Wie haben Hertha-Fans die Saison erlebt? Worauf hoffen sie nach dem Abstieg?
Vor der Partie in Wolfsburg sieht es so aus, als bliebe Pal Dardai Cheftrainer bei Hertha BSC. Peter Pekarik verlängert wohl auch. Fehlt nur noch die Lizenz.

Jan Gülcan hatte sich das schon so gedacht, wie es Pal Dardai am Donnerstag bei der Pressekonferenz vor Herthas Erstliga-Abschluss beim VfL Wolfsburg (Sonnabend 15.30 Uhr, Sky) bestätigte. „Der Trainer wird bestimmt viele junge Spieler einsetzen.“ Jan Gülcan (17), Abwehrspieler in der B-Jugend des Oranienburger FC Eintracht, ist Hertha-Fan seit er denken kann. Diese Saison war seine erste in der Ostkurve. Die Dauerkarte dafür bekam der Gymnasiast zur Firmung geschenkt. Und vorigen Sonnabend, als in der 94. Minute im Olympiastadion das 1:1 für den VfL Bochum fiel, das Herthas Abstieg besiegelte, da flossen bei ihm und seinen Kumpels Tränen.
Gülcan erlebte die Stille in diesem Moment. Sie traf ihn. Dabei hatte er schon nach der Auswärtsfahrt und dem 2:5 in Gelsenkirchen zu seinem Vater gesagt: „Das war eine Schmach. Wir sind abgestiegen.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte der Elftklässler eigentlich schon abgeschlossen mit der Ersten Liga. Aber nach dem 2:1-Sieg gegen Stuttgart Anfang Mai kam die Hoffnung zurück. „Das war krass“, sagt Jan Gülcan. Auch da habe er angefangen zu heulen – als Stürmer Jessic Ngankam sich euphorisch und exzessiv auf die Trikotbrust schlug, dorthin, wo die Hertha-Fahne prangt. „Wir sind das ja eigentlich gar nicht mehr so gewohnt, dass sich Spieler zerreißen für unseren Verein und nicht bloß hier kicken, weil sie geldgeil sind“, meint Gülcan. „Dass Jessic zum 1. FC Union wechselt, wie Gerüchte sagen, wird niemals passieren.“
Herthas Hoffnung auf die Lizenz
In seiner ersten Saison mit Ostkurven-Dauerkarte hat ihm sein Klub viel zugemutet, so wie eigentlich in all den Jahren zuvor auch: Absurditäten, Trainerwechsel, Demontagen, einen Sportdirektorenwechsel, Spionagegeschichten, einen Investorenwechsel und das zweite Comeback von Trainer Pal Dardai. Fans wie Gülcan oder Hertha-Mitglied Tobias Ziesecke aus Prenzlauer Berg haben so viel mitgemacht, dass der Abstieg sie nicht aus der Bahn wirft. „Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich mit Hertha in die 2. Liga gehe, es ist das dritte Mal. Wir sind leidensfähig“, sagt Ziesecke (32), „und der Abstieg ist vielleicht eine Chance. Da kann man dann ein bisschen regelmäßiger gewinnen. Ich hoffe ja, dass sie die Lizenz kriegen.“
Das hoffen alle, die es mit Hertha BSC halten. Auch Dardai, der am Donnerstag vor dem Wolfsburg-Spiel sagte: „Wenn sich die Möglichkeit ergibt, werden wir Jugendspieler einwechseln, um ihnen Einsatzzeit zu schenken.“ So wird sich wohl Stevan Jovetic eine Halbzeit mit U19-Spieler Ibrahim Maza teilen, auch in der Innenverteidigung könnten Nachwuchskicker ihre Chance erhalten. „Der Berliner Weg ist rund. Wenn wir die Lizenz haben, dann können wir sehen, wie viele Jugendspieler wir da reinpressen“, sagte Dardai mit Blick auf den Zweitliga-Kader, zu dem neben den Rückkehrern Linus Gechter und Marten Winkler überraschend wohl auch ein Routinier zählen wird, der seit 2012 bei Hertha spielt: Peter Pekarik (36). Über den slowakischen Abwehrspieler sagte Herthas Sportdirektor Benjamin Weber jedenfalls: „Wir sind zuversichtlich, dass er uns weiter als Fußballer unterstützt.“
Pal Dardais Kaderanalyse deutet auf Verbleib des Trainers hin
Dardai hat seine schriftliche Kaderanalyse bereits abgegeben. Ein Umstand, der schon vor dem letzten Erstligaspiel dafür spricht, dass der Klub weiter mit dem Ungarn als Cheftrainer plant. Das Gros der Fans wünscht sich das. „Ich hoffe, dass Dardai Trainer bleibt. Ich bin Fan von ihm“, sagt Ziesecke. „Ich hoffe, dass wir mit Dardai in die 2. Liga gehen. Dass Bobic damals Dardai entlassen hat, sprach gegen ihn. Bobic hat von Anfang an keinen guten Job gemacht. Er hat sich nicht so wirklich als Herthaner gesehen, das war das Problem“, erläutert Gülcan.
Herthaner geben ihr Herz für den Verein. Oder sie flunkern ein bisschen wie Gülcan vor etwa einem Jahr, als er am Tag, an dem die Karten für das Relegationsspiel in Hamburg in den Online-Verkauf gingen, zu seinem Lehrer sagte, er müsse mal auf die Toilette. Dort tippte auf seinem Handy so lange herum, bis die Tickets via Paypal in seinem Warenkorb lagen. Das 2:0 in Hamburg, das Hertha in der Bundesliga hielt, ließ sein Herz hüpfen – auch wenn er danach erst nachts um vier am ZOB ankam und drei Stunden später zur Schule musste.
„Dass Hertha einen Zuschauerschnitt von 53.000 hatte, zeigt, wie viele zu dem Verein halten. Langsam freue ich mich auf die 2. Liga. Auch wegen der Spiele gegen Karlsruhe, St. Pauli, hoffentlich HSV oder Rostock. Und Elversberg steigt auf. Die haben ein Stadion für 10.000 Leute. Wäre doch krass, wenn Hertha da mit 8000 Fans antanzt“, meint Gülcan: „Liebe kennt schließlich keine Liga.“