Kletterkönig: Simon Geschke strampelt bei der Tour de France im Bergtrikot
Der Berliner Radprofi erobert bei der Frankreich-Rundfahrt in den Alpen das Bergtrikot. Der Routinier hofft nun, das begehrte Stück Stoff lange zu tragen.

Bergkönig Simon Geschke genoss den Blick auf das Alpenpanorama vom Hotel Le Castellan und ließ es am Ruhetag der Tour de France locker angehen. Für eine gute Stunde setzte sich der 36-Jährige aufs Rad, Helm und Hose hatten schon das Design des berühmten weißen Trikots mit den roten Punkten. „Der Tag Pause war nötig. Jetzt versuche ich, das Trikot so lange wie möglich zu behalten“, sagte Geschke. Sein Bergtrikot bekommt der Berliner am Dienstagmorgen. Auf der Etappe nach Megève sollte es möglich sein, die Führung in der Bergwertung zu behalten.
Am Tag nach seinem Husarenritt war bei ihm die Stimmung bestens. Nur die ausgestopften Tierköpfe an der Wand des rustikalen Teamhotels schienen dem Veganer Geschke nicht so sehr zu schmecken. „Das war wirklich eine All-Out-Aktion. Ich bin einfach super froh, dass es geklappt hat“, sagte er über die Eroberung des Bergtrikots.
Geschkes Schwiegermutter fotografiert die Bulldogge im Bergtrikot
Daheim in Freiburg ist die Familie des Berliners voll im Tour-Fieber. Geschkes Hund Jimi, eine Französische Bulldogge, posierte im Garten mit einem Bergtrikot für ein Foto. „Ich weiß gar nicht, ob sie sich extra ein Trikot gekauft haben. Das Bild kam von meiner Schwiegermutter“, sagte Geschke. Sein Hund war in den sozialen Medien vor zwei Jahren durch ein Video bereits eine kleine Berühmtheit geworden, als er Geschke nach dessen durch eine Corona-Quarantäne verhagelten Olympischen Spielen von Tokio am Bahnhof überschwänglich empfing.
Durch seine eigene Vorgeschichte und den Corona-Ausfall seines Kapitäns Guillaume Martin hatte Geschke durchaus Respekt vor den verpflichtenden Tests der Tour. Am Montagmorgen erhielt der Routinier sein negatives Ergebnis. „Die Erleichterung war sehr groß. Ich habe im Bus neben Guillaume gesessen, deshalb habe ich mir Sorgen gemacht. Durch das Ergebnis sind wir jetzt guter Dinge“, sagte Geschke, der früher für den Berliner TSC am Start war.
Der Fokus kann somit weg von der Corona-Angst und hin zur Verteidigung des Bergtrikots gehen. Dafür ist das Aus des Kapitäns sogar ein Vorteil. „Wir werden das Trikot leidenschaftlich verteidigen, das ist eine sehr gute Herausforderung“, sagte Cofidis-Sportdirektor Alain Deloeuil.
Dass Geschke das Trikot bis nach Paris trägt, hält der Sohn des früheren Radsprint-Weltmeisters und Tandem-Olympiazweiten (mit Werner Otto) für utopisch. „Ich glaube, es wurden erst zehn Prozent der Bergpunkte vergeben. Im Hochgebirge habe ich meine Grenzen, das muss man klar sagen. Gerade über 2000 Meter“, erklärte Geschke. Auf die ganz großen Höhen geht es am Mittwoch und Donnerstag auf den beiden schweren Alpenetappen.
Auf den Berliner warten große Herausforderungen. „Im Hochgebirge werden die meisten Punkte vergeben. Und bei Allem über 2000 Metern erreiche ich dann doch meine Limits.“ Pech für Geschke: In der zweiten Tour-Woche geht es für die Fahrer bei der 109. Ausgabe der „Großen Schleife“ gleich viermal in diese Gefilde. Mit dem über 2600 Metern hohen Col du Galibier und der Ankunft auf der legendären Alpe D’Huez stehen gleich zwei der vier „heiligen“ Berganstiege der Tour auf dem Programm. „Ich werde einfach Vollgas fahren. Es wäre natürlich super schön, wenn ich’s mehrere Tage hätte“, meinte Geschke.
Auf der ersten Alpenetappe der Tour hatte er am Sonntag einen unfassbaren Kampf geliefert. Am Col de la Croix sicherte sich Geschke als Führender einer Fluchtgruppe zunächst zehn Bergpunkte. Am Pas de Morgins dann, als die Spitzengruppe längst gesprengt worden war und das große Feld ihm wie ein Raubtier im Nacken saß, kämpfte er sich als Fünfter über die Bergkuppe – und holte sich die entscheidenden zwei Zähler.
Bergtrikot für Geschke fast so schön wie der Etappensieg 2015
„Die Bergwertung war meine persönliche Ziellinie. Die anschließende Abfahrt bin ich dann wie auf Eiern runtergefahren“, berichtete Geschke. Wie auf Eiern rollte er auch am Ende als 32. ins Ziel, wo der frühere Radprofi Fabian Wegmann als erster Gratulant auf ihn wartete. „Er hat sich sehr für mich gefreut“, sagte Geschke über seinen Kumpel aus alten Freiburger Zeiten.
Geschkes Karriere ist nicht arm am Höhepunkten. Die Eroberung des Bergtrikots gehört zum oberen Regal der Erfolge. „Mein Etappensieg bei der Tour ist natürlich das Größte“, sagte Geschke zu seinem Erfolg in Pra-Loup 2015. „Bei der Tour kommt direkt danach das Bergtrikot.“ Auf seine gesamte Karriere blickend ordnete Geschke den dritten Platz bei der Tour de Romandie in diesem Jahr oder den dritten Platz bei der Tour Down Under 2020 sportlich noch höher ein. Vielleicht ändert sich das, je länger er das Bergtrikot trägt.