Titelverteidiger Karl Geiger und die Medaillenjagd auf dem Monsterbakken
Großereignisse ohne deutsche Medaillen gab es zuletzt kaum noch. Bei der Flug-WM gilt für Geiger und Kumpel Eisenbichler die Devise: alles auf Gold!

Berlin-Die vergangene Flug-Weltmeisterschaft wird Karl Geiger nie mehr vergessen. In den wohl turbulentesten 72 Stunden seines Lebens gewann der Allgäuer erst Gold im Einzel und dann Silber im Team, bevor er das slowenische Planica fluchtartig verließ und mit dem Auto durch die Alpen gen Heimat brauste. Schon am nächsten Morgen brachte seine Frau Franziska die gemeinsame Tochter Luisa zur Welt, der Skispringer war tatsächlich rechtzeitig nach Hause gekommen. „Das war dann wohl diese perfekte Woche, von der immer erzählt wird!“, resümierte Geiger.
So aufwühlend und stressig dürfte die nächste Flug-WM an diesem Wochenende für Geiger zwar nicht werden. Die Kombination aus Titelverteidigung, Skifliegen und Rekordjagd auf der größten Anlage der Welt löst bei dem 29-Jährigen aber trotzdem ein wohliges Gefühl der Vorfreude aus. „Als Titelverteidiger war ich auch noch nirgendwo unterwegs“, sagte Geiger über die am Donnerstag beginnende viertägige WM im norwegischen Vikersund, die er von der Bedeutung explizit nicht niedriger als die Vierschanzentournee oder Olympia in Peking werten möchte.
Alle fünf deutschen Springer qualifizieren sich für den Wettkampf
Neben Geiger sind auch Markus Eisenbichler, Severin Freund, Andreas Wellinger, Stephan Leyhe und Constantin Schmid von Bundestrainer Stefan Horngacher nominiert worden. „Die Stimmung ist gut, wir alle freuen uns aufs Skifliegen, auf die Herausforderung in der Königsklasse des Skispringens, und hoffen dabei auf stabiles Wetter“, sagte Horngacher.
Für Pius Paschke, der zuletzt bei der Raw-Air-Tour schon nicht mehr berücksichtigt wurde, reichte es nicht für einen Platz im Aufgebot. Von den sechs Athleten durften fünf am Donnerstag in der Qualifikation an den Start gehen. Unter den Augen von Stefan Leyhe, der im Training aussortiert wurde, konnten sich diese fünf Springer auch für den Wettkampf qualifizieren. Mit Geiger, Schmid und Wellinger landeten drei Deutsche unter den besten zehn der Qualifikation. Auch Eisenbichler und Freund konnten sich problemlos qualifizieren. „Die Jungs haben sich auf der Schanze gut eingeflogen, wir müssen aber noch ein paar Meter finden“, sagte Bundestrainer Stefan Horngacher nach der Qualifikation auf dem großen Bakken.
Titelverteidiger Geiger sagte über die größte Anlage der Welt: „Es ist zwar eine schwierige Schanze, auf der ich schon sowohl sehr gut als auch sehr schlecht geflogen bin. Wenn man aber ins Fliegen kommt, gibt es kaum eine Schanze, auf der es so viel Spaß macht wie auf dieser.“ Er und Kumpel Markus Eisenbichler haben in diesem vollgepackten Winter eine stattliche Bilanz: Vierter und Fünfter bei der heimischen Tournee, zwei Bronzemedaillen bei den Winterspielen in China, zuletzt folgte Geigers zweiter Rang bei der hochdotierten Raw-Air-Tour in Norwegen. Auch im Gesamtweltcup ist Geiger derzeit Zweiter, weil der herausragende Japaner Ryoyu Kobayashi oft noch einen Tick besser springt.
Nur ein Gold-Coup, wie er Tüftler Geiger in Planica im Dezember 2020 gelang, will diese Saison bislang nicht klappen. Für Vikersund gelten die Spezialisten Geiger und Eisenbichler aber als heiße Kandidaten für den Titel. Im Team gab es seit Erstaustragung 2004 noch nie Gold, weil stets Norwegen oder Österreich siegte.
Das Skifliegen übt selbst auf die Luftkünstler eine brutale Faszination aus: Über 100 km/h Anlaufgeschwindigkeit, acht Sekunden in der Luft und Weiten um die 250 Meter sind möglich. Schon leichte Wetterkapriolen können extrem gefährlich sein, wie ein schwerer Sturz von Daniel-André Tande im vergangenen März bewies. Tande schwebte in Lebensgefahr und musste notoperiert werden, die Bilder schockierten die komplette Skisprung-Szene. Inzwischen ist Tande längst zurück, am vergangenen Sonntag gewann er erstmals wieder ein Einzel.
Eisenbichler und das besondere Gefühl des Skifliegens
Der für derbe Sprüche und weite Flüge bekannte deutsche Rekordhalter Eisenbichler (Bestweite 248 Meter) sagte der Bild-Zeitung zu der besonderen Disziplin, die nie trainiert wird, einmal: „Skifliegen ist fast so gut wie Sex. Einfach ein Gefühl, das nicht zu beschreiben ist. Man hat extrem viele Gedanken im Kopf, kann die aber überhaupt nicht sortieren, ist einfach extrem glücklich.“
Nach einem langen Flug-Wochenende brauche er erstmal einen oder zwei Tage Ruhe, weil der Adrenalinkick und die Herausforderung so groß seien. „Das schlaucht extrem“, sagte Eisenbichler. Die Skispringer erwarten nun zum Abschluss des Winters drei Flug-Wochenenden am Stück: erst die WM in Vikersund, dann die finalen Weltcups auf den Flugschanzen von Oberstdorf und Planica. Eine überstürzte Heimreise steht für Papa Geiger diesmal nicht bevor.