Hertha-Präsident Kay Bernstein: „Guckt mal, was da gerade entsteht“
Der neue Vereinschef über seine erste Woche im Amt, die erste Präsidiumssitzung und das Grillen mit dem Team.

Am Sonntag vor einer Woche wurde Kay Bernstein von den Hertha-Mitgliedern zum neuen Präsidenten gewählt. An diesem Sonnabend schaute er sich Herthas Testspiel beim Regionalligisten SV Babelsberg auf der Tribüne an. Er sah, wie Marco Richter im neuen blau-weißen Trikot das einzige Tor des Nachmittags schoss – und Torhüter Rune Jarstein nach 15 Monaten Krankheitspause sein Comeback gab.
Herr Bernstein, wie war das erste Testspiel als Hertha-Präsident?
Es war ein 1:0-Sieg. Die Babelsberger hatten einen sehr guten Torwart. Wenn der nicht so gut gewesen wäre, wäre der Sieg sicher höher ausgefallen. Ansonsten war es ein sehr schönes Miteinander mit den Kollegen aus dem Verein und mit den Fans, die viele Selfies und Autogramme wollten. Es hat sich fortgesetzt seit Sonntag bei der Mitgliederversammlung: Die Leute sind froh, dass wir nahbar sind.
Wollten die Fans Selfies mit den Spielern oder mit Ihnen?
Sowohl als auch. Die Mannschaft hat Bilder gemacht, ich habe Bilder gemacht. Wir alle sind nahbar.
Ihre erste Woche als Hertha-Präsident war ...?
... schön. Sie war aufregend. Von Gesprächen und Grundlagen geprägt im Sinne von: Die Präsidiumsmitglieder haben jetzt zum ersten Mal E-Mail-Adressen, einen Teams-Account und wir können mit einem gemeinsamen Kalender miteinander arbeiten.
Stimmt es, dass die Feier am Sonntagabend nach der gewonnenen Wahl mit halbnackten Minderjährigen stattfand?
Ja, die halbnackte Minderjährige war 14 Monate alt und ist im Innenhof des Freundes, bei dem wir gefeiert haben, zwischen Pizzakartons und Wassersprenger herumgetobt. Sie hat noch eine Stunde durchgehalten. Dann bin ich mit ihr nach Hause gefahren, habe sie ins Bett gelegt, hab den Geschirrspüler angemacht und das Haus aufgeräumt, damit die Frau, die aus Prag wiederkam, nicht im totalen Chaos landet und denkt: Na toll, jetzt bin ich einmal weg und es sieht aus, wie ein Schlachtfeld.
Während Sie den Geschirrspüler ausräumten, trafen sich Hertha-Investor Lars Windhorst und Wahlverlierer Frank Steffel im Restaurant Lutter & Wegner. Was dachten Sie, als die Fotos auftauchten?
Gar nichts. Das hatte für mich keine Relevanz im Sinne von: Was baldowern die da aus? Haben sie sich da zufällig getroffen, wie sie es sagen? Das zeigt, glaube ich, jedem, dass die Mitglieder sich richtig entschieden haben.
Wie ist der Stand mit Ihnen und Lars Windhorst?
Wir haben Kontakt, er hat gratuliert. Es ist alles in guten, kommunikativen Bahnen.
Gab es unerwartete Glückwünsche?
Ich hätte nicht erwartet, dass Aki Watzke aus Dortmund gratuliert, dass aus Karlsruhe, Stuttgart oder von Dynamo Dresden Glückwünsche kommen. Ich hatte eigentlich gar keine Erwartungen. Daher war ich ungeheuer überrascht, dass so viele Glückwünsche aus dem ganzen Land kamen. Ich bin bis heute noch nicht fertig mit dem Beantworten. Das dauert noch, bis ich jeden Kommunikationskanal durchhabe.
Kamen Reaktionen aus der Sportmetropole Berlin?
Albas Geschäftsführer Marco Baldi hat gratuliert, die Unioner, beim Rest kann ich es noch gar nicht sagen, weil ich nicht weiß, ob offizielle Schreiben aufgesetzt wurden.
Am Montag und Dienstag waren Sie auf der Geschäftsstelle?
Ich habe den Mitarbeitern Hallo gesagt, die Mailadressen fürs Präsidium anlegen lassen, mich bei Hertha TV vorgestellt.
Bei der Präsidiumssitzung am Mittwoch wussten Sie, dass sich zwei der fünf Beisitzer auf Steffels Seite positioniert hatten. Wie sind Sie die Sitzung angegangen? Wie eint man so ein Gremium?
Indem man den Leuten den Ist-Zustand erklärt: Guckt mal raus, guckt, was die Hertha-Fans für eine Stimmung verspüren. Und guckt mal, was da gerade entsteht – ein authentisches Momentum der Aufbruchstimmung. Wir haben ein großes Buch, wir haben hier sieben Stifte und jeder kann einen Stift nehmen und dieses Kapitel füllen. Ich habe an das Wählervotum erinnert: Ihr habt den Auftrag von euren Mitgliedern. Wir haben die Verantwortung. Und ich brauche das Commitment von euch, dass wir hier zusammenwachsen. Das wird nicht von heute auf morgen gehen, sondern ein Prozess sein.
