Rudern Doppel-Vierer: Rache am Schicksal

Hochgeschwindigkeitsrudern über zwei Kilometer hatten die vier jungen Männer absolviert, dann liefen sie die Böschung zu den Fernseh- und Presseleuten hinauf. Und zum Schluss reichte die Luft zumindest beim Sportsoldaten Philipp Wende noch, um ansatzlos und aus dem Stand eine hüfthohe Balustrade zu überqueren, die ihn von seinen jubelnden Freunden und Kollegen trennte.

Es ist nicht auszuschließen, dass dieses Quartett des Deutschen Ruderverbands (DRV) auch beim olympischen Hochsprung der Leichtathleten eine passable Figur abgegeben hätte. Aber am Freitag hat es sich auf seine Kernaufgabe konzentriert und die olympische Goldmedaille im Doppelvierer gewonnen.

Die Synchronität hat zum Erfolg geführt

Es war eines jener seltenen Rennen, bei denen von Beginn an zu spüren ist, dass alles reibungslos funktioniert, erzählten sie später. Kaum ein Wort fiel auf der Strecke zwischen Karl Schulze (Dresden), Philipp Wende (Wurzen), Lauritz Schoof (Rendsburg) und Tim Grohmann (Dresden): Die Ruderblätter griffen synchron ins Wasser, das Boot glitt pfeilschnell voran. Nur 500 Meter vor dem Ziel, als der Schlussspurt begann, brüllte der 24-jährige Bundespolizist Schulze: „Schmerz annehmen und durchziehen.“ Aber da wussten sie, dass sie eine Bootslänge Vorsprung hatten und weder von den Kroaten noch von Weltmeister Australien mehr abzufangen waren.

„Was sie physisch können, haben sie umgesetzt. Die Synchronität hat zum Erfolg geführt“, bemerkte Cheftrainer Hartmut Buschbacher mit Nüchternheit, die im Moment des Triumphes nur Leistungsdiagnostiker zuwege bringen. Und außerdem, so fügte er an, „wurde das Malheur von Bled vermieden, weil der Kollege auf Nummer drei sauber gerudert ist.“

Die WM 2011 in Bled (Slowenien) ist für den Doppelvierer in etwa das, was Córdoba für die DFB-Fußballer und Waterloo für Napoleon war: ein ziemliches Desaster. Denn in Bled lag das Boot ebenfalls in Führung. Nur wenige Meter trennten es noch vom Ziel, als das Ruderblatt von Lauritz Schoof, eben jenem unglücklichen Athleten an Nummer drei im Boot, im Wasser hängenblieb. Die Fahrt wurde abrupt gebremst, das Boot schlingerte, so dass Australien noch vorbeiziehen konnte.

Es war der Moment, in dem den großen, kräftigen Modellathleten die Tränen in die Augen stiegen.

„Das war die Revanche“

Angeblich hat die Crew von Schlagmann Grohmann am Freitag keine Sekunde lang an diese Ungeschicklichkeit gedacht. Aber wer hörte, wie oft sie nach dem Triumph auf dem Dorney Lake in der Nähe von Windsor das Örtchen Bled erwähnten, der wusste, dass sie Rache an ihrem eigenen Schicksal genommen hatten.

„Wir haben das alles zusammen im letzten Jahr besprochen und dann gemeinsam abgehakt“, erzählte Philipp Wende: „In der ersten Stunde hat es sehr geschmerzt, aber dann war es vergessen. Wir hatten keine große Sorge, dass das wieder passiert.“ Lauritz Schoof gab zumindest zu, dass er beim olympischen Schlussspurt diesmal alle Emotionen zu verdrängen versuchte, „weil das im vergangenen Jahr vielleicht mit reingespielt hat“. Für Schulze war klar: „Das war die Revanche.“

Die Renntaktik war darauf ausgelegt, von Beginn an einen Vorsprung herauszurudern. Denn zu befürchten stand, dass die Kroaten im dritten Streckenviertel ihre Höchstgeschwindigkeit erreichen und den Rest der Flotte in ihrem Kielwasser zurücklassen würden. „Die haben uns schon oft düpiert“, sagte Trainer Buschbacher. Doch dem gefürchteten Rivalen fehlte der Rhythmus, wie der Kroate Damir Martin bekannte: „Die waren einfach zu schnell.“

Das nächste Ziel schon im Auge

Der DRV, so viel steht jetzt schon fest, wird das idyllisch gelegene Ruderzentrum in der Grafschaft Buckinghamshire, das zur Internatsschule von Eton gehört, in guter Erinnerung behalten. Gold für den Männer-Achter, Gold für den Männer-Doppelvierer und Silber für den Frauen-Doppelvierer ist eine glänzende Ausbeute für den Verband. Und die glorreichen Vier vom Freitag haben bereits angekündigt, dass sie schon das nächste Ziel im Auge haben. Rio, so befanden Karl Schulze, Philipp Wende, Lauritz Schoof und Tim Grohmann, sei 2016 garantiert eine Reise wert.

Ob Marcel Hacker, der 35-jährige Rudersolist, ebenfalls so weit vorausplant, das ist nach seinem Rennen am Freitag ungewiss. Der frühere Weltmeister kam als Sechster und Letzter im Einer-Finale ins Ziel. „Ich habe die letzten vier Jahre erfolgreich abgeschlossen“, sagte Hacker, ließ seine Zukunft aber offen. Nach Luftsprüngen, wie seinen jungen Vierer-Kollegen, stand ihm jedenfalls nicht der Sinn.