Sechste Goldmedaille im Eiskanal: Pilotin Hannah Neise und ihre Selleriekur

Selbst die Funktionäre des deutschen Bob- und Schlittenverbandes staunen über die bisherige Medaillenausbeute in Peking – und freuen sich über mehr Fördergeld.

Skeleton-Pilotin Hannah Neise machte für den Deutschen Bob- und Schlittenverband den sechsten Sieg im sechsten Rennen klar.
Skeleton-Pilotin Hannah Neise machte für den Deutschen Bob- und Schlittenverband den sechsten Sieg im sechsten Rennen klar.Imago/Jiang Wenyao

Peking - Hannah Neise blickte mit aufgerissenen Augen hinunter auf ihre Goldmedaille. „Mega“, entfuhr es der ersten deutschen Olympiasiegerin im Skeleton, richtig realisieren konnte die erst 21-Jährige ihren historischen Triumph nicht. Und auch die Verbandsspitze schaut so verblüfft wie begeistert auf die deutsche Dominanz im Eiskanal.

„Ich bin ja nun schon lange dabei, aber das habe ich noch nie erlebt“, sagte Thomas Schwab, Vorstandschef und Sportdirektor im Bob- und Schlittenverband für Deutschland (BSD). Sechs Rennen, sechs Siege – nach den vier Goldmedaillen der Rodler setzte Neise die deutschen Festspiele im Sliding Centre im Skeleton fort.

Mit ihrem Triumph am Sonnabend trug die ehemalige Juniorenweltmeisterin zu einem historisch guten Abschneiden in der kleinsten Schlittensportart bei, drei der sechs Skeleton-Medaillen gingen an den deutschen Verband. Christopher Grotheer hatte am Vortag einen Doppelsieg vor Axel Jungk angeführt.

In der Nacht nach ihrem Olympiasieg feierte Neise. „Ich bin erst nach sechs Uhr ins Bett. Ich denke, das ist verständlich“, sagte sie. Der Weg zum Triumph hatte sie viele Nerven gekostet. Erst drei Wochen vor Beginn der Winterspiele hatte Neise durch einen achten Platz im Weltcup von St. Moritz die Qualifikation gepackt. Am nächsten Morgen wurde sie positiv auf das Coronavirus getestet. „Da ist für mich eine Welt untergegangen. Aber ich habe schnell gelernt, damit umzugehen“, sagte die Sauerländerin. Um halbwegs fit zu bleiben, hat sie ihren Körper mit Vitaminen vollgepumpt. „Ich habe jeden Morgen Selleriesaft getrunken. Das werde ich sicher nicht noch einmal machen.“

Hannah Neise jubelt im Nationalen Schlittenzentrum in Yanqing.
Hannah Neise jubelt im Nationalen Schlittenzentrum in Yanqing.Imago/Yao Jianfeng

Bisher stand das Skeleton-Team immer im Schatten der Rodler und Bobfahrer. Sie waren die, die zwar Weltmeisterschaften gewannen, bei Olympia aber nie richtig ablieferten. Nun stellt man in Grotheer und Neise beide Olympiasieger, darf sich über einen größeren Fördertopf freuen. „Erst wenn wir nach Hause fliegen, ein paar Tage vergangen sind, dann werden wir erst realisieren, was uns hier gerade gelungen ist“, sagte Cheftrainer Christian Baude.

Vor allem mit Neise hat Baude große Pläne. „Wenn sie etwas möchte, dann drückt sie das durch. Das Ziel ist nun Olympia in vier Jahren, da wollen wir den Titel verteidigen“, sagte der 39-Jährige. Man könne jetzt die Sportler durch die erhöhte Förderung noch besser ausbilden und wolle die Leistungen in den Weltcups bestätigen.

Neise fehlte eine Unterschrift in Englisch

Dass das Sauerland in Neise überhaupt eine Olympiasiegerin stellt, hat viel mit einer Englischstunde vor etwa zehn Jahren zu tun. „Ich war in der siebten Klasse und in der Schule hat man nach Talenten gesucht. Dafür musste man 20 Kilometer nach Winterberg fahren“, berichtete Neise. „Da habe ich gesagt, dass ich gerne mit würde, weil mir für Englisch eine Unterschrift fehlte und ich die unangenehme Situation vermeiden wollte. Da habe ich mich da reingedrängt.“ Nun fuhr Neise mit Bahnrekord zum Sieg vor der Australierin Jaclyn Narracott.

Die bisherige Bilanz mit bislang neun Medaillen ist für den Schlittenverband außergewöhnlich, und die Bob-Wettkämpfe mit Francesco Friedrich kommen ja erst noch. Bei Olympia passt einfach viel zusammen. „Ich bin selbst überrascht, dass wir es so genau getroffen haben. Beispiel Rodeln: Wir haben seit zwei Jahren keinen so erfolgreichen Wettkampf gefahren wie hier bei Olympia“, sagte Schwab.

Staatlich geförderte Entwicklung der Sportgeräte

Die Fahrer profitieren im BSD von gefestigten Strukturen und einer Förderung, die im internationalen Vergleich ihresgleichen sucht. Vor allem das Material, wo Deutschland mit dem staatlich geförderten Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) einen Riesenvorteil besitzt, läuft in China ausgezeichnet.

Dass Schwab als Teil der Bahnkommission des Weltverbandes IBSF den Bau des olympischen Eiskanals mit begleitete, sei eher nebensächlich für den Erfolg. „Natürlich haben wir ein bisschen Einfluss auf die Schwierigkeit der Bahn, aber solche Entscheidungen treffe ich ja nicht allein“, versicherte Schwab, der vor allem in puncto Sicherheitsfragen berät.