NHL-Eishockey: Kanada vor dem Ende eines Fluchs
Im kanadischen Englisch bezeichnet der Begriff „hoser“ in der Regel einen nicht ganz hellen Kopf; im Eishockey, dem kanadischen Nationalsport, aber auch gerne mal den Verlierer. In den vergangenen Jahren aber nutzten US-Amerikaner diese Verunglimpfung, um sich über die nördlichen Nachbarn lustig zu machen, besonders auf dem Eis. Denn seit über 15 Jahren haben die kanadischen Teams in der NHL so gar nichts mehr gerissen. Den Stanley Cup, den wichtigsten Eishockeytitel, gewannen die Montréal Canadiens zuletzt in der Saison 1992/93.
Doch einen Monat nach dem Saisonstart zeigen sechs der sieben kanadischen Teams in der NHL derart beeindruckende Leistungen, dass sich eine ganze verbitterte Hockey-Nation ernsthafte Hoffnungen auf ein Ende der Durststrecke machen kann. Und der kolossale Aufschwung kommt nicht von ungefähr, denn sich ihrer historischen Bedeutung bewusst, haben alle Teams aus dem großen, weißen Norden in den vergangenen Jahren massiv darauf hingearbeitet – wenn auch unter unterschiedlichen Vorzeichen.
Pettersson beerbt die Sedins
Als Topkandidat für ein Titel-Comeback galten lange die Edmonton Oilers. In den Jahren 2013 und 2014 sicherte sich das Team aus Alberta mit Leon Draisaitl den besten Spieler Deutschlands und mit Connor McDavid den weltweit talentiertesten Crack im Draft. Zuletzt hatten sie aber eine extrem schwache Saison zu verdauen, in der die Offensive um die beiden Weltklassespieler nicht über die schwache Defensive hinwegtäuschen konnte. Doch die Oilers bewiesen Geduld, nach den ersten Spielen der noch jungen Saison zeigt sich das Team defensiv deutlich sicherer und kassiert im Schnitt nur knapp über drei Tore − gehobener Liga-Durchschnitt.
Vor den Oilers haben sich mit den Vancouver Canucks und den Calgary Flames zuletzt zwei Überraschungsteams etabliert. In Vancouver hatten viele damit gerechnet, dass der schrittweise Neuaufbau der Mannschaft nach dem Karriereende der Sedin-Zwillinge Henrik und Daniel, die Anfang 2018 ihre Schlittschuhe an den Nagel hingen, weitaus länger dauern würde. Doch ein 19 Jahre junger Rookie aus Schweden wirbelte das Team zuletzt auf. In nur zehn Spielen gelangen Elias Pettersson zehn Tore und sechs Vorlagen. Der Schwede zieht so alle Aufmerksamkeit auf sich, während sich das Team geschlossen weiterentwickelt.
Auch Calgary, einst ein klassisches Mittelklasseteam, kann mit einem Elias punkten: Elias Lindholm, Zugang aus Carolina, erweist sich mit bis dato 18 Scorerpunkten als perfekte Ergänzung. Vor ihm legen sich mit Matthew Tkachuk (18 Punkte), Sean Monahan (18) und Johnny Gaudreau (19) drei Stürmer die Treffer gegenseitig auf. Die Winnipeg Jets um Starstürmer Patrik Laine und Torwart Connor Hellebuyck zählten hingegen als letztjähriger Play-off-Halbfinalist ohnehin zum Favoritenkreis um den Titel.
Überraschung Tavares
Doch nicht nur im Westen schicken sich die kanadischen Teams an, den „hoser“-Status abzulegen. Auch im Osten etablierten sich zuletzt zwei der drei Teams aus dem Mutterland des Eishockeys in der Spitzengruppe. Der Aufschwung der Toronto Maple Leafs und der Montréal Canadiens ist dabei durchaus überraschend.
In der Saisonvorbereitung wurde den Leafs wegen der millionenschweren Verpflichtung des inkonstanten John Tavares (zuvor New York Islanders) noch vorgeworfen, sie hätten ihre unmittelbare Zukunft verkauft. Seit dessen Verpflichtung blühte Torontos bisheriger Superstar Auston Matthews, erster Pick im Draft 2015 aber so richtig auf und brach zu Saisonbeginn zahlreiche Scoringrekorde, ehe er sich verletzte. In seiner Abwesenheit übernahmen Tavares und Verteidiger Morgan Rielly die Verantwortung. Rielly ist mit 18 Punkten aktuell offensiv der zweitbeste Verteidiger der Liga.
Dass die Montréal Canadiens in absehbarer Zeit erfolgreiches Eishockey spielen würden, schien vor einigen Wochen schier utopisch. Schon in der Vorsaison gehörten die Habs zu den schlechtesten Teams der NHL, verpflichteten allerdings in der Sommerpause mit Max Domi und Tomas Tatar zwei echte Volltreffer.
Doch selbst wenn dieser Status für die Teams aus Kanada nur ein temporärer ist – immerhin dauert die Saison noch sechs Monate – ist klar, dass alle Teams akribisch auf das ganz große Erfolgserlebnis hinarbeiten, so dass der Fluch der „hoser“ in naher Zukunft fallen dürfte.