Es klang seltsam vertraut, was der Bundestrainer bei der Verkündigung des WM-Kaders über Sami Khedira sagte. So, als habe man das alles schon mal gehört. Der Mittelfeldspieler von Real Madrid hätte überaus intensiv an seiner Rückkehr gearbeitet, sagte Joachim Löw, er sei körperlich sicher noch nicht bei hundert Prozent, aber das werde man bis zum WM-Beginn schon hinbekommen und überhaupt sei Khedira wegen seiner Persönlichkeit unverzichtbar für die Mannschaft. Deswegen rücke er in diesem Fall von seinem Grundsatz ab, nur absolut fitte Leute mitzunehmen.
Und in der Tat: Es war keine Sinnestäuschung. Fast wortgleich hatte Joachim Löw vor der EM 2008 die Nominierung des Innenverteidigers Christoph Metzelder nach langer Verletzungspause gerechtfertigt, und vor der EM 2012 hatte er sich nicht viel anders angehört, als es um den formschwachen Rekonvaleszenten Bastian Schweinsteiger ging.
Beide Male schleppte er die betreffenden Spieler durch das Turnier, beide Male ging die Sache gnadenlos schief. 2008 bildete Metzelder mit Per Mertesacker das vom Boulevard als „Schnarch und Schleich“ verspottete Abwehrduo, das bis zum verlorenen Finale gegen Spanien für manche brenzlige Situation verantwortlich war. In der Ukraine und Polen war Schweinsteiger ein permanenter Unsicherheitsfaktor, auch und gerade bei der Halbfinalniederlage gegen Italien. Im Falle Metzelder räumte Löw seine Fehleinschätzung später ein, bei Schweinsteiger hingegen ziert er sich bis heute.
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Weltklasse in Madrid
Nichts gelernt, könnte man also meinen. Doch ganz so ist es nicht. Die Sache mit Khedira liegt ein wenig anders. Der Bundestrainer kann gar nicht umhin, den 25-Jährigen mitzunehmen, solange auch nur die geringste Hoffnung besteht, dass er zu seiner Form findet.
Es ist simpel: Löw braucht Khedira. Der ehemalige Stuttgarter ist in Madrid zu einem Weltklassemann im defensiven Mittelfeld gereift, also genau dort, wo sich eine gefährliche Schwachstelle im deutschen Team befindet.
Löw hat nicht vergessen, wie sein Team in Berlin beim 4:4 gegen Schweden, als Khedira fehlte, am Ende kollabierte. Und ihm ist nicht entgangen, wie Toni Kroos und Schweinsteiger in den Spielen gegen Real Madrid zuletzt die Bälle um die Ohren flogen. Außerdem ist ihm offenbar nach wie vor nicht wohl bei dem Gedanken, Philipp Lahm als Stabilisator ins Mittelfeld zu ziehen. Den Kapitän hätte er lieber als rechten Verteidiger, vor allem im ersten WM-Spiel gegen Portugal, wo dort Cristiano Ronaldo droht.
Die Lösung all dieser Probleme könnte Khedira heißen, der nicht nur als Bollwerk im Mittelfeld taugt, sondern mittlerweile auch als Führungsfigur in kniffligen Situationen. Und Angst, dass er sich mangels Spielpraxis als Schnarch oder Schleich erweist, muss Löw beim robusten Khedira auch nicht haben.