Nach dem EM-Sieg gegen Österreich: „Ich weiß nicht, woher die Energie kommt“
Glück war zwar auch dabei, aber mit dieser Leistung ist den deutschen Fußballerinnen alles zuzutrauen. Erst aber kommt das Halbfinale.

Das Community Stadium von Brentford direkt an der Bahnstation Kew Bridge werden die deutschen Fußballerinnen wohl auf ewig in guter Erinnerung behalten. Weil diese perfekt zu einer Europameisterschat der Frauen passende Spielstätte tief im Westen von London einen Meilenstein in bessere Zeiten markieren könnte: Ein letztes Mal haben hier Kapitänin Alexandra Popp und Kolleginnen nach dem schwer erkämpften Viertelfinalsieg gegen Österreich (2:0) einen ausgiebigen Jubeltanz aufgeführt. Wobei sich die zur Spielerin des Spiels gewählte Klara Bühl über all die Kraft wunderte, die das Team beim Hüpfen und Singen noch aufbrachte, ehe es im Hotel bei Pita-Taschen mit Falafel und Salat wieder ruhiger zuging: „Ich weiß nicht, woher die Energie kommt. Aber es ist irgendwie noch einmal eine andere Muskelgruppe.“
Zuvorderst war es Kopfsache, dass das Ensemble anders als bei der EM 2017 gegen Dänemark (1:2) und der WM 2019 gegen Schweden (1:2) nicht wieder nach einem identischen Muster an dieser Turnierschwelle böse strauchelte. Widerstandskraft und Behauptungswille erzwingen am Ende auch das Spielglück. Nach Aluminiumtreffern hatten die DFB-Frauen ja 2:3 verloren. Dennoch stehen sie mit einer makellosen EM-Bilanz mit vier Siegen ohne Gegentor erstmals seit den Olympischen Spielen 2016 nicht zufällig unter den besten Vier.
Klar, dass Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg nach einem „sehr intensiven Spiel gegen einen sehr hartnäckigen Gegner“ stolz und glücklich war. Letztlich gibt es in den K.o.-Runden von Turnieren keinerlei Schönheitspreise zu gewinnen – das Weiterkommen zählt.
Die 54-Jährige hat bewiesen, dass sie hohe Verbandsvorgaben erfüllen kann. „Wenn ich die Worte von Oliver Bierhoff nehme, dass es unser Anspruch ist, unter die letzten Vier zu kommen bei großen Turnieren, dann haben wir das erst mal geschafft“, sagte sie. „Nichtsdestotrotz wollen wir auch dieses Halbfinale gewinnen, egal, gegen wen es geht. Wir wissen aber auch, dass es der nächste große Schritt wird.“
Am kommenden Mittwoch in Milton Keynes werden entweder Mitfavorit Frankreich oder Titelverteidiger Niederlande der Gegner sein. Alle träumen vom Finale in Wembley am 31. Juli. Wie sich hier eine Begegnung vor riesiger Kulisse gegen England anfühlt, weiß die Stürmerin Bühl noch genau, die beim Freundschaftsspiel am 9. November 2019 kurz vor Schluss das 2:1-Siegtor erzielte. Bevor es zur Wiederauflage des Klassikers kommt, müssen beide freilich erst noch ihr Halbfinale gewinnen.
Tränen auf der Verliererstraße
Die Bundestrainerin fand den Einzug alles in allem „verdient“, Voss-Tecklenburg sagte aber auch: „Kompliment an Österreich.“ Deren Teamchefin Irene Fuhrmann tröstete sich damit, „gegen ein absolutes Weltklasseteam“ verloren zu haben. Letztlich brachten individuelle Fehler von Kapitänin Carina Wenninger (ließ sich von Bühl vor dem 0:1 durch Lina Magull den Ball abluchsen) und Keeperin Manuela Zinsberger (schoss zum 0:2 die heranstürmende Popp an) den tapferen Außenseiter auf die Verliererstraße. Während sich die deutsche Torschützin diebisch freute („Jeder hat gedacht, dass wir nichts reißen, jetzt stehen wir im Halbfinale“), rollten der österreichischen Torhüterin („Das Turnier ist für uns vorbei, schwer für uns zu akzeptieren“) unentwegt Tränen über die Wangen.
Von einem „dreckigen Sieg“ sprach ihr Gegenüber Merle Frohms, die trotz erster kleiner Wackler und dank Pfosten und Latte weiter ihre weiße Weste bewahrte. „Wir haben gerade ein Weltklasseteam“, sagte die 27-Jährige, der Tobias Haupt, der DFB-Akademieleiter und ehemaliger Torwart, in diesem Turnier eine „Weltklasseleistung“ attestierte. Auf demselben Level ist auch Lena Oberdorf unterwegs, die dem robusten Gegner in jeder Phase mit ihrer entschlossenen Zweikampfführung die Stirn bot. Die Defensivlust einer 20-Jährigen illustriert den größten Wandel im DFB-Ensemble, dass sich von einer bisweilen launigen Spielmacherin Dzsenifer Marozsan (Kreuzbandriss) völlig emanzipiert hat.

Generalsekretärin Heike Ullrich war sich als Augenzeugin am Donnerstagabend sicher, dass dieser Erfolg „keine Eintagsfliege“ bleiben wird. Denn: „Dieses Team kommt in einer besonderen Art und Weise mit ganz unterschiedlichen Widerständen klar.“ Dazu gehörte auch der Umgang mit der Hiobsbotschaft vom Tod Uwe Seelers. Voss-Tecklenburg sprach offen über die Verbindungen zur verstorbenen Ikone des deutschen Fußballs. Sie habe das Glück gehabt, Seeler und seine Familie mehrfach zu treffen. „Und wir haben mit unserem Physiotherapeuten Kristof Meyer jemanden im Staff, der sehr eng mit ihm in Hamburg zusammengearbeitet hat.“
Die Nachricht von Seelers Ableben sei direkt nach einer Besprechung eingetroffen – und es sei danach nicht ganz einfach gewesen, „den Fokus aufs Spiel zurückzugewinnen“. Die Bundestrainerin schaffte in der Pressekonferenz eine angemessene Einordnung von zwei emotionalen Ereignissen: „Mein Beileid gilt der Familie, meinen großen Respekt für Uwe Seeler, der nicht nur ein fantastischer Fußballer, sondern auch ein fantastischer Mensch war. Von daher war es ein besonderer Tag, mit einer traurigen Nachricht, aber auch mit dem Wissen, vielleicht haben wir auch ein Stück weit ihm trotzdem noch Freude bereiten können.“ Ein besseres Schlusswort hätte es in dieser Nacht nicht geben können.