Tragödie einer Eishockeymannschaft: Tschechische Helden im Arbeitslager
Abgesehen von Kanada ist Tschechien ohne Zweifel das eishockeybegeistertste Land der Welt. Die Menschen verehren Dominik Hašek und Jaromir Jagr, die Olympiasieger von 1998, sie lieben Vaclav Nedomansky, Vladimir Dzurilla, Ivan Hlinka und die Holik-Brüder, die 1972, wenige Jahre nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, in der tschechischen Hauptstadt Weltmeister wurden und schon drei Jahre zuvor in Schweden die UdSSR in einigen der emotionalsten Eishockeyspiele der Geschichte zweimal besiegt hatten. Und sie haben einen Platz im Herzen für Bohumil Modrý, den besten Torhüter seiner Zeit, und seine große tschechoslowakische Mannschaft, der ein wahrhaft grausames Schicksal zuteilwurde.
Das mit dem LTC Prag praktisch identische Team war die stärkste europäische Eishockeymannschaft der 40er-Jahre, die sogar den nach Europa gereisten kanadischen Teams Paroli bieten konnte. 1947 und 1949 wurde sie Weltmeister, 1948 in St. Moritz gewann sie olympisches Silber, und als die Sowjetunion, wo bis dahin vorwiegend das großflächige Bandy gespielt wurde, beschloss, zur Eishockeynation zu werden, leisteten Modrý und seine Kollegen Entwicklungshilfe. Nachdem die CSSR-Mannschaft 1950 wegen angeblichen Hochverrats verhaftet worden war und Jahre in Gefängnissen und Arbeitslagern verbracht hatte, waren es nach ihrer Begnadigung ironischerweise die sowjetischen Trainer und Funktionäre, die freundschaftlichen Kontakt suchten, während das offizielle tschechische Eishockey die einstigen Nationalhelden mied wie Pestkranke.
So erzählt es der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger, der einen Roman über Bohumil Modrý und sein Team geschrieben hat. Genau genommen ist „Jáchymov“ jedoch gar kein Roman über das unglückselige Eishockeyteam, sondern darüber, wie der gebrechliche Wiener Verleger Anselm Findeisen im Kurort Jáchymov der Tochter Modrýs begegnet und sie dazu bewegt, ein Buch über das Schicksal ihres Vaters zu schreiben.
Eindrucksvolles Zeugnis
Mit diesem Kunstgriff enthebt sich Haslinger der Notwendigkeit, die damaligen Ereignisse szenisch zu bearbeiten. Er muss keine Episoden, Dialoge, Beschreibungen aus dem Innenleben einer Eishockeymannschaft, aus den tschechischen Gefängnissen und den Konzentrationslagern der Nazis nachempfundenen Lagern des späten Stalinismus erfinden. Und er muss nicht das wohl grauenhafteste Monument jener Ära künstlich literarisieren, das Uranbergwerk von Jáchymov, dem ehemaligen Joachimsthal, wo sich neben Modrý Hunderttausende Gefangene, die meisten davon politische, zu Tode schufteten. Modrý stirbt wenige Jahre nach seiner Freilassung an den Folgen der radioaktiven Verseuchung.
Stattdessen liefert der Autor nüchterne Beschreibungen der Geschehnisse, die zu einem großen Teil auf Berichten der Tochter Modrýs basieren, die im Roman eine Tänzerin ist, im wirklichen Leben eine Schauspielerin am Wiener Burgtheater. Aus der Perspektive des Kindes und jungen Mädchens wird der Aufstieg der Eishockeymannschaft erzählt, der zunehmende Einfluss der Politik, die Repression, die sich verstärkt, bis sie auch die sich zunächst unangreifbar wähnenden Sportidole erfasst, an denen, wegen angeblicher Planung einer kollektiven Emigration, ein Exempel statuiert wird, offensichtlich als Warnung an alle, die sich im neuen Totalitarismus noch den Luxus einer eigenen Meinung und Persönlichkeit leisten.
Diese Erzählweise wirkt stärker als jede Dramatisierung von Ereignissen, die keiner Dramatisierung bedürfen. Jáchymov legt ein eindrucksvolles Zeugnis ab von Bohumil Modrý, seinen Freunden und einer Zeit, in der die Staaten Osteuropas daran gingen, die Idee des Kommunismus für Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte zu desavouieren.
Josef Haslinger: Jáchymov, Verlag S. Fischer 2011; 19,95 Euro.