Besonders für die Steffel-Unterstützer Ingmar Pering und Peer Mock-Stümer?
Ich habe daran erinnert, dass sie in den letzten Jahren oft gesagt haben, wir sind die Opposition, wir wollen es anders haben. Und jetzt passiert es genau anders. Wir wollen Verantwortung auf mehreren Schultern verteilen, demokratisch handeln. Wir wollen das Beste für Hertha BSC – und ihr seid ein Teil, weil ihr diese Geschichte mitgestalten könnt. Klar, waren da Vorbehalte: Um Gottes Willen, was macht der da jetzt? Aber es war am Ende eine sehr gelockerte, erleichterte Stimmung. Für die Zusammenarbeit wird es weitere, vertrauensbildende Maßnahmen geben. Wir haben eine Klausurtagung und einen Workshop verabredet.
Die hellblaue Hertha-Jacke, die Sie bei der Wahl, auf Fotos und beim Test in Babelsberg trugen, hat Wiedererkennungswert. Warum fehlt sie im Hertha-Shop?
Aktuell ist sie ausverkauft oder vergriffen. Wir werden uns hinsetzen mit den Jungs und Mädels aus der Merchandise-Abteilung, inwiefern man die wieder auflegen kann. Es gibt ganz, ganz viele Nachfragen nach dieser Jacke. Viele fragen, wie viele Jacken ich habe, wie oft meine Frau die wäscht. Es gibt mehrere davon. Ich finde sie toll, weil sie aus der 97er-Kollektion kommt, genau aus der Zeit, in der ich mein Herz an die Alte Dame verloren habe.
Hatten Sie beim Testspiel Kontakt zur Mannschaft?
Ich war am Donnerstag im Trainingslager in Kienbaum zum Grillabend da. Ich habe mich der Mannschaft vorgestellt, habe das Funktionsteam getroffen, mit Sandro Schwarz lange gesprochen.
Gab es auch Reaktionen von den Spielern?
Es gab ein Gespräch mit Prince, der natürlich eine entscheidende Rolle in der Mannschaft hat. Er ist Leader, Mentor, Kapitän, er geht voran. Prince sagt mir: „Ey, wir sind viel näher zusammengerückt. Unser Teamspirit ist ein anderer als vor einem Jahr. Sandro sieht alles. Die Mannschaft ist jetzt schon mehr Mannschaft, als sie im letzten Jahr war.“
Kevin-Prince Boateng und Sie kannten sich schon.
Wir vertrauen uns. Wir schätzen uns. Wir brauchen einander. Er in der Mannschaft, ich da oben – das könnten zwei authentische Säulen sein, die für Glaubwürdigkeit und die für Hertha stehen.
Manche Menschen sind skeptisch, wie Sie mit dem Finanzvolumen umgehen wollen, mit den Millionen, die Hertha BSC umsetzt.
Ich glaube, sie trauen mir das nicht zu, weil sie mich nicht kennen. Weil sie nicht wissen, wie ich mir das selbst erarbeitet habe, wie diszipliniert ich in wirtschaftlichen Dingen bin. Ich glaube, dass die Leute gar kein Verständnis dafür haben, wie dieser Verein funktioniert. Da gibt es einen Geschäftsführer für die Finanzen. Es gibt ein Präsidium, das demokratisch Entscheidungen trifft. Das bin ja nicht ich alleine. Und es ist nicht so, dass ich eine Bankkaufmannslehre brauche, um das Beste für den Verein zu tun. Die Skepsis liegt daran, dass das Verständnis gar nicht da ist, wie der Verein funktioniert. Weil man den in den letzten Jahren nicht transparent nach außen gekehrt hat, wie der Verein ganzheitlich funktioniert. Laut Satzung ist der Präsident für zwei Dinge zuständig: den Verein nach außen vertreten und das Präsidium führen.
Und jetzt geben Sie erst mal keine Interviews mehr?
Das Präsidium taucht jetzt 100 Tage ab. Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche. Kommunikation und Medienarbeit sind auch wesentlich, aber wir wollen nicht immer vom Regen in die Traufe – sondern kommen in Kalenderwoche 40 wieder mit einer Wasserstandsmeldung. Was haben wir angeschoben? Wie sieht der große Plan bis Jahresende aus? Was sind die nächsten Stufen? Natürlich gibt es Termine wie den 130-jährigen Geburtstag oder das Derby zum Auftakt. Wir werden nicht komplett in der Versenkung verschwinden. Wir wollen uns aber auf unseren Auftrag fokussieren: aufs Arbeiten. Und das werden wir jetzt tun.
Das Gespräch führte Karin Bühler.