Vor der russischen Botschaft patrouillieren Polizisten in Kampfmontur. Ansonsten aber geht das Leben in Warschau am Mittwoch seinen alltäglichen Gang. Die Ruhe, die über der Hauptstadt liegt, hat etwas Gespenstisches. Sie ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass sich Glück und Schrecken die Waage halten. Durch das 1:1 am Vorabend gegen Russland hat EM-Gastgeber Polen alle Chancen gewahrt, ins Viertelfinale einzuziehen. Ein Traumtor des Dortmunders Jakub Blaszczykowski machte es möglich. Der Alptraum nahm außerhalb des Stadions seinen Lauf.
Polnische und russische Hooligans prügelten dort aufeinander ein und machten selbst vor Attacken auf Kinder nicht halt. Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper flogen. Kurzzeitig drohte sogar eine Massenpanik, als die Rowdys in die mit 100.000 Zuschauern besetzte Warschauer Fanmeile einzudringen versuchten. 184 Festnahmen, 20 Verletzte, darunter zehn Polizisten, lautete die Bilanz der Polizei am Mittwoch. Die Sicherheitskräfte hatten das Wüten der Hooligans nur mit Wasserwerfern stoppen können. Die befürchtete „Schlacht um Warschau“ war Realität geworden.
War sie das? Polnische Medien spielten das Thema am Mittwoch herunter. Die „Zusammenstöße kleiner Hooligan-Gruppen konnten das Sportfest nicht stören“, schrieb die konservative Zeitung Rzeczpospolita. Zugleich schob das Blatt die Hauptschuld an der Eskalation den russischen Fans zu. „Sie lieferten das Vorspiel“, schrieb die Zeitung. Die linksliberale Gazeta Wyborcza zitierte Moskauer Kommentatoren, die im Verhalten ihrer Landsleute in Warschau eine „widerwärtig geniale Provokation“ sahen. Nun sei der Hass in der Welt.
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Die Russen waren in einem Block zum Stadion marschiert und hatten auf der Tribüne eine martialische Riesenfahne mit einem Krieger und der Aufschrift „This is Russia“ enthüllt. Die befürchteten Provokationen mit den Sowjetsymbolen Hammer und Sichel blieben aber aus. Augenzeugen berichten, dass die Gewalt vor allem von polnischen Rechtsradikalen ausging. Sie schleuderten demnach Böller auf die Russen und riefen „Polen gehört den Polen, Russen raus!“ Was folgte, waren blutige Schlägereien.
Bei den Krawallen ging es um weit mehr als um Fußball. Seit Tagen hatten sich russische und polnische Fangruppen gegenseitig aufgestachelt, unterstützt von Boulevardmedien und nationalistischen Politikern. Eine Zeitung zeigte Trainer Smuda als Feldmarschall Pilsudski mit Waffe in der Hand. Sie erinnerte damit an die Schlacht um Warschau im Jahr 1920. Pilsudskis unterlegene Truppen schlugen damals die anrückende Rote Armee zurück. Die Erinnerungen in Polen an die jahrhundertelange Unterdrückung durch den großen Nachbarn im Osten sind 20 Jahre nach dem Zerfall des Sowjetimperiums unverändert lebendig. Dazu kommt der Dauerstreit um das Flugzeugunglück von Smolensk, bei dem im Jahr 2010 der polnische Präsident Lech Kaczynski starb. Nationalisten sprechen von einem „Mordanschlag durch den KGB“.
Stadtrat lobt Schläger
Am Mittwoch zündelten einige ultrakonservative Politiker weiter. Der Warschauer Stadtrat Maciej Maciejowski schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter: „Ich bedauere, dass die Polizei den Marsch der Russen geschützt hat und die Fans unsere Ehre verteidigen mussten.“ Das offizielle Polen dagegen bemühte sich um Schadensbegrenzung. „Ich schäme mich für diese Leute“, sagte Sportministerin Joanna Mucha.
Die Sorge der EM-Gastgeber ist, die berüchtigten Hooligans könnten dem aufstrebenden Land das bislang gelungene Fußballfest zerstören. Seit Jahren gibt es in Polen immer wieder heftige Auseinandersetzungen rivalisierender Fangruppen, die sich mit Kriminellen aus dem Mafiamilieu mischen. Doch auch der politische Hintergrund ist unübersehbar. Am polnischen Nationalfeiertag randalierten im vergangenen November in Warschau Tausende Neofaschisten. Ihre Anführer stammten aus den Reihen der Hooligans.
Die Regierung hat seither die Gesetze drastisch verschärft und lässt Wiederholungstätern elektronische Fußfesseln anlegen. Dennoch drohen weitere Ausschreitungen am Rande der EM – etwa bei einem möglichen Viertelfinale zwischen Deutschland und Polen. Ein hochrangiger Beamter des Staatsschutzes hatte schon vor den Krawallen am Dienstag gesagt: „Wenn es zu einer Konfrontation kommt, haben wir ein Problem bis zum Ende der Europameisterschaft.“