Katarina Witt weint um Kamila Walijewa, die in Peking eine Medaille verpasst
Der Druck für die Russin, die unter Dopingverdacht steht, ist zu groß. Niemand hat das Kind vor der Tragödie auf dem Eis geschützt. Nun ist das Mitleid groß.

Peking - Traurigkeit und Trotz mischten sich in der Geste, die nicht mehr zur Kür von Kamila Walijewa gehört. Die winkte ab, als wolle sie sagen: Da habt ihr’s jetzt. Was soll dieser ganze Mist? Dann verbarg sie ihr geschminktes Kindergesicht hinter ihren roten Handschuhen. Katarina Witt fühlte im ARD-Studio tief betroffen mit. Sie weinte. Denn die unter Dopingverdacht aufs Eis geschickte Russin, von allen Experten als Jahrhundertläuferin gefeiert, blieb nach einer fehlerhaften Kür bei den Olympischen Spielen in Peking als Vierte ohne Medaille.
Die Klänge von Maurice Ravels Bolero erreichten die 15-Jährige am Donnerstag nicht, ihre Seele war nicht bereit für Musik, ihr Körper nicht bereit für Höchstleistungen, der übermenschliche Druck zu groß. „Man hat sie der Welt zum Fraß vorgeworfen“, sagte die zweimalige Olympiasiegerin Katarina Witt: „Ich kann nur hoffen, dass sie das verwindet und wiederkommt. In vier Jahren möchte ich sie wiedersehen.“
Kein Trost für Walijewa von Trainerin Tutberidse
Die Goldmedaille, die nun doch in Peking vergeben wird, ging an Walijewas Trainingspartnerin Anna Schtscherbakowa, hinter ihr holten die Russin Alexandra Trussowa und die Japanerin Kaori Sakamoto die Silber- und Bronzemedaille. Die Überraschungs-Olympiasiegerin hatte mit ihrer Teamkollegin großes Mitleid. „Es war vom ersten Moment an zu sehen, dass die Kür nicht gut läuft. Ich weiß, was das in diesem Moment für eine Sportlerin bedeutet“, sagte die letztjährige Weltmeisterin.
Fast alles ging bei Walijewas Vortrag auf dem Eis schief, mehrmals landete sie mit dem Gesäß auf dem Eis. An einen künstlerischen Gesamteindruck war nicht mehr zu denken. Die Umstände der vergangenen Tage hatten der Eisprinzessin den Zauber genommen. Trost von ihrer umstrittenen Trainerin Efteri Tutberidse war allerdings kaum zu erkennen. Statt das enttäuschte Mädchen nach der Kür in den Arm zu nehmen, sie wieder aufzurichten, blieb Tutberidse distanziert. Sie sagte: „Warum hast du alles so aus den Händen gegeben? Warum hast du aufgehört zu kämpfen? Erklär mir das! Nach dem Axel hast du es aus den Händen gegeben.“
Nach der Notenvergabe wollte Walijewa nur noch raus aus dem Capital Indoor Stadium. Mit versteinerter Miene und unsagbar leeren Augen passierte das Kind, das niemand geschützt hatte, wortlos die Mixed-Zone. Es wirkte wie ein Gang zum Schafott.
Im Schatten der absoluten Weltklasse sortierte sich Nicole Schott auf dem 17. Platz ein. Nach dem Kurzprogramm noch auf Rang 14 eingestuft, warfen die sechsmalige Deutsche Meisterin aus Essen ein Sturz beim dreifachen Flip und ein verunglückter dreifacher Salchow zurück.
Mannschaftsarzt Schwezki gerät ins Zwielicht
Im Fall Walijewa befürwortete Witold Banka, Präsident der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), derweil sogar Gefängnisstrafen für Menschen, die Kindern Dopingmittel verabreichen. „Das ist böse und nicht zu verzeihen. In einigen Ländern ist das schon strafbar und eine harte, aber sehr gute Lösung“, sagte der Pole im Eurosport-Interview.
Unterdessen gerät der russische Mannschaftsarzt Filipp Schwezki mehr und mehr ins Zwielicht. Wie der Leiter einer kardiologischen Abteilung eines Moskauer Krankenhauses der russischen Website Dossier Center bestätigte, habe weder das verbotene Dopingmittel Trimetazidin noch die erlaubte Substanz Hypoxen eine leistungssteigernde Wirkung.
Vorschlag von Dopingexperte Thevis
Da sich aber beide Medikamente leicht nachweisen ließen, so der Arzt weiter, müsse man die medizinische Betreuung der russischen Eiskunstläufer als wenig kompetent einstufen. Dossier Center ist eine investigative Website eines im Exil lebenden russischen Geschäftsmanns, die in Russland gesperrt ist.
Eine spezielle Untersuchungsmethode brachte der Kölner Dopingexperte Mario Thevis ins Spiel. „Mit einer Haaranalyse kann man möglicherweise unterscheiden, ob es sich um eine mehrmalige Einnahme in größeren Mengen gehandelt hat oder um eine versehentliche, einmalige Gabe“, sagte Thevis im ARD-Interview.
Die olympischen Eiskunstlauf-Wettbewerbe werden am Freitag (11.30 Uhr, MEZ) mit dem Kurzprogramm der Paare fortgesetzt.