Kommentar: Der Imageschaden durch das WM-Aus ist gewaltig
Vor dem WM-Endrundenturnier, das für die deutsche Mannschaft gar nicht erst zum Turnier wurde, hat Oliver Bierhoff nicht gut ausgesehen. Wenn dieser Oliver Bierhoff, der eigentlich immer gut aussieht, so zerknittert daherkommt, ist größte Obacht geboten. Denn dann stimmt irgendwas nicht im Innenleben der Nationalmannschaft.
Bierhoff mag nicht immer ein Gespür für das Gefühl der Menschen da draußen haben mit seiner überhitzten „Die Mannschaft“-Marketingmaschinerie, die niemand mehr ertragen kann, der seine Sinne noch halbwegs beisammen hat. Aber der 50-Jährige verfügt über ein sehr feine Antennen für Stimmungen im Kader.
Bierhoff erweckte verdächtig den Eindruck, als ahnte er früh und düster, dass irgendwas nicht stimmt mit dieser deutschen Nationalmannschaft im Sommer 2018. Und es ist zu einfach, das vor allem am Trainer Joachim Löw festzumachen, obwohl es so schien, als habe dieser auf seinem fernen Planeten Jogi viel von dem, was Bierhoff längst erspürt hatte, gar nicht mitbekommen.
Manager in der Bundesligablase
Ganz ähnlich, wie viele Manager jahrelang in ihrer Bundesligablase gar nicht begriffen haben, dass die Klubs international zusehends den Anschluss verlieren. Das hat auch etwas mit Ignoranz zu tun. Man richtet sich halt ein, ist so schön gemütlich.
Die Nationalmannschaft hat diesen Niedergang überstrahlt und damit auch übertüncht. Tatsächlich ist es ja in den vergangenen Jahren stets so gewesen, dass Löw es mit seinem Team geschafft hatte, den schleichenden Abstieg der Bundesliga im europäischen Vergleich überzukompensieren. Die deutschen Klubs rumpeln sich seit einem halben Jahrzehnt durch die internationalen Wettbewerbe. Man hat sich schon fast daran gewöhnt, dass sie auf höchstem Niveau abgehängt sind, genau, wie man sich daran gewöhnt hatte, dass die Nationalmannschaft wie selbstverständlich das WM- und EM-Halbfinale erreicht.
Es ist nicht nur ein Effekt, der beim Publikum das Erregungspotenzial spürbar gesenkt hat. Auch Löw und seine Spieler hat dieser Gewöhnungseffekt dazu verführt, die nun noch mehr als zwei Wochen ohne deutsche Beteiligung weiterlaufende Weltmeisterschaft in Russland nicht mit dem dafür notwendigen Eifer anzugehen. Sie dachten alle miteinander, sie würden den Schalter schon irgendwie routiniert umlegen können, wenn es denn mal ernst würde. Aber dann haben sie den Schalter nicht gefunden.
Dazu gesellte sich auch jener konkrete Mangel an fußballerischer Klasse, der die deutschen Klubs längst schon ereilt hat. Bundesligaboss Christian Seifert sagt nicht erst seit vorgestern, dass es so nicht reicht für den nationalen Spitzenfußball, im Weltvergleich mitzuhalten. Er hatte auf eine erfolgreiche WM gesetzt, um der Welt das Produkt Bundesliga in Hochglanzform mit entsprechendem Vermarktungserfolg präsentieren zu können. Daraus wird nun nichts. Das Bild, das ohnehin schon Patina ansetzte, ist nun nachhaltig gestört. Der Kollateralschaden für den gesamten deutschen Fußball dürfte erheblich sein.
Keine Prämien für die Spieler
Auch der DFB ächzt und stöhnt. 1,7 Millionen Euro kostet das Unternehmen Weltmeisterschaft den Verband unmittelbar, weil Einnahmen von 9,1 Millionen Euro Ausgaben von 10,8 Millionen Euro gegenüberstehen. Im Fall des WM-Titels sah der Sonderetat einen Überschuss von 6.2 Millionen Euro vor. Geld, dass auch den Amateuren zugute gekommen wäre.
Immerhin kassieren die Nationalspieler nun, dass sie diesen Totalschaden angerichtet haben, keinen Cent an Prämien. So sieht es die Vereinbarung mit dem DFB vor. Die in ihren Klubs hochdotierten Profis werden es komplikationslos verschmerzen. Die Titelprämie von 350.000 Euro wäre für die meisten bedeutend weniger als ein Netto-Monatsgehalt.
Für den Verband sind die Folgen schmerzlicher. Der Imageschaden ist gewaltig. Der Mythos der Unschlagbarkeit bis hin zum Halbfinale, der in diesem Jahrtausend sorgsam gepflegt worden war, ist dahin. Die Finanzlage ist wegen der noch immer unkalkulierbaren finanziellen Nachwehen der WM-Affäre 2006 mit möglichen Steuernachzahlungen von 19,2 Millionen Euro, Anwaltskosten von jetzt schon kumulierten mehr als acht Millionen Euro und des 150 Millionen Euro teuren Neubaus an der Frankfurter Galopprennbahn angespannt, aber nicht überspannt.
Aus Verbandssicht ist nur gut, dass er die Verträge mit Ausrüster Adidas weitsichtig mit mehr als dem branchenüblichen Aufschlag zeitig verlängert hat und 2019 mit Volkswagen für Mercedes-Benz einen Generalsponsor akquiriert hat, der mit erfolgsabhängig 25 bis 30 Millionen Euro pro Jahr locker gut das Doppelte zahlt.
Auch inhaltlich ist der Verband alles andere als völlig unvorbereitet in diese Krise geraten. Oliver Bierhoff wiederholt seit Jahren gebetsmühlenartig, dass ihm die sportliche Entwicklung Sorgen bereitet. Der 50-Jährige hat das teure und immer wieder stockende Akademieprojekt deshalb unermüdlich vorangetrieben, muss jetzt aber sehr sorgsam darauf achten, dass nicht nur architektonisch, sondern auch inhaltlich Gehaltvolles dabei entsteht.
Kritisch hinterfragen
Unabhängig von den strukturellen und finanziellen Problemen sollten die Verantwortlichen im DFB sich gemeinsam kritisch hinterfragen, warum diese aktuelle deutsche Nationalmannschaft wohl die meisten Menschen nicht in deren Herzen berührt, und warum sie in keineswegs zu vernachlässigenden Teilen der Bevölkerung sogar offene Antipathien hervorruft, wofür keineswegs nur die Spieler Ilkay Gündogan und Mesut Özil verantwortlich zu machen sind.
Es ist ein kompliziertes Feld, die in der modernen Kommunikationsgesellschaft notwendigen Marketingmaßnahmen mit der ebenfalls nötigen Bodenhaftung zu kombinieren. Mit dem Slogan „Best never rest“ haben sich der scheidende Partner Mercedes und die „Mannschaft“ in diesem Jahr demaskiert und bis auf die Knochen blamiert. Es ist tunlichst Zeit für mehr Bescheidenheit.