Nachruf auf Niki Lauda: Eine Formel-1-Legende, die ihre Grenzen suchte

Die Hölle gibt es als Film, acht Millimeter, etwas krisselig, immerhin aber in Farbe und im Internet abrufbar. Ein Teil des Nürburgrings ist darauf zu sehen. Hinten im Tal Häuser, ein Dorf, davor eine Kurve durch dichtes Grün. Ein Rennwagen braust heran, wie sie in den Siebzigern in der Formel 1 unterwegs sind. Ein zweiter folgt, schlingert, verschwindet für Bruchteile von Sekunden hinter einer Hecke aus dem Blickfeld, taucht als Feuerball wieder auf, der Brocken ausspeit. Ist das ein Rad? Und das? Ein Heckflügel? Der Feuerball dreht sich wie ein Silvesterkracher auf Asphalt. Schnitt!

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Es ist der 1. August 1976, als ein Amateurfilmer von einer Böschung aus seine Kamera auf die Nordschleife des Nürburgrings richtet und auch draufbleibt, als drei Männer in Overalls und mit Integralhelmen hilflos ums brennende Wrack laufen. Ein weiterer Rennwagen hält, der Fahrer springt heraus. Es scheint eine Ewigkeit zu vergehen, bis der Pilot befreit ist: Niki Lauda, kaum zu glauben, dass er diesen Unfall überlebt. 55 Sekunden war er in dem Wrack gefangen, bei 800 Grad Hitze. Und dann dieses Wunder!

Am Montag ist Niki Lauda im Alter von 70 Jahren gestorben. Das bestätigte sein Arzt Walter Klepetko am frühen Dienstagmorgen der Deutschen Presse-Agentur. Eine Sprecherin der Fluggesellschaft Laudamotion deren Namensgeber Niki Lauda ist, schrieb im Namen der Familie: "In tiefer Trauer geben wir bekannt, dass unser geliebter Niki am Montag, den 20.05.2019 im Kreise seiner Familie friedlich entschlafen ist. Seine einzigartigen Erfolge als Sportler und Unternehmer sind und bleiben unvergesslich."

Es war vor allem jene Szene auf dem Nürburgring, diese Geschichte vom Wunder in der Grünen Hölle, die man sich mal wieder erzählt. Vielleicht weil sie den Menschen Niki Lauda gut beschreibt und den alltäglichen Irrsinn, den der Profisport zum Programm hat. Der sich im Automobilsport verdichtet, dieser buchstäblichen Raserei mit dem Leben des Athleten als Grenzwert.

Das bleibt für immer die Geschichte des Niki Lauda, bei allem, was er vor und nach jenem 1. August getan und gesagt, geleistet und gelitten hat: seine erste Weltmeisterschaft 1975, die zweite 1977, sein Rücktritt 1979 während des Trainings zum Grand Prix von Kanada. „Ich will nicht mehr im Kreis fahren“, erklärte Lauda damals und tat es dann doch wieder, von 1982 an drei Jahre lang. Oder Laudas Karriere als Unternehmer: seine Fluglinien, Lauda Air, 1979 gegründet und 2000 komplett von Australian Airlines übernommen. Schließlich Niki, das Hin und Her mit Air Berlin, dem Rückkauf im vergangenen Jahr und die Eingliederung in seine Firma Laudamotion.

Das geschah etwa zu der Zeit, als Lauda schwer erkrankte. Die Diagnose lautete Hämorrhagische Alveolitis und die Konsequenz: Transplantation der Lunge. Im Januar verschlechterte sich sein Zustand. Wieder musste er einige Tage in einer Wiener Klinik behandelt werden.

Laudas Lunge hat giftige Dämpfe in jenen 55 infernalischen Sekunden abbekommen. An die 200 Liter Benzin gingen in Rauch auf. Der Tank hatte dem Aufprall nicht standgehalten, wie auch, bei einer Geschwindigkeit von 220 km/h? Die drei, die um den Wagen liefen, waren Brett Lunger, Harald Ertl und Guy Edwards, Niki Laudas Fahrerkollegen. Sie verzweifelten, weil sie den Sicherheitsgurt nicht öffnen konnten. Erst der herbeigeeilte Arturo Merzario, dieser kleine, quirlige Pilot, bekam Niki Lauda frei. Der schrie, schrie in seinen Helm hinein, dass man es durch die Flammen bis nach draußen hörte.

Merzario und eine Heldentat

Der Süddeutschen Zeitung hat Lauda später erzählt: „Er allein hat es geschafft, mein Gurtschloss zu öffnen, und dann hat er mich da rausgehoben. Er sagt, ich sei leicht wie eine Feder gewesen, aber das ist schön gesagt, ich habe 67,68 Kilo gewogen, ich war keine Feder, er hat übermenschliche Kräfte entwickelt in dem Feuer.“

Merzario beatmete Lauda, massierte dessen Herz, obwohl er selbst Verbrennungen an den Händen hatte, die für immer sichtbar bleiben sollten. Merzario brachte den Kollegen durch, bis der Notarzt kam. Lauda fiel ins Koma, sein Zustand war kritisch, die Prognose schlecht. Doch dann erholte er sich derart schnell, dass auch das an ein Wunder grenzte. 41 Tage später rollte er in Monza mit einem Ferrari 312T2 an den Start. Auch davon gibt es im Internet ein Amateurvideo. Die Kamera schwenkt über Boliden, über auflackierte Fahrernamen: James Hunt, Jochen Maas. Niki Lauda kommt ins Bild. Seine Haut ist gerötet. Blutig? Um die Augen sind Ringe zu erkennen, dort, wo die Sturmhaube Gucklöcher gelassen hatte.

Niki Laudas Angst in Monza

Was man nicht sieht, ist die Angst. „Ich also am Freitag das erste Mal wieder raus auf die Strecke, schalte in den zweiten Gang“, hat Lauda vor ein paar Jahren mal erzählt: „In dem Moment habe ich beinahe in die Hose geschissen.“ Lauda rollte in die Box, zog sich ins Hotelzimmer zurück – und kam wieder.

„Der Druck, Druck, Druck.“ So hat Lauda den Moment in Monza umschrieben und damit erklärt, warum er vergaß, sich bei seinem Retter zu bedanken. Für Merzario war er „damals ein Arsch“. Doch sie haben Frieden geschlossen. Die Rolex, die ihm Lauda eine Woche später in Salzburg schenkte, die er für die Pole Position in Monte Carlo bekommen hatte: eine Luxusuhr im doppelten Sinne, weil sie an ein seltenes Gut in einem egozentrischen Berufssport wie der Formel 1 erinnert. Eines, das manchmal Zeit und Einsicht braucht, um zu reifen: Freundschaft.

Der Mensch benötigt eben Impulse. Das hat Niki Lauda neulich gesagt: „Wenn schlimme Dinge passieren, dann musst du dir neue Ziele setzen.“ Er sprach über seine Lungenkrankheit, aber es war der Satz zu seinem Leben.