bei Hertha BSC zu sein – so fühle ich mich auch jeden Tag hier in dieser Hertha-Familie und den Zusammenhalt, den ich hier spüre.“ Tatsächlich hat er als Chefcoach der Berliner in 88 Tagen ziemlich viel geschafft.
Sportlich hat er in den vergangenen Spielen mit dem ersten Sieg in Augsburg und zuletzt beim Unentschieden gegen Bayer Leverkusen gut gepunktet. Dass es gegen den Champions-League-Teilnehmer bei gegebenem Handelfmeter in der Schlussphase der Partie auch ein Sieg hätte sein können, war ein Aufreger direkt nach dem Schlusspfiff. Dass der DFB am Mittwoch im Zusammenhang dieser und drei weiterer strittiger Szenen in anderen Bundesligaspielen in einer Stellungnahme von Fehlentscheidungen sprach, davon kann sich Sandro Schwarz nichts kaufen. Laut Peter Sippel, beim Deutschen Fußball-Bund Sportlicher Leiter Bundesliga, hätte der Videoassistent „aufgrund der eindeutigen Bilder eingreifen und dem Schiedsrichter einen On-Field-Review empfehlen“ müssen. Vielleicht aber verändert sich mit der verbandsinternen Aufarbeitung künftig etwas zugunsten der Vereine.
Schwarz muss wahrscheinlich auf Selke und Serdar verzichten
Etwa beim Hertha-Gastspiel in Mainz, sollte es dort Situationen geben, die falsch beurteilt werden und eine Korrektur benötigen. Suat Serdar und Davie Selke werden allerdings sehr wahrscheinlich nicht Auslöser solcher Szenen sein. Der ehemalige Mainzer Mittelfeldspieler Serdar und Angreifer Selke haben einen Infekt. Man gehe davon aus, dass es mit einem Einsatz in der Partie am Freitag „eher nichts wird“, teilten die Berliner bei ihrer Pressekonferenz am Donnerstag mit. Nicht einsatzbereit sind zudem weiterhin Offensivspieler Kelian Nsona nach seiner Kreuzbandverletzung und Verteidiger Linus Gechter nach seiner Mandel-Operation.
Trotz dieser personellen Probleme ist es Schwarz gelungen, die sportliche Situation zu beruhigen. Die Fans jubeln wieder, der neue Präsident Kay Bernstein (42) gehört zur gleichen Generation und ist basisnah, geerdet wie der Trainer. Der zerrüttete Eindruck der Hertha ist passé.
Schwarz spricht von „unseren Werten“ und „unseren Inhalten“, die er mit der Hertha weiter verinnerlichen und transportieren will. So erscheint eine Abkehr von Tristesse und Abstiegskampf tatsächlich wieder als Option im in Fußball-Fragen schon lange leidenden Westteil der Hauptstadt. Fredi Bobic kann auch ein bisschen aufatmen. Schwarz ist der Trainer, nach dem er lange suchen musste. Und doch sagt der Hertha-Manager: „Ich will mehr Punkte haben, das ist das Entscheidende.“ Auf Mainzer Wiedersehensbefindlichkeiten kann da keine Rücksicht genommen werden.