Der Schach-Thriller zwischen Magnus Carlsen und Hans Niemann ist längst auch zu einem Boulevard-Spektakel geworden. Das sonst für manche Beobachter angestaubt wirkende Spiel der Könige gewinnt immer mehr an Hollywood-Format. Es geht um zwei gegensätzliche Großmeister, neue Betrugsvorwürfe, viel Empörung – und sogar Spekulationen über vibrierendes Sexspielzeug.
Im Mittelpunkt stehen zwei ziemlich geniale Spieler. Auf der einen Seite Carlsen, 31, Norweger, so was wie ein Popstar am Brett. Auf der anderen Seite Niemann, 19, US-Amerikaner, so was wie ein Querkopf am Brett.
Carlsen wirft Niemann Betrug vor
Carlsen wirft Niemann Betrug vor. „Ich glaube, dass Betrug im Schach eine große Sache und existenzielle Bedrohung für das Spiel ist. Ich glaube auch, dass Schachorganisatoren und all jene, denen die Heiligkeit des Spiels, das wir so lieben, am Herzen liegt, ernsthaft darüber nachdenken sollten, die Sicherheitsmaßnahmen und Methoden zur Erkennung von Betrügern beim Schachspiel am Brett zu erhöhen“, schrieb Carlsen unlängst in einer Art Zusammenfassung seiner Eindrücke der vergangenen Wochen.
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Und dann zielte er in Richtung des US-Amerikaners: „Ich glaube, dass Niemann – auch in letzter Zeit – mehr betrogen hat, als er öffentlich zugegeben hat.“ Anfang September war es zum ersten Vorfall zwischen beiden Großmeistern gekommen. Beim Sinquefield Cup in St. Louis verlor der Superstar überraschend gegen Niemann und zog sich erstmals in seiner Karriere von einem Turnier zurück. Gründe nannte der Norweger damals nicht.
Die Schachszene deutete Carlsens Ausstieg als Betrugsvorwurf gegen Niemann. Aber wie soll das der Aufsteiger der Szene angestellt haben? Hier übernahm auch das Internet mit seinem Potenzial für fantasievolle Spekulationen. Es wäre ja möglich, durch Analkugeln Signale, also vibrierender Art, zu empfangen. So könne man die weiteren Züge planen. Niemann ging in die Offensive. „Wenn sie wollen, dass ich mich komplett nackt ausziehe, werde ich es tun“, kündigte er an.
Niemann gibt Betrug als Teenager zu
Niemann gab während des Sinquefield Cups in einem Interview dann aber zu, zweimal als Teenager im Alter von zwölf und 16 Jahren bei Online-Partien betrogen zu haben, nie jedoch in Präsenz am Schachbrett. Zudem soll Niemann angeblich sogar in mehr als 100 Online-Partien betrogen haben. Das geht aus einem Untersuchungsbericht des Portals chess.com hervor, über das das Wall Street Journal (WSJ) am Dienstag berichtete. Niemann soll demnach um ein Vielfaches häufiger betrogen haben als bei den zwei Gelegenheiten, die er selbst eingeräumt hatte.
Nach Angaben des WSJ hat Niemann die Anschuldigungen in dem Bericht zugegeben und wurde für einige Zeit von der sowohl bei Amateuren wie auch Schachgroßmeistern beliebten Seite ausgeschlossen. Den Angaben zufolge hat Niemann zuletzt 2020 betrogen und das auch bei Turnieren, in denen es um Preisgelder ging. Der Schach-Weltverband hat in der vergangenen Woche bekannt gegeben, dass er eine Untersuchungskommission einsetzen wird. Dieser Thriller dürfte also mindestens eine weitere Folge bekommen.