Berliner Weg 2.0: Die Entscheidung gab es bei Hertha BSC schon mal

Fredi Bobic verließ seinen Arbeitsplatz in Berlin auch früher schon ohne Erfolg. Und auch die Besinnung auf die Hertha-DNA gab es schon mal in Berlin-Westend.

Hertha-Präsident Kay Bernstein (r.) stellt Benjamin Weber als neuen Sportdirektor des Klubs vor.
Hertha-Präsident Kay Bernstein (r.) stellt Benjamin Weber als neuen Sportdirektor des Klubs vor.Andreas Gora/dpa

Als am Sonntagmittag Hertha-Präsident Kay Bernstein nach der spektakulären Trennung von Sportchef Fredi Bobic die künftige Ausrichtung des kriselnden Klubs verkündete, nannte er diesen Schritt einen „strategischen Kurswechsel“. Hertha wolle nun den „Berliner Weg“ gehen – mit Persönlichkeiten in der Verantwortung, die die Hertha-DNA in sich tragen und für den Verein „brennen“. Mit Benjamin Weber als neuem Sportdirektor und dem ehemaligen Bundesliga-Profi und Berliner Publikumsliebling Andreas „Zecke“ Neuendorf als Direktor Akademie/Lizenzbereich wurden zwei Ur-Herthaner in die neuen Ämter gehievt. Und mit Bernstein steht sowieso ein Mann an der Spitze des Vereins, der seit vielen Jahren Hertha als Herzensangelegenheit betrachtet. Zudem soll in Zukunft – aus Überzeugung und aus finanziellen Gründen – vermehrt auf Talente der seit vielen Jahren gut geführten Hertha-Fußball-Akademie gesetzt werden.

Dieser schwerwiegende Wandel in der gesamten Unternehmenskultur erscheint richtig, ist aber im Moment, in dem die Mannschaft in akuter Abstiegsgefahr schwebt, mit hohem Risiko behaftet. Weber und Neuendorf werden 24 Stunden in blau-weißen Dimensionen denken und arbeiten, aber beide besitzen in den neuen Positionen wenig Erfahrung.

Strategiewechsel, die vor allem das kickende Personal betrafen, gab es schon häufig bei Hertha. Anfang der 2000er-Jahre setzte Manager Dieter Hoeneß verstärkt auf Profis aus Brasilien. In der Saison 2002/03 nannte man den Klub „Hertha do Brasil“, weil in Alex Alves, Marcelinho, Weltmeister Luizao und Nene gleich vier Profis aus Südamerika im Kader standen. Später setzte Hoeneß vor allem auf „Charakterköpfe“ und Mentalitätsspieler. Stolz verkündete er im Sommer 2003: „Wir haben einen 26-Tore-Sturm verpflichtet.“ Hoeneß sagt in der Nachschau: „Da Michael Preetz und Jolly Sverrisson ihre Laufbahn beendet hatten, holte ich Fredi Bobic und Artur Wichniarek. Bobic hatte zuvor bei Hannover 96 eine tolle Saison gespielt und 14 Tore geschossen.“

Dazu kam in Niko Kovac ein Berlin-Rückkehrer mit großer Erfahrung. Doch für Bobic erwiesen sich rund 20 Jahre vor seiner Trennung als Sportchef die Hertha und Berlin schon einmal als ein Arbeitsplatz ohne Erfolg. Er geriet als populärer Mittelstürmer in ein Team, das in die Champions League wollte, aber bis zum vorletzten Spieltag um den Klassenerhalt kämpfen musste. Sieben Tore steuerte er bei und wurde in der Rückrunde 2004 von Trainer Hans Meyer kurzzeitig aus der Stammelf verbannt – weil er mit dessen Einstellung nicht einverstanden war. In zwei Spielzeiten kam Bobic auf 54 Einsätze und 8 Tore. Sportlich enttäuschte Bobic damals, zeigte sich aber als Wortführer auf dem Platz und stellte sich den Reportern immer auch in komplizierten Situationen.

Nach dem Intermezzo mit den erfahrenen „Charakterköpfen“ begab sich Hertha Mitte der 2000er-Jahre schon einmal auf den „Berliner Weg“. Unter Trainer Falko Götz, der zuvor als Amateur- und Jugendkoordinator bei Hertha arbeitete, kamen sehr viele Talente aus dem eigenen Nachwuchs in der Profimannschaft zum Einsatz: Kevin-Prince Boateng, Jérôme Boateng, Malik Fathi, Sofian Chahed, Pascal Bieler, Oliver Schröder, Thorben Marx, Sejad Salihovic, Christian Müller, Chinedu Ede und Ashkan Dejagah. Viel mehr Berlin ging nicht. Auch viele Jahre später unter Trainer Pal Dardai bekamen Eigengewächse aus der Akademie verstärkt eine Chance, ehe der Kaufrausch auf dem Transfermarkt unter Michael Preetz/Jürgen Klinsmann begann.

Der nach der Trennung von Fredi Bobic – der versuchte, die Strukturen im Klub zu professionalisieren, aber im Tempo übertrieb – ausgerufene „Berliner Weg“ ist also nicht neu. Doch er wird länger anhalten müssen, als in den Versuchen zuvor. Bobic wird alles aus der Distanz verfolgen und garantiert in neuer Funktion in der Bundesliga wieder auftauchen – oder auch beim Deutschen Fußball-Bund.