Jugendlicher Auftrieb bei Hertha BSC: Die drei von der Tankstelle

Drei Nachwuchsfußballer sichern Hertha den ersten Sieg des Jahres 2023 und bestärken damit die Vision des Klubs von einem neuen Berliner Weg.

Marton Dardai, Derry Scherhant und Jessic Ngankam (v.l.) haben mit ihren Toren gegen Gladbach für lang ersehnte Glücksmomente bei Hertha BSC gesorgt.
Marton Dardai, Derry Scherhant und Jessic Ngankam (v.l.) haben mit ihren Toren gegen Gladbach für lang ersehnte Glücksmomente bei Hertha BSC gesorgt.City-Press

Nach dem Jubel vor der Ostkurve, den ersten Tränen, die sich in einer Mischung aus Erleichterung, Glück und Überwältigung in Derry Scherhants Augen gesammelt hatten, kamen Anerkennung und Glückwünsche schnell auch von dort, wo junge Menschen heute oft Anerkennung suchen: aus den sozialen Netzwerken. Prince27 postete kurz nach Herthas 4:1-Sieg über Mönchengladbach das Bild des Tages: drei junge Fußballer in blau-weiß gestreiften Trikots mit strahlenden Augen – Marton Dardai (21), Scherhant (20) und Jessic Ngankam (22) –, drei der vier Hertha-Torschützen des Sonntagnachmittags. Dazu schrieb Prince27 alias Kevin-Prince Boateng: „Aus Berlin für Berlin.“ Und: „Stolz auf euch.“ Dahinter setzte Herthas Vizekapitän zwei Ausrufezeichen in roter Farbe.  

Wenn es bislang eher ein, zwei Fragenzeichen zu der Vision gab, die Hertha-Präsident Kay Bernstein kürzlich den „Berliner Weg“ genannt hat, war dieses Drei-Jungprofis-Arm-in-Arm-mit-der-Glückseligkeit-Foto tatsächlich das selbsterklärende Ausrufezeichen dazu: „Dit is Hertha 2023!“ Berliner Jungs, Berliner Charme. Berliner Fußballerkarrieren, die in Wilmersdorf, Lichterfelde oder Haselhorst begannen und einiges versprechen – Herthas Zukunft vielleicht.

„Es geht um Leistung und Qualität, aber auch um eine totale Identifikation mit dem Verein. Es gibt einen klaren Auftrag, die Verbindung zwischen Berlin und Hertha herzustellen. Wir wollen Glücksmomente für die Stadt und für den Verein hinbringen“, hatte Sportdirektor Benjamin Weber vor der Partie noch mal den neuen Weg erläutert.

Herthas Nachwuchsspieler geben nach dem Rückstand Stoff

Dann gaben die drei von der Glückseligkeitstankstelle nach dem 0:1-Rückstand Stoff. Erst das 1:1 aus kurzer Distanz von Stürmer Ngankam, über den Trainer Sandro Schwarz sagte: „Wir wollten seine Körperlichkeit nutzen, um den Stock in die Speichen reinzuhalten. Es freut mich für ihn, dass er sich mit dem Tor so belohnt hat.“

Dann folgte nach der Pause dieser gewaltige Dardai-Schuss zum 2:1, zu dem Schwarz meinte: „Es war ein überragendes Tor. Was für ein Mut, den Ball so zu nehmen aus dieser Distanz.“ Und schließlich das clevere 3:1 aus der Drehung von Scherhant, über den Schwarz sagte: „Derry, der sehr berührt war nach diesem Erlebnis, kam weinend in die Kabine zu den Jungs. Kurz vor der Einwechslung hatte ich ihm gesagt, dass heute ein guter Zeitpunkt wäre für ein Tor.“

Natürlich ist dieses Bild der drei jungen Herthaner nur eine Momentaufnahme. Eine Bundesligasaison dauert lange, der Imagewechsel eines Vereins noch viel länger – und der Abstiegskampf ist nicht vorbei. Aber manchmal kann auch der Berliner Weg das Ziel sein. „Der Sport, also der Fußball, ist und bleibt unser Kerngeschäft. Dafür machen wir das alles doch. Daran hängt doch unser aller Herz, unsere Emotionen. Wir spielen Fußball, um möglichst viele Menschen glücklich zu machen, den Leuten Spaß zu bereiten. Hier spielen die Akademie und unsere sportliche Ausrichtung eine wesentliche Rolle“, hatte Präsident Bernstein vor dem Gladbach-Spiel seine Vision konkretisiert: „Berlin ist die Stadt der Fußballkäfige. Hier sind Durchsetzungsvermögen, Kreativität, Vertrauen, Siegeswille gefordert. Das Ganze gepaart mit Berliner Schnauze. Wir wollen den Weg ebnen aus dem Fußballkäfig in die Profimannschaft.“

Die Momentaufnahme mit den drei jungen Herthanern im Mittelpunkt könnte demnach auch ein Start gewesen sein, ein Initial, der erste Meter auf dem Berliner Weg. Einer wie Scherhant, der vom FC Viktoria 1889 erst in der U19 zu Hertha BSC kam, dann in der U23 auftrumpfte und anders als Ngankam und Dardai nicht im Nachwuchsleistungszentrum des Bundesligisten ausgebildet wurde, will sicher mehr. Das zeigte sein inneres Strahlen, als der Stürmer nach der Huldigung der Kurve in den Katakomben des Olympiastadions davon erzählte, wie unglaublich sich dieser Sonntagnachmittag, sein erstes Tor im sechsten Bundesligaspiel, anfühle: „Das ist der Moment, von dem man sein ganzes Leben träumt, im Olympiastadion ein Tor zu schießen. Das war ein sehr wichtiger Sieg für uns in der aktuellen Lage.“

Ein wichtiges Lebenszeichen von Hertha vor der Partie in Dortmund

Die aktuelle Lage bedeutet für Hertha noch immer: Abstiegskampf. Auch wenn der Klub nach dem 4:1 gegen Gladbach, das Dodi Lukebakio mit einem Elfmetertor vervollständigte, auf Relegationsplatz 16 geklettert ist. „Abstiegskampf bedeutet, wenn du verlierst, nicht abzuschalten, trotzdem dranzubleiben. Und wenn du Spiele gewinnst, den langen Atem aufrechtzuerhalten, inhaltlich die Klarheit zu haben, nicht komplett durchzudrehen“, sagte Schwarz.

Die drei jungen Sonntagstorschützen scheinen die Realität trotz der Traummomente im Blick zu haben. Verteidiger Dardai, der fand, sein Distanzgeschoss, das von der Lattenunterkante hinter die Linie sprang, habe sich auf dem Platz surreal angefühlt, fasste die Situation vor der nächsten Partie am Sonntag in Dortmund (17.30 Uhr) so zusammen: „Wir haben ein Lebenszeichen gesendet, das unheimlich wichtig ist. Es war ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. So müssen wir weitermachen.“