Wie Hertha BSC vom Ende der internen Querelen im Abstiegskampf profitieren kann
Die Bundesliga-Abstiege von Hertha waren von verfehlter Transferpolitik und internen Streitigkeiten begleitet. Der aktuelle Schulterschluss gibt daher Hoffnung.

Vor dem Duell gegen Borussia Mönchengladbach hätte ich keinen einzigen Cent auf einen Sieg von Hertha gesetzt. Mental zu schwach, die Abwehr mit individuellen Aussetzern, bei gegnerischen Standards nicht auf der Höhe, der Angriff harmlos. So präsentierte sich die Mannschaft bislang 2023. Am Sonntagnachmittag aber hat mich das Team samt Trainer Sandro Schwarz eines Besseren belehrt und endlich Widerstandsfähigkeit im Abstiegskampf gezeigt. Ein erster wichtiger Schritt auf einem langen Weg zum Klassenerhalt.
Meine Skepsis liegt in der Vergangenheit begründet, weil ich einst als Reporter drei Abstiege der Hertha hautnah erlebte – mit Tränen und Verzweiflung der Spieler, mit totaler Leere im Blick bei den Bossen. Und bei aller Neutralität als Berichterstatter waren diese Erfahrungen durchaus schmerzhaft.
Lernt Hertha aus den Fehlern der Vergangenheit?
Kann die gegenwärtige Vereinsführung aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, die 1991, 2010 und 2012 in die Zweite Liga führten? Ein Blick zurück:
In der Saison 1990/91, die noch unter dem Eindruck des Mauerfalls stand, beging die Hertha-Führung einen historischen Fehler. Zwar wollte sich Hertha schnell als Gesamt-Berliner Verein präsentieren, tat dies aber nicht bei der Personalpolitik. Die Spitzenspieler aus dem Osten, speziell vom BFC Dynamo, wurden ignoriert. Andreas Thom, Thomas Doll oder Frank Rohde, die vergeblich auf Signale von Hertha warteten, machten stattdessen bei Bayer Leverkusen und dem Hamburger SV Karriere.
Hertha setzte lieber auf alternde Stars wie Uwe Rahn oder verpflichtete den Engländer Mark Farrington lediglich nach der TV-Übertragung eines Spiels aus der holländischen Liga, wo Farrington bei Fortuna Sittard stürmte. Katastrophale Fehleinschätzungen des Leistungsvermögens des Kaders und zahlreiche Transferflops katapultierten die Mannschaft nach drei Spieltagen auf den letzten Tabellenplatz, den sie nie mehr verlassen konnte.
Das Ost-West-Thema ist im Verein seit vielen Jahren ad acta gelegt, heute steht in Kay Bernstein sogar ein im Osten aufgewachsener Präsident an der Spitze. Fredi Bobic aber, bis vor wenigen Wochen noch Sportchef, überschätzte aus meiner Sicht auch die Qualität des Aufgebots und lag mit zahlreichen Transfers daneben. Eine fatale Parallele zu 1991.
2009/10 zeigte sich eine völlig andere Situation. Nach Querelen in der Führung im Sommer 2009 zwischen Präsident Werner Gegenbauer und Langzeit-Manager Dieter Hoeneß musste der ehemalige Mittelstürmer Hoeneß gehen. Die Misere nahm ihren Lauf. In Josip Simunic, Andrej Woronin und Marko Pantelic verließen drei absolute Spitzenkräfte den Verein. Neu-Manager Michael Preetz musste sparen, holte am letzten Tag der Transferperiode hektisch drei Profis (Ramos, Kringe, Cesar), von denen nur der Kolumbianer Adrian Ramos einschlug. Der Zauber von Trainer Lucien Favre, der in der Spielzeit zuvor mit Hertha lange um den Titel mitspielte, war verflogen, mit Nachfolger Friedhelm Funkel gelang die Rettung nicht.
Auch 2011/12 waren es Auseinandersetzungen zwischen Vereinsführung (Gegenbauer/Preetz) und Chefcoach Markus Babbel, die für viel Unruhe sorgten. Von Platz 11 zur Winterpause mit 20 Punkten taumelte das Team unter drei neuen Trainern – Michael Skibbe, René Tretschok und Otto Rehhagel – in die Relegation und stieg nach dem Skandalspiel in Düsseldorf ab.
Mein Optimismus in Sachen Klassenerhalt ist nun nicht nur wegen des jüngsten Sieges gegen Mönchengladbach gestiegen. Nach der Trennung von Bobic zeigt sich die Klubführung in der Konstellation Kay Bernstein, Thomas E. Herrich, Benjamin Weber, „Zecke“ Neuendorf samt Aufsichtsratschef Klaus Brüggemann als Einheit. Wenn dieser enge Schulterschluss in der Chefetage, wo ich derzeit Dissonanzen ausschließe, auf die Mannschaft samt Trainerstab überschwappt, kann es auch auf dem Platz aufwärtsgehen. Abwehrchef Marc-Oliver Kempf gab die richtige Devise aus: „Wenn jeder einen Meter mehr macht und dem anderen immer wieder hilft, sind wir in der Lage, andere Mannschaften zu schlagen.“