Schuldlos verkörpert Nolan Seegert die Misere im deutschen Eiskunstlauf
Die deutschen Eiskunstläufer spielen erwartungsgemäß nur eine Statistenrolle. Und auch die Perspektiven sind düster.

Berlin-Maßlos enttäuscht, völlig erschöpft, aber irgendwie auch erleichtert: Der todtraurig in der Tränenecke hockende Paarläufer Nolan Seegert verkörperte schuldlos und drastisch zugleich die olympische Gesamtleistung der deutschen Eiskunstläufer in Peking. Der dreimalige deutsche Meister hatte noch die plausibelste Erklärung für seinen Einbruch bei der Medaillenentscheidung im Capital Indoor Stadium. Neun Tage Corona-Quarantäne, nur fünf gemeinsame Trainingstage mit Partnerin Minerva Hase – physisch wie psychisch war der Sportsoldat nicht in der Lage, eine vierminütige Kür durchzustehen.
„Es war sehr schwer. Und irgendwann ging es nicht mehr weiter“, sagte der 29-Jährige. Seegert war es dabei hoch anzurechnen, dass er die punkteträchtigen Hebungen so rechtzeitig abbrach, dass seine sieben Jahre jüngere Partnerin nicht in Gefahr geriet. „Es war einfach nur ein Kampf, und ich bin wirklich stolz darauf, wie Nolan sich durch dieses Programm gekämpft hat. Wir waren fertig, einfach nur fertig“, sagte Hase. Tröstend hatte die Sportsoldatin zuvor ihren Kopf an Seegerts Schulter gelegt und aufmunternd seine Hand gestreichelt.
Nolan Seegert muss zwei Hebefiguren abbrechen
Von der ersten Sekunde an fand Sportsoldat Seegert nicht in das Programm. Er ließ die Sprungkombination aus und sprang den dreifachen Salchow nur doppelt statt dreifach. Dramatisch wurde es gegen Ende der Kür: Zwei Hebefiguren musste Seegert abbrechen, um seine sieben Jahre jüngere Partnerin nicht zu gefährden. Durch das Kurzprogramm am Freitag war das Duo noch mit einer soliden Leistung gekommen. Doch 24 Stunden später forderten die Quarantäne und eine verkürzte Vorbereitungszeit von nur fünf Tagen bis zum Wettkampfauftakt ihren Tribut. „Diese Olympischen Spiele waren eine Achterbahnfahrt mit mehr Tiefs als Höhen“, schrieb Hase unter zwei Bilder, auf denen das Berliner Eiskunstlaufpaar zu sehen war, später auf ihrem Instagram-Account und bedankte sich für alle aufmunternden Worte in den Tagen zuvor.
Unabhängig von der Corona-Erkrankung Seegerts war das Paar bereits im Vorfeld der Winterspiele international unter seinen Möglichkeiten geblieben. Bei den Europameisterschaften im Januar in Tallinn reichte es nur zu Rang acht. Dennoch träumte das überwiegend in Sotschi trainierende Paar bei Olympia von einer Top-Ten-Platzierung. Vergeblich. In der mit Abstand verletzungsintensivsten Eiskunstlauf-Disziplin konnten die Berliner am Ende froh sein, dass niemand zu Schaden kam. Nur: Damit war auch die einzige realistische Chance für die Deutsche Eislauf-Union (DEU) auf eine Top-Ten-Platzierung dahin. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der 16. Platz für das Berliner Paar immer noch besser war als Rang 17 für die deutsche Meisterin Nicole Schott aus Essen.
Als 21. erreichten die Dortmunder Eistänzer Katharina Müller und Tim Dieck nicht einmal das Kürfinale. Die Männer-Konkurrenz fand sogar gänzlich ohne deutsche Beteiligung statt. Und nur, falls das russische Team um die des Dopings verdächtigte Kamila Walijewa nachträglich im Mannschaftswettbewerb gesperrt werden sollte, rückt die DEU-Auswahl noch auf einen achten Platz vor, der wichtige Gelder für den nächsten olympischen Zyklus sichern würde.
Aljona Savchenko leidet mit Nolan Seegert und Minerva Hase
Paarlauf-Olympiasiegerin Aljona Savchenko, die in den vergangenen 16 Jahren mit ihren Leistungen maßgeblichen Anteil an der finanziellen Förderung für die DEU hatte, saß diesmal nur in Deutschland im TV-Studio, drückte vergeblich die Daumen und sprach Seegert bei Eurosport Trost zu: „Man konnte sehen, wie erschöpft Nolan war. Er hat es probiert, aber er konnte auch nicht zaubern.“ Dennoch sind die Perspektiven für Hase/Seegert grundsätzlich nicht die schlechtesten. „Der Paarlauf bleibt unsere Königsdisziplin“, sagte DEU-Vizepräsident Reinhard Ketterer.
Leise Hoffnungen setzt man bei den Männern auf Nikita Starostin (19). Der gebürtige Russe, der seit mehreren Jahren in Deutschland lebt, landete schon bei seinem EM-Debüt im Januar in Tallinn auf dem 13. Platz und wird bei den Weltmeisterschaften im März in Montpellier anstelle von Paul Fentz zum Einsatz kommen